Andere Strukturen schaffen

geschrieben von Peter C. Walther

5. September 2013

Finanzkrise: Es geht auch um Sicherung und Ausbau der Demokratie

Nov.-Dez. 2008

Täter als Opfer

Einer der eifrigsten Propagandisten des Neoliberalismus in Deutschland, IFO-Präsident Hans-Werner Sinn, setzte die Kritik an Bankmanagern mit der Hetze gegen Juden in den dreißiger Jahren gleich. Mit diesem ungeheuerlichen Vergleich von berechtigter Kritik an Bankmanagern, den Tätern der Finanzkrise, mit der Hetze gegen Juden und damit auch mit deren späterer Verfolgung und Ermordung, folge er einer bekannten Masche, »um sich damit unter die Opfer einreihen zu können«, kommentierte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, die Sinnsche Geistesleistung.

Die Finanzmarktkrise und eine womöglich damit verbundene Weltwirtschaftskrise beherrschen in diesen Wochen nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch die meisten politischen Überlegungen und Handlungen. Die Folgen des ungezügelten Kapitalismus sind in allen Bereichen und für jeden spürbar.

Über die Ursachen des Desasters wird viel geschrieben und spekuliert. Hauptursache ist zweifelsohne die Brachialgewalt eines ungebremsten Finanzkapitalismus, dessen Zügellosigkeit von der Politik erst ermöglicht wurde. Da wurde kräftig dereguliert, »freie Bahn« fürs Kapital geschaffen, »Hemmnisse und Bürokratie abgebaut«, wie das schönfärberisch genannt wurde. Hinzu kamen die geistigen Wegbereiter in Hochschulen, Propagandafilialen und den Medien. Sie sangen Tag für Tag das Hohelied des Neoliberalismus, des »freien Marktes« und der »Reformen«.

Die Folgen sind gravierend. Nicht nur die Finanzmärkte brechen ein, schlimmer noch sind die Bedrohungen für die wirtschaftliche Entwicklung. Die Arbeitslosigkeit, noch immer weit verbreitet, wird erneut wachsen. Die Armut ist selbst in Deutschland, das zu den reichsten Ländern gehört, gewachsen und wächst weiter; ebenso die Zahl ungeschützter Arbeitsverhältnisse und miserabler Arbeitsbedingungen.

Das alles hat nicht nur soziale und ökonomische Auswirkungen. Es stellt vor allem auch den Bestand und die Perspektive der Demokratie in Frage. Dabei geht es nicht nur um den gegenwärtigen Zustand unserer Demokratie, der unvollständig und unbefriedigend ist, vor allem weil sie von demokratieferner Wirtschafts- und Kapitalmacht eingeengt wird und weil ihr noch immer die ausreichende soziale Basis fehlt. Es geht um den Bestand des Demokratiefundaments überhaupt – und gleichzeitig um damit verbundene Einfallstore für neofaschistische Ideologien und Praktiken.

Die Folgen dieses Brutalkapitalismus und nun erst recht der von ihm verursachten Krisen werden von den Nazis unserer Tage zu nutzen versucht, Existenz- und Zukunftsangst, Frust und soziale Not für ihren Nazismus und Rassismus zu verwerten.

Wenn die demokratischen Kräfte es in dieser Krisensituation nicht schaffen, klare Wege aus der Krise aufzuzeigen und vor allem Maßnahmen durchzusetzen, die den Ursachen der Krisen zu Leibe gehen und grundlegend andere Strukturen schaffen, wenn das nicht gelingt, hat das nicht nur schlimme soziale und wirtschaftliche Folgen, es drohen auch gravierende Folgen für den Fortbestand der Demokratie, die wir ausbauen müssen, niemals aber einschränken oder gar beseitigen lassen dürfen.In diesen Tagen wird oft an die verheerenden Folgen der Weltwirtschaftskrise von 1929 erinnert. In Deutschland trugen sie zur Etablierung der Herrschaft des Faschismus bei. Natürlich steht nicht eine Wiederkehr des Hitlerfaschismus in alter Form bevor; doch auch »moderne« autoritäre Strukturen können die Demokratie aushebeln.

Bekämpft und verhindert werden muss daher gerade in der heutigen Krisensituation der Abbau von Demokratie, wie er gegenwärtig – die Krise nutzend – nicht nur mit der Etablierung von Entscheidungsgremien fern des Parlaments und dem Erlass einer Art von Notverordnungen betrieben wird, sondern vor allem auch mit dem fortgesetzten Ausbau von Überwachungs- und »Sicherheits«-Gesetzen sowie einer fortschreitenden Militarisierung der Gesellschaft bis hin zum Bundeswehreinsatz im Innern.

Wir brauchen gerade jetzt erst recht m e h r, nicht weniger Demokratie und wir müssen die Barrieren gegen das Anwachsen rechtsradikaler Einflüsse noch höher bauen.