Blutiges Edelweiß

geschrieben von Jakob Knab

5. September 2013

Das Standardwerk über die 1. Gebirgs-Division ist erschienen

März-April 2008

Hermann Frank Meyer: Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg, Verlag Ch. Links, Berlin 2008, 800 Seiten, 194 Abbildungen, Euro 34,90

Mord-Anklage gegen Gebirgsjäger-Veteran

Gegen den 2006 in Italien in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilten ehemaligen Gebirgsjäger-Leutnant Josef Scheungraber aus Ottobrunn bei München hat nun auch die Staatsanwaltschaft München I Anklage wegen Mordes erhoben. Ihm wird vorgeworfen, 1944 als Kompanieführer die Ermordung von 14 Zivilisten im italienischen Dorf Falzano di Cortona angeordnet zu haben. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass S. dem zuständigen Gericht ein Attest vorgelegt habe, das ihm Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt. „Im vergangenen Jahr“, so die Zeitung, „scheint er sich beim alljährlichen Treffen des ‚Kameradenkreises der Gebirgstruppe‘ in Mittenwald noch bester Gesundheit erfreut zu haben.“ (antifa hat mehrmals darüber berichtet).

Dieses gewichtige Buch ist ein Ereignis! Denn Hermann Frank Meyer bringt die Lügengebäude, die die kriegsnostalgischen Gebirgsjäger (»Kameraden unter’m Edelweiß«) errichtet hatten, zum Einstürzen. Deren Kult um »Männlichkeit und siegreichen Kampf« ist nun zu Ende. Das Edelweiß ist nicht mehr Symbol »besten deutschen Soldatentums in Frieden und im Krieg«. Diese Blume der Berge ist beschmiert mit braunen Flecken und dem Blut bestialischer Kriegsverbrechen.

Mit seiner detaillierten, akribischen sowie umfassenden Darstellung der Geschichte der 1. Gebirgs-Division legt Meyer sein »opus magnum«, ja sein Lebenswerk vor. Denn zwanzig Jahre lang sichtete und studierte er Akten und Dokumente, er las die teils kriegsverherrlichende Erinnerungsliteratur ehemaliger Gebirgsjäger. Seine Forschungsreisen führten ihn in mehr als zehn Länder. Er suchte über 200 Dörfer in Albanien und Griechenland auf, um Zeitzeugen zu befragen. Oft war er dort der erste Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg, der aufrichtiges Interesse und tief empfunden Abscheu für die Gräueltaten der Gebirgsjäger zeigte.

Meyer nennt die Täter beim Namen. Sein Werk ist auch eine Biografie des Generals der Gebirgstruppe Hubert Lanz (1896 bis 1982), dem zeitweiligen Kommandeur der Edelweiß-Division, der schon früh in den Bann des verbrecherischen NS-Regimes geriet. Als Lanz im August 1982 zu Grabe getragen wurde, hob ein aktiver General der Bundeswehr hervor, dass »General Lanz für alle Gebirgsjäger, auch für die Bundeswehr, ein Vorbild war und bleiben wird«. Als die Wehrmacht die Sowjetunion überfallen hatte, da lautete Lanz‘ Tagesbefehl: »Die 1. Gebirgs-Division holt den Teufel aus der Hölle. Der Teufel steht vor uns! Wir werden ihn vernichten! Es lebe das Edelweiß! Heil dem Führer!« Und wer das Kapitel »Die Gebirgsjäger und das Juden-Pogrom von Lemberg (Juni 1941)« liest, schaut in die Abgründe des Vernichtungskrieges: »Viele waren durch Genickschuß getötet worden, andere fand man erschlagen, missbraucht, auf schlimmste Weise misshandelt und verstümmelt: an die Wand und auf den Boden genagelte Kinder und Priester, Frauen mit abgeschnittenen Brüsten und Zungen, an Fleischerhaken aufgehängte Kinder, entmannte und skalpierte Männer, deren Geschlechtsteile man in Zeitungspapier eingewickelt in deren Hosentaschen fand, aufgeschnittene Frauenleiber – aus einem ragte der Kopf eines Kindes – , mit Zwirn zugenähte Münder, ausgestochene Augen.« Bataillonskommandeur Josef Salminger aus Mittenwald nutzte dieses Pogrom, um seine Gebirgsjäger auf den Kampf gegen die »jüdisch-bolschewistische Verbrecherbande« einzuschwören. Bis März 1943 hinterließ die 1. Gebirgs-Division eine Blutspur im Krieg gegen die Sowjetunion; ab Juni 1943 wütete die Edelweiß-Division in Griechenland und auf dem Balkan.

Autor Meyer berichtet, wie die Gier der Kommandeure nach dem Ritterkreuz, wie deren selbstherrlicher und hemmungsloser Ehrgeiz die jungen Soldaten in Tod und Verderben hetzte. Nach dem Krieg nährte Lanz die Legende, das Wohlergehen seiner Soldaten sei ihm oberstes Gebot gewesen, tatsächlich war er getrieben von Ruhmsucht und seiner Gier nach Beförderungen. Im Januar 1943 hatte Adolf Hitler General Lanz zum Befehlshaber einer Armee-Abteilung ernannt. Sein Auftrag war der Kampf um Charkow im Februar 1943. Als Lanz 1947 im Nürnberger Nachfolgeprozess zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden war, wurde die Legende von dem Widerstandskämpfer Hubert Lanz lanciert. Autor Meyer zeigt die Entstehung dieser Geschichte auf: Lanz hatte in einer strategisch ausweglosen Lage seinen Unmut über den »Führer« und das Nazi-Regime geäußert.

Lanz war kein Widerstandskämpfer, sondern ein Kriegsverbrecher, der die truppendienstliche Verantwortung für den Massenmord von Kefalonia (September 1943) trägt.

Hermann Frank Meyer nennt, wie gesagt, die Täter beim Namen. Er führt auch die Offiziere auf, die nach dem Krieg in der Bundeswehr Karriere machten. So Karl Wilhelm Thilo, der in Griechenland und Montenegro die Erschießung mutmaßlicher Partisanen verfügt hatte. Am Ende seiner Bundeswehrlaufbahn befehligte er als Dreisternegeneral das II. Korps in Ulm. Kein Wunder, dass ausgerechnet Thilo eine grundsätzliche Stellungnahme zum Traditionsverständnis der Bundeswehr formulierte: Es sei Ehrabschneiderei, daß die außergewöhnlichen Leistungen der Gebirgsjäger nicht anerkannt würden

Selbst einem akribischen Perfektionisten wie Meyer unterlaufen Flüchtigkeitsfehler. So wird Minister Georg Leber umgetauft zum (Widerstandskämpfer) Julius Leber; Generalleutnant Thilo wird degradiert zum Generalmajor; Josef Remold machte nicht nur Karriere bei der Bayerischen Bereitschaftspolizei, bis 1962 war er sogar deren erster Präsident.

Es gibt freilich nur einen einzigen echten Mangel an dem Werk »Blutiges Edelweiß« zu beklagen: Es erscheint zwanzig Jahre zu spät. Wäre dieses Opus magnum bereits Ende der 80er Jahre erschienen, dann wäre schon damals das Ende der Traditionslüge und der falschen Glorie bei den »Kameraden unter’m Edelweiß« eingeläutet worden.