Damals und heute

5. September 2013

Gedanken zu einem Foto aus Buchenwald. Von Regina Girod

Juli-Aug. 2009

Die Lebenszeit von Nachrichten ist kurz. Morgen weiß schon niemand mehr, was heute noch als Spitzenmeldung über alle Sender geht. Immer neue Bilder drängen nach. Doch die glatten Oberflächen inszenierter Bilder können täuschen. Ohne Hintergründe und das Wissen um Zusammenhänge bleiben wir als Medienkonsumenten denen ausgeliefert, die mit der Nachricht gleich noch ihre Sicht der Welt verkaufen. Sie produzieren, illustrieren, wählen aus. Wir sehen das, was sie uns sagen wollen.

Am 5. Juni hat Barak Obama Buchenwald besucht. Angela Merkel hat aus diesem Grund zum ersten Mal in ihrer Amtszeit die Gelegenheit genutzt, eine KZ-Gedenkstätte zu besichtigen. Von selbst war sie darauf noch nicht gekommen. Gut, dass sie nun dazu genötigt war. Sie blickt mürrisch. Das Foto von der Homepage der Stadt Weimar ist ein Schnappschuss ohne große Ambition, kein hochgestyltes Agenturprodukt. So sehen wir doch etwas mehr von dem, was die Beteiligten in jenem Augenblick empfanden. Vier Menschen, so verschieden, wie man sie sich denken kann, stehen vor dem Tor von Buchenwald und blicken in die Kameras der Welt. Eine Demonstration. Ein politisches Bekenntnis. Zwei Überlebende: Bertrand Herz aus Frankreich, Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos und Elie Wiesel, der mit Obama kam. Friedensnobelpreisträger, mit 17 Jahren von US-Soldaten aus Buchenwald befreit. Sein Vater hat das Lager nicht überlebt. Gemeinsam mit den beiden mächtigen Politikern an ihrer Seite stehen sie vor diesem Ort des Terrors und des Widerstandes und ihre Botschaft lautet »Nie wieder!«

Wer antifaschistisch denkt und fühlt, kann dieses Zeugnis nur begrüßen. Niemals vorher hat ein Präsident der USA zu Gast in Deutschland ein KZ besucht. Obama sagt in seiner Rede: »Ich werde nicht vergessen, was ich heute hier gesehen habe.«

Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihr Gedenken an die Opfer dieses Ortes die Toten des »Speziallagers 2« einschließt, in dem »viele tausend Menschen den Strapazen unmenschlicher Haftbedingungen erlagen«, war zu erwarten. Es entspricht der offiziellen Staatsdoktrin. Wahrscheinlich hat man sie darüber informiert, dass Bertrand Herz, der hier an ihrer Seite steht, immer wieder öffentlich dagegen protestiert, dass der Charakter der nazistischen Lager, als Orten entfesselter nazistischer Barbarei, abgeschwächt wird, indem man ihn mit der Nutzung nach 1945 vermischt. Ein offener Widerspruch, von dem nur weiß, wer sich mit der Gedenkstättenpolitik dieses Landes beschäftigt. Und das sind wenige. Wie kann verhindert werden, dass noch einmal geschieht, was hier geschah? Doch nicht auch damit, dass nichts relativiert, nichts beschönigt und nichts verharmlost wird?

Elie Wiesel sagt zu Obama »…wir setzen große Hoffnungen in Sie, einfach deswegen, weil sie mit ihrem moralisch geprägten Blick auf die Geschichte in der Lage sein und sich verpflichtet fühlen werden, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen, wo die Menschen aufhören, Krieg gegeneinander zu führen – jeder Krieg ist absurd, ist bedeutungslos-, einander zu hassen und das zu hassen, was am anderen Menschen anders ist, anstatt ihn zu respektieren. Aber die Welt hat ihre Lektion leider nicht gelernt.« Und er setzt fort: »Paradoxerweise hatte ich große Hoffnungen. Viele von uns hatten sie, obwohl wir im Grunde genommen jedes Recht hatten, unsere Hoffnung in die Menschheit, die Kultur und die Zivilisation aufzugeben, die Hoffnung, dass man sein Leben in Würde in einer Welt beschließen würde, in der es keine Würde gab. Aber diese Möglichkeit haben wir von uns gewiesen. Wir haben gesagt: ›Nein‹ wir müssen doch versuchen, weiterhin an eine Zukunft zu glauben, weil die Welt ihre Lektion gelernt hat. Aber das hat die Welt eben leider nicht. Hätte die Welt ihre Lektion gelernt, hätte es kein Kambodscha, kein Ruanda, kein Darfur und kein Bosnien gegeben. Wird die Welt je lernen?«

Eine bittere Frage. Hat jemand sie gehört? Die Lebenszeit von Nachrichten ist kurz. Gerade wird gemeldet, dass Frau Merkel an vier Bundeswehrsoldaten das neue Kreuz für Tapferkeit verliehen hat. Es erinnert an das »Eiserne Kreuz«. Und Präsident Obama verkündet eine Offensive seiner Truppen in Afghanistan.

Für unsere Hoffnungen werden wir weiter kämpfen müssen.

Damals und heute

geschrieben von Hans Coppi

5. September 2013

Ludwig Elm legt eine umfassende Studie zum deutschen Konservatismus vor

Sept.-Okt. 2007

Ludwig Elm:

Der deutsche Konservatismus nach Auschwitz. Von Adenauer und Strauß bis Merkel und Stoiber, PapyRossa Verlag, Köln 2007, 332 Seiten, ISBN 978-3-89438-353-4, EUR 18,00

In der Arbeit von Prof. Dr. Ludwig Elm werden kundige Antifaschisten und Antifaschistinnen vieles aus aktuellen Auseinandersetzungen mit Parteien, Organisationen oder mit Hardlinern vom Rechten Rand bis zur Mitte der Gesellschaft wieder finden.

Der Hochschullehrer an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1969 bis 1991), der Bundestagsabgeordnete (1994-1998) und Vorsitzende des Thüringer Verbandes VdN-BdA (1998-2006) hat seine langjährigen Forschungen in einer kritischen Analyse zum »deutschen Konservativismus nach Ausch-witz« zusammengefasst. Dieses überwiegend reaktionäre ideengeschichtliche und politische Gebilde kommt selten als stromlinienförmiges monokausales, sondern vielmehr als ein komplexes und zugleich widersprüchliches Phänomen daher. Es speist sich aus rückwärts gewandtem Denken, das die Aufklärung in Frage stellt und den Sozialismus als Hauptfeind bekämpft. Dabei treffen wir immer wieder auf Grauzonen und fließende Übergänge zu völkischen, antisemitischen und neofaschistischen Denkmustern. Gleichzeitig verändert sich der Konservatismus, unterliegt er Wandlungen und Konjunkturen, hängen seine Wirkungen von innen- und außenpolitischen Konstellationen, aber auch davon ab, wie seine Gegner sich in der Auseinandersetzung behaupten können. Der von ihnen Ende der sechziger und in den siebziger Jahren ausgelöste Gegenwind hat die Bundesrepublik durchlüftet und zeitweise konservative Positionen zurückgedrängt.

Ludwig Elm geht der Frage nach, wie konservatives Denken und Handeln die politische Kultur der Bundesrepublik prägte und weiterhin beeinflusst. Insbesondere die CDU/CSU versuchten die Anstrengungen der politischen Rechte zu bündeln und eine konservative Hegemonie in der Gesellschaft auszuüben. Die Wirkungskraft des Konservatismus geht nicht nur von Politikern und Ideologen, sondern auch von den sozioökonomischen und machtpolitischen Gegebenheiten aus. Die konservative Strömung mit der ihr eigenen Heterogenität entwickelt sich in steten Fluktuationen zwischen Kernen, Flügeln und Grauzonen fort.

In dem Spannungsfeld von Kontinuität und Veränderung sieht Ludwig Elm im Jahr 1945 keine wirkliche und keine nachhaltige Zäsur für die Konservativen. Ihre sich mit dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes manifestierende Niederlage führte nicht zu einer grundlegenden Neuorientierung. Nach einem kurzen Intermezzo selbstverschuldeter Unmündigkeit begann Ende der 40er-Jahre eine durch den Kalten Krieg beförderte lang anhaltende restaurative Wende. Beschweigen, Verdrängen und Rechtfertigen der Nazi-Zeit führten dazu, dass die Auseinandersetzung mit den Ursachen für die Katastrophen der deutschen Geschichte lange nicht stattfand. Mitscherlichs »Unfähigkeit zu trauern« stand ebenso für einen unkritischen Umgang mit der NS-Vergangenheit wie auch für das Entstehen einer »apolitischen Nation«.

Der kurzzeitigen Aufklärung und Ahndung von Schuld und Verbrechen des Naziregimes folgte die Rehabilitierung und Wiedereingliederung gro-ßer Tätergruppen unter Adenauer. Ihre »Sühne« bestand in einem massiven Antikommunismus. Gegner und Verfolgte des Naziregimes gerieten innerhalb der CDU/CSU mehr und mehr in den Hintergrund. Nicht nur in der Politik, auch in konservativen Denkfabriken und in den Medien fanden Nazi-Aktivisten Unterschlupf. Die Karrieren von Globke, Oberländer, Kiesinger und Filbinger stehen für Zehntausende an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligte Täter, die in der Justiz, beim Militär, in der Polizei und den Geheimdiensten, an Universitäten, im öffentlichen Dienst und anderswo ihren Neuanfang fanden. Dies in einer Zeit, als Antifaschisten, Mitglieder der VVN, der größten Organisation von Verfolgten des Nazi-Regimes, aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen, erneut verfolgt und ihnen Entschädigung für ihre Leiden in der NS-Zeit verwehrt wurden.

Die Geschichte der Bundesrepublik ist oftmals in ein verständnisvolles warmes Licht getaucht, scheint eine einmalige Erfolgsgeschichte gewesen zu sein. Ludwig Elm schärft indessen den kritischen Blick auf Vergangenheit und Gegenwart eines Landes, das durch den deutschen Konservativismus nach Auschwitz erheblich geprägt wurde und wird.

Ein lohnendes Buch nicht nur für Antifaschisten, aber für die ganz besonders.