20 Jahre nach dem Pogrom

geschrieben von Claudia Bähr

5. September 2013

Junge Antifas demonstrierten und tanzten in Rostock-Lichtenhagen

Sept.-Okt. 2012

Wenn man mich heute fragt, welche Nachrichten ich in meiner Kindheit wirklich wahrgenommen habe, dann würde ich sagen, dass es die Nachrichten aus Rostock-Lichtenhagen waren. Als 1992 in Rostock-Lichtenhagen das Sonnenblumenhaus brannte, saß ich als Siebenjährige mit meinen Eltern vor dem Fernseher und verstand nicht, was dort passierte. Meine Eltern konnten meine Fragen nur bedingt beantworten.

Jetzt, 20 Jahre später, bin ich selbst in Rostock und muss erleben, dass sich so viel wohl doch nicht geändert hat. Schon bei den Vorbereitungen für dieses Wochenende bläst uns viel Gegenwind ins Gesicht. Man bekommt schnell das Gefühl, dass das Gedenken hier nicht unbedingt erwünscht ist. Diese Reaktionen bestärken mich persönlich aber noch mehr darin, dass unsere Idee richtig ist.

Bereits am Freitagabend bin ich in Rostock. Die Polizei ist schon mit massiver Präsenz vor Ort. Dennoch höre ich in den Straßen nichts von diesem Wochenende. Anscheinend wissen die Rostocker überhaupt nichts von der Kundgebung und der Demo, oder sie wollen es nicht wissen.

Am Samstag um 11 Uhr beginnt dann die Kundgebung vor dem Rostocker Rathaus. Cornelia Kerth, Vorsitzende der VVN-BdA, verliest das Grußwort von Beate Klarsfeld, die vor 20 Jahren versucht hatte, eine Gedenktafel zu den Pogromen am Rathaus anzubringen. Zwar gelang es ihr damals, doch nach drei Tagen wurde die Tafel abgenommen und inzwischen ist das Original verschwunden. Unter großem Beifall bringt Conny eine Replik der Tafel erneut am Rathaus an. Zumindest vorerst, denn die Bürgerschaft Rostock hat noch nicht über ihren Verbleib abgestimmt. Inzwischen hat die NPD in Rostock einen Antrag bei der Bürgerschaft gestellt, die Tafel sofort wieder zu entfernen. Das wird ihren Verbleib hoffentlich befördern. Bis zum Ende der Kundgebung haben sich bis zu 1.500 Menschen vor dem Rathaus eingefunden und zeigen ihre grenzenlose Solidarität. Unter diesem Motto steht der ganze Aktionstag. Ein gelungener Auftakt.

Ab 14 Uhr treffen sich alle am Bahnhof Lütten Klein. Das Areal füllt sich schnell, die Stimmung ist ausgelassen und die Polizei hält sich zurück. Als sich die Demo in Bewegung setzt sind ungefähr 6.500 Menschen gekommen um dem Pogrom von Lichtenhagen zu gedenken. Eine unerwartet hohe Zahl, die Transparente zeigen, dass Gruppen aus der ganzen Bundesrepublik angereist sind. Doch wie viel Lichtenhägener sind unter den Demonstranten? Besonders am Sonnenblumenhaus hat man das Gefühl, dass sie lieber zuschauen als sich selbst beteiligen. Der wirklich guten Stimmung tut das aber keinen Abbruch. Nach der großartigen Demonstration feiern die Teilnehmer noch viele Stunden lang bei einem Konzert unter freiem Himmel.

Am Sonntag kommt Bundespräsident Gauck nach Rostock um zu reden, wir nutzen unsere Zeit sinnvoll und veranstalten im Peter-Weiss-Haus ein World Café, bei dem sich zeigt, dass antirassistische und antifaschistische Initiativen wieder mehr zusammenarbeiten sollten. Mit dem World Café endet ein buntes, vielfältiges und erfolgreiches Wochenende für die VVN. Viele junge Menschen haben sich an der Planung beteiligt, viele junge Menschen sind mit auf den Straßen gewesen und haben demonstriert, dass sie sich gegen neofaschistische Gedanken und Rassismus stellen. Ich bin froh, dabei gewesen zu sein.