Alternativen zum VS

geschrieben von P.C.Walther

5. September 2013

Forderungen nach Abschaffung des Geheimdienstes nehmen zu

Nov.-Dez. 2012

Geheimdienstpraktiken stehen demokratischen Entwicklungen entgegen. Mit Verdächtigungen und den mit ihnen verbundenen Folgen wird demokratisches Potential unterdrückt und zivilgesellschaftliches Engagement ausgebremst. Der Geheimdienst Verfassungsschutz beurteilt und klassifiziert oppositionelle Parteien und politische Organisationen willkürlich und selbstherrlich. Als Instrument der amtierenden Regierung wird so mit geheimdienstlichen Mitteln in die politische Auseinandersetzung eingegriffen (siehe das Beispiel Observierung der Linkspartei). Der Dienst, der vorgibt, die Verfassung zu schützen, verhält sich verfassungswidrig. Das gilt auch für die Praktiken des Verfassungsschutzes gegenüber Antifaschisten. Dagegen geschah und geschieht wenig bis nichts zur Abwehr der tatsächlichen Menschen-, Demokratie- und Verfassungsfeindschaft der Rechten.

Der Ruf nach Abschaffung des Geheimdienstes Verfassungsschutz ist längst kein einsamer mehr. Er wird inzwischen von sogenannten »bürgerlichen« Publizisten ebenso erhoben wie von Bürgerrechtlern und Politikern. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie führte darüber kürzlich seine jährliche Tagung. Die Mehrheit der Teilnehmer plädierte dabei für die Forderung nach Abschaffung und nannte dafür eine Reihe guter Gründe.

Der aktuellste ist die seit Aufdeckung der NSU-Terrorgruppe deutlich gewordene Unfähigkeit oder Unwilligkeit des Geheimdienstes Verfassungsschutz, trotz der Vielzahl von V-Leuten in deren Nähe eine neonazistische Mördergruppe zu erkenne, so dass diese Gruppe jahrelang unbehelligt mordend und raubend durchs Land ziehen konnte.

Allein das genügte schon zum Aus. Es gibt jedoch weitere Gründe für die Abschaffung dieses Geheimdienstes, an dessen verfehlter Existenz und Praxis auch Umstrukturierungen, »Reformen« und »Verbesserungen« im Grunde nichts ändern würden. Im Gegenteil. Jede Effizienzsteigerung bedeutet auch eine Steigerung der Schädlichkeit dieser Praktiken, die systemimmanent sind.

Generell bleibt es dabei, dass in der Demokratie ein Geheimdienst ein Fremdkörper ist. Geheimdienst und Demokratie schließen einander aus. Es ist mehr als aufschlussreich, dass es einen solchen politischen Inlands-Geheimdienst in keinem anderen vergleichbaren demokratischen Staat gibt. Schon Ursprung und Herkunft des Geheimdienstes Verfassungsschutz stellen seine Eignung für demokratische Zwecke in Frage. Aufgebaut und damit geprägt wurde dieser Nachrichtendienst mehrheitlich von ehemaligen SS-, SD- und Gestapo-Leuten als Instrument des Kalten Krieges. Dass der »Feind links steht« bestimmte von Anfang an seine Blickrichtung und versperrte den Blick nach rechts.

Das reizt immer mehr zum Widerspruch. Inzwischen liegen auch in einigen Landesparlamenten entsprechende Gesetzesinitiativen vor. Ähnlich wie die Fraktion der Linken im Thüringer Landtag (siehe »antifa« Juli/August) hat die Linksfraktion im Hessischen Landtag einen Gesetzentwurf zur Einrichtung einer Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie eingebracht, die an Stelle des Geheimdienstes Verfassungsschutz treten soll.

Damit werden Alternativen deutlich. Aufgaben und Zweck solcher Informations- und Dokumentationsstellen werden in einem Arbeitspapier aus der Bundestagsfraktion der Linken so beschrieben: Neben Informationen und Dokumentationen über neonazistische, rassistische und antisemitische Bestrebungen hätten sie insbesondere auch Handlungsempfehlungen zur Zurückdrängung neonazistischer und antidemokratischer Erscheinungen zu entwickeln. Diese Arbeit könnte von Beiräten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft unterstützt werden.

Das könnte dazu führen – wie Ulrich Wilken, Linken-Vorsitzender und rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im hessischen Landtag betonte -, »Gefahren zu erkennen, öffentlich zu kommunizieren, Menschen aufzuklären und sie zu befähigen, die ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten auch zu nutzen«. Das wäre dann gewissermaßen ein »Verfassungsschutz von unten«. Auf Angriffe gegen die Demokratie würde die demokratische Gesellschaft reagieren können.

Die Gesetzentwürfe liefern hilfreiche Argumente zur Untermauerung der Forderung nach Abschaffung des Geheimdienstes Verfassungsschutz. Sie haben gegenwärtig jedoch kaum eine Chance, eine parlamentarische Mehrheit zu finden. Umso notwendiger bleibt es deshalb, in Gesellschaft und Öffentlichkeit weiter für einen solchen Umbau des Demokratieschutzes und die damit verbundene Abschaffung des Verfassungsschutzes zu agieren.

Ein erster Schritt auf diesem Wege könnte die Abschaffung des ebenso unsinnigen wie schädlichen V-Leute-Systems sein. Durch dieses System werden aktive und auch kriminelle Neonazis zu bezahlten Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, was nicht nur die Neonazis stützt und fördert, sondern auch den Verfassungsschutz zum Komplizen werden lässt.