Berliner Nazis im Netz

geschrieben von Fabian Kunow

5. September 2013

Onlineportale als Organisationsersatz – die Entwicklung von
»nw-berlin.net«

März-April 2012

Im März 2005 verbot der damalige Berliner Innensenator Ehrhart Körting die Berliner Kameradschaft Tor (KS Tor). Diese Kameradschaft war Vorreiter der sich entwickelnden rechtsextremistischen Strömung der Autonomen Nationalisten (AN). Gerade für die ANs ist eine zeitgemäße Darstellung der eigenen Aktionen im Internet von erheblicher Bedeutung. Die KS Tor pflegte deshalb auch ihre Homepage deutlich intensiver und liebevoller als die ältere Berliner Kameradschaftsszene ihre Seite »nwbb.org«. Grafiken und Bilder statt Frakturschrift und langer Texte prägten den Internetauftritt der KS Tor. Die Schreibe sollte locker-jugendlich klingen. Oft wurde der politische Gegner direkt, aber mit einem ironischen Unterton, angesprochen.

Nach dem Verbot der KS Tor verschwand deren Seite aus dem Netz. Es entstand kurzweilig die Seite »freie-kraefte.tk«. Der Kreis um die KS Tor trat nun unter diesem Namen auf. Nach einer weiteren Hausdurchsuchungswelle, die unter anderem den NPD-Politiker Sebastian Schmidtke wegen des Fortführens der KS Tor betraf, verschwand auch »freie-kraefte.tk« aus dem Netz. Die Organisationstrukturen der Autonomen Nationalisten wurden formal lockerer, um neuen Verboten und Repression zu entgehen. Als neues Label der aktionistischen Berliner Neonaziszene entstand NW-Berlin, wobei NW hier Nationaler Widerstand bedeutet. »nw-berlin.net« steht auch auf Transparenten bei Demonstrationen des NW-Berlin und wird als Internetadresse der Szene im öffentlichen Raum verbreitet.

Seit 2005 – 2006 ist »nw-berlin.net« das wichtigste Medium der Berliner Neonazis. Es dient der anonymen Außendarstellung gegenüber Sympathisanten und dem politischen Gegner, fördert hingegen nicht die interne politische Diskussion der Neonaziszene. Im April 2011 wurde »nw-berlin.net« folgerichtig von der Bundesprüfstelle für »jugendgefährdende Medien« indiziert. Über die großen Suchmaschinen wie »www.google.de« ist die Seite somit nicht mehr zu finden.

Grob kann man die eingestellten Beiträge auf »nw-berlin.net« in drei Sparten unterteilen: erstens Berichte über eigene Aktionen, zweitens Versuche, über Artikel das eigene Umfeld politisch-theoretisch zu schulen sowie drittens durch das veröffentlichen von Erkenntnissen aus der Anti-Antifa Arbeit eine Drohkulisse aufzubauen. In welchem Verhältnis diese drei Bereiche zueinander auftreten und wie häufig »nw-berlin.net« aktualisiert wird, unterliegt verschiedenen szeneinternen Konjunkturen.

Jahrelang bildeten Berichte über Kleinst-Aktivitäten den Schwerpunkt der Texte. Subjektive Erfolgserlebnisse und das durch Aktionen erzeugte Gemeinschaftsgefühl schienen wichtiger zu -seinen, als die Vermittlung politischer Inhalte, um ein theoretisch fundiertes faschistisches Bewusstsein im eigenen Milieu auszubilden. Ohne die Berichterstattung auf »nw-berlin.net« würden viele Aktionen dieses aktionsorientierten Spektrums vollkommen untergehen in der Hauptstadt mit ihren x-verschiedenen politischen Akteuren, die um die Aufmerksamkeit der Berliner buhlen.

Zurzeit wird sich wieder vermehrt in Texten der eigenen »Weltanschauung« gewidmet. Die Autoren versuchen, eine faschistische Kritik an der derzeitigen Gesellschaft an ganz verschiedenen Beispielen zu formulieren. Dabei kommen sie fast nie an der Verherrlichung des historischen »Nationalsozialismus« vorbei. Oft enden diese Beiträge mit Volksverhetzung gegen Minderheiten und Gewaltandrohungen für den Tag der herbeigesehnten Machtübernahme.

Nicht zuletzt aufgrund des Fehlens eigener kurzfristig umsetzbarer Ziele bleibt das Aktionsfeld »Anti-Antifa« – das systematische Ausspionieren, Bedrohen, Einschüchtern, und Angreifen (vermeintlicher) politischer Gegner – zentrales ideologisches Kampffeld der AN und somit auch der Betreiber von »nw-berlin.net«. Neben dem identitätsstiftendem Effekt für die eigene Gruppe bietet es die Möglichkeit, die eigene faschistische Gewalt- und Actionlust zu befriedigen. Zugleich wähnt man sich als Widerstandskämpfer, welche vom Staat und gesellschaftlichen Eliten verfolgt und von »der Antifa« angegriffen werden und sich nur offensiv verteidigen.

So wird in der Reihe »Linke Läden« über Aktivitäten und Publikum zahlreicher Kneipen und Einrichtungen berichtet. »Linke Läden« erschien das erste Mal im Frühjahr 2009 mit dem Bezirk »Mitte«. Eingeleitet wird die Liste, die mehrere Dutzend Adressen enthält, recht eindeutig: »Wie sagt man doch so schön, es gibt kein ruhiges Hinterland (…) Wir hoffen, diese Informationen sind für Euch im praktischen Sinne effektiv. Es ist ein notwendiges Gut, seine Nachbarn zu kennen und sich ihnen vorzustellen«. »Linke Liste« ist somit Grundlage für Drohungen und gewalttätige Angriffe auf diese Projekte und Personen.

Die Rubrik »Chronik« auf »nw-berlin.net« , die mittlerweile technisch ausgelagert wurde, um weiter über Google erreichbar zu sein, offenbart ihren eigentlichen Zweck bereits in der Einleitung: Überschrieben mit »Antifaschisten haben Namen und Adressen…« bieten die Urheber der Texte an, »bei der Suche« nach antifaschistischen Straftätern »zu helfen«. Nach der Indizierung der Website »nw-berlin.net« durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien findet sich die Liste mit den Namen der politischen Gegner mittlerweile auf »www.chronik-berlin.com«. Diese Seite ist mit »nw-berlin.net« verlinkt. Sobald die »Chronik« aktualisiert wurde, findet sich hierzu ein Hinweis auf der Mutterseite.

Die Entwicklung von »nw-berlin.net« in den letzten Jahren ist als Spiegelbild der Neonaziszene ist Berlin zu betrachten. Ein zwangsweises Abschalten von »nw-berlin.net« wäre für die Neonaziszene mehr als nur ein Ärgernis. Es würde der Selbstinszenierung als unerschütterliche »Kämpfer« einen empfindlichen Schaden zu fügen.