Das Archiv der VVN

geschrieben von Stephan Feldhaus

5. September 2013

Ein Fundus der Zeitgeschichte wird gesichert und erschlossen

März-April 2009

Mehr als einhundert Ordner umfasst der Aktenbestand der einstigen Frankfurter Bundesgeschäftsstelle der VVN aus den Jahren 1947 bis 1977, die heute im Gebäude am Berliner Franz-Mehring-Platz eingelagert sind; hinzu kommen Zeitschriftensammlungen und Bildmaterial: Dokumente aus vier Jahrzehnten der politischen Arbeit in der Bundesrepublik, die ein interessantes Licht auf die Rolle der VVN in der Nachkriegszeit und den Umgang von Staat und Gesellschaft mit den Verfolgten werfen.

Bislang konnte der genaue Umfang und Inhalt dieser Aktenbestände nur erahnt werden. Im Rahmen des Projekts »Geschichtswerkstatt« wurde nun eine präzise und umfassende Bestandsaufnahme der Dokumente durchgeführt und eine elektronische Datenbank erstellt. Ordner für Ordner wurde von den Projektmitarbeiterinnen gesichtet, Dokument für Dokument schriftlich mit den wichtigsten Angaben festgehalten und in Erfassungsmasken eingegeben.

Die Gesamtzahl der Dokumente kann nur geschätzt werden. Da jedoch alle Ordner prall gefüllt sind, ist von 15.000 bis 30.000 Einzelschriftstücken auszugehen. Es handelt sich dabei um Schriftverkehr der Bundesgeschäftsstelle, Zusammenstellungen von Zeitungsartikeln der internationalen Presse, Diskussionsbeiträge, Flugblätter, Programme der unterschiedlichsten Organisationen und vieles mehr. Alle diese Einzeldokumente sind zwischen 1947 und 1977 in der Bundesgeschäftsstelle der VVN gesammelt, jedoch offensichtlich nie katalogisiert worden, sodass die gezielte Suche nach einzelnen Schriftstücken oder die Recherche zu bestimmten Themen einer Sisyphusarbeit gleichkommt.

Das Archiv der VVN-BdA enthält sämtliche Ausgaben von »Der (antifaschistische) Widerstandskämpfer« von 1968 bis 1987, der internationalen Zeitschrift für Widerstandskämpfer, herausgegeben von der Zentralleitung des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfe der DDR. Die Zeitschrift gibt einen guten Überblick über die Aufklärungs- und Gedenkarbeit in der DDR über die Verbrechen und Verfolgungen während der Zeit des »Dritten Reichs«. Ebenso enthält das Archiv die gebundenen Ausgaben der Wochezeitung »Die Tat (deutsch unabhängig antifaschistisch demokratisch)« von 1953 bis 1967, die in Frankfurt/Main erschien, herausgegeben von der deutschen Widerstandsbewegung, das Organ der Opfer des Naziregimes und ihrer Hinterbliebenen. Während »Der antifaschistische Widerstandskämpfer« mehr ein nationales Verbandsorgan ist, ist »Die Tat« eine politische Wochenzeitung mit allen Themen einer Zeitung mit dem Schwerpunkt Mahnung und Aufruf zur Aufarbeitung der Nazi-Zeit.

Weiterhin findet sich im Archiv umfangreiches Material in Schrift und Bild über die FIR (Fédération Internationale des Resistants).

Das Aktenmaterial dokumentiert schwerpunktmäßig die folgenden Ereignisse:

– die regelmäßig durchgeführten Bundeskongresse der VVN,

– das gescheiterte Verbotsverfahren der Bundesregierung gegen die VVN,

– den Prozess gegen den ehemaligen Bundesminister für Vertriebenenfragen Theodor Oberländer.

Zu den Bundeskongressen finden sich Listen mit Delegierten, Ansprachen, Anträge und Protokolle über die Beschlussfassungen. Besonders ist hier der BK von 1971 in Oberhausen zu erwähnen, auf dem die Öffnung der VVN und ihre Erweiterung zur VVN-BdA beschlossen wurde.

Der zweite große Teilbestand beinhaltet Dokumente zum Versuch der Bundesregierung Anfang der 60er Jahre, die VVN als verfassungsfeindlich verbieten zu lassen. Der Prozess scheiterte schon zu Beginn aufgrund der NS-Verstrickungen des vorsitzenden Richters. Im Bestand findet sich Schriftverkehr der beteiligten Anwaltskanzleien, Protestbriefe einer internationalen Solidaritätskampagne mit der VVN, Schriftsätze zu den Standpunkten der Bundesregierung sowie eine Sammlung der weltweiten Pressereaktionen.

Schließlich ist noch die VVN-Kampagne gegen Theodor Oberländer zu erwähnen, Minister im Kabinett Adenauer und durch seine Nazi-Vergangenheit schwer belastet. Während ihm in der DDR ein juristisch fragwürdiger Prozess gemacht wurde und er in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, erreichte die Kampagne im Westen zumindest, dass Oberländer sein Amt aufgeben musste.

Neben dem allgemeinen Schriftverkehr des Bundesbüros sind dies die historisch interessantesten Dokumente, die nun der Forschung zugänglich gemacht werden sollen. Nach der Erfassung und Neuordnung steht eine Datenbank in elektronischer Form zur Verfügung, die das schnelle Auffinden einzelner Dokumente anhand verschiedener Kriterien ermöglichen soll. Dieser zeitgeschichtliche Schatz wartet darauf gehoben zu werden.