Anfänge und Abbrüche

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Geschichte und Geschichtswissenschaft im Osten

März-April 2013

Aus Anlass des 80. Geburtstages von Günter Benser führten die Rosa-Luxemburg-Stiftungen Berlin und Brandenburg sowie der Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung ein wissenschaftliches Kolloquium zum Thema »Basisdemokratie und Arbeiterbewegung Erfahrungen und Vermächtnisse« durch.

Günter Benser zum 80. Geburtstag

Herausg. Rainer Holze, Siegfried Prokop, Dietz-Verlag, Berlin, 19,90 Euro

Wer gedruckte Beiträge von Jubiläumskonferenzen eher meidet, weil sie zu oft nur Schaureiten auf Steckenpferden präsentieren, sollte es mit den Gratulationsreferaten zum 80. Geburtstag des Historikers Prof. Dr. Günter Benser doch noch einmal versuchen. Sie sind rückblickend informativ und zugleich auf aktuelle politische Zusammenhänge bezogen. Herausgegeben haben dieses Buch die Geschichtswissenschaftler Rainer Holze und Siegfried Prokop, leider im Kleinstdruck, gewissermaßen in Fußnotengröße. Der Band ist eine Fundgrube an Informationen, selbstkritischen Betrachtungen früherer Befangenheit im Umgang mit Quellen, aber gleichzeitig auch unbeirrt scharfsinniger Überlegungen, zum Beispiel von Theodor Bergmann, Anneliese Laschitza und Stefan Bollinger.

Das Buch könnte ein Geschenk für geschichtsinteressierte Enkel sein. Da wäre zum Beispiel unter Anleitung von diskutierfreudigen Großeltern viel Wissenswertes zu entdecken, was Schulbuchmacher entweder selbst nicht wissen oder weil sie gemächlich auf dem Mainstream segeln tunlichst umschiffen.

Zum Beispiel geht es im Abschnitt »Demokratieverständnis in der deutschen Arbeiterbewegung von ihren Anfängen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts« um Rosa Luxemburgs Ideal von einer bewussten freien Selbstbestimmung der Volksmassen und Reiner Zilkenat schreibt über »Vereinigung ohne Zwang zur Konstituierung der SED im Berliner Stadtbezirk Neukölln 1945/46«.

Für Leser unserer Zeitschrift ist der Beitrag von Peter Brandt besonders interessant: »Die Antifa-Bewegung des Frühjahrs 1945 in Deutschland«. Mit vielen wichtigen Hinweisen zeichnet er einen wohl wenig bekannten Aufbruch in Deutschland: »Hier und dort schon vor dem Einmarsch der alliierten Streitkräfte, bzw. währenddessen, spätestens aber kurz nach der Besetzung, entstanden in allen Regionen Deutschlands ›Antifaschistische Ausschüsse‹, ›Antifa-Komitees‹, kurz: ›Antifas‹, so genannt nach den häufigsten Namensbestandteilen. Die einfachste Form stellten ad hoc gebildete Stadt- oder Stadtteil-, seltener auch dörfliche Gruppen dar. Nur vereinzelt standen die Antifa in direkter Kontinuität zum Widerstand vor 1945. In manchen Fällen gelang von Anfang an eine Organisierung auf großstädtischer, gar regionaler Ebene mit Tausenden von Mitgliedern und Zehntausenden von Anhängern. …

In den Westzonen wurden die Antifa-Ausschüsse meist schon im Verlauf des Frühjahrs, spätestens im Sommer 1945 durch die Besatzungsmächte und die von ihnen eingesetzten Auftragsverwaltungen aufgelöst. Nur vereinzelt existierten sie weiter, indem sie zu reinen Hilfsorganen der kommunalen Institutionen mutierten oder sich in Dachorganisationen der wieder- bzw. neugegründeten Parteien umwandelten. Bei der Auflösung der Ausschüsse spielte neben der vordergründigen Sorge vor kommunistischer bzw. linksradikaler Einflussnahme die teils bewusste, teils instinktiv empfundene Befürchtung eine Rolle, die von den Antifas ausgehende basisdemokratische Dynamik könnte außer Kontrolle geraten. …

Die Verantwortung dieser und der anderen etablierten Kräfte für das Versickern des Antifa-Ansatzes zu benennen, beinhaltet keine moralische Anklage, die unhistorisch wäre, und dient keiner Legendenbildung über das Jahr 1945. Die schon zeitgenössisch verbreitete Rede von der ›politischen Apathie‹ der Deutschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit muss jedoch mit dem Befund konfrontiert werden, dass mit dem Ende der Antifaschistischen Ausschüsse ausgerechnet diejenigen entmutigt wurden, für die dieses Urteil am wenigsten zutraf. Wenn es auch eine (im Übrigen selbst quantitativ nicht ganz unbedeutende) Minderheit war, die sich in den Antifas des Frühjahrs 1945 politisch artikulierte, so war es doch der am wenigsten demoralisierte, der sozial aktivste und der am entschiedensten demokratische Teil des deutschen Volkes, der die Zusammenbruchkrise gemeinschaftlich, statt individualistisch oder klientelistisch zu lösen versuchte und dabei als eine gesellschaftsstiftende Kraft schlechthin wirkte. …«

Gerade mit »Zeitzeugen« sollte dieser Beitrag diskutiert werden. Vielleicht wäre es auch für Peter Brandt interessant, wenn er zusätzliche Informationen bekäme, wie sich die Antifa-Ausschüsse in der Sowjetischen Besatzungszone verstanden und wie sie arbeiteten. Brandts Beitrag ist bewusst auf das Jahr 1945 begrenzt. Doch er weckt den Eindruck, dass es über diese Zeit hinaus keine politisch wirklich relevante Antifa-Arbeit mehr gegeben habe.

Dass einer Historikerin, die zudem gelernte und seit Jahren bewährte Journalistin ist, der den Sammelband abschließende Beitrag zugestanden wurde, ist begrüßenswert, zumal durch Karlen Vesper-Gräske auch der Frauenanteil neben 21 Autoren auf vier erhöht wurde.

»Weltrevolution via World Wide Web. Was den tunesischen Gemüsehändler Mohamed Bouazizi mit dem deutschen Erfinder Konrad Zuse verbindet«, ist ihr Thema, mit dem sie über den politischen Horizont Europas geht und über den Aufbruch von basisdemokratischer Bewegung in der arabischen Welt hochinteressant berichtet.