Das Geheimgefängnis

geschrieben von Günter Wehner

5. September 2013

Jonny Granzows historische Flucht-Reportage jetzt auch auf deutsch

Jan.-Feb. 2013

Jonny Granzow: Der Ausbruch aus dem Geheimgefängnis in Castres.Eine historische Reportage. edition bondoni, 1.Auflage 2012. 259 Seiten

ISBN 978-940781-27-7

Der Ausbruch von 35 politischen Gefangenen aus einem Geheimgefängnis im südfranzösischen Castres gelingt am 16. September 1943. Er könnte das Drehbuch zu einem spannungsreichen Film abgeben: nach drei gescheiterten Versuchen zur Flucht, heimlich über die Gefängnismauern, entschließen sie sich zum Äussersten und Unwahrscheinlichsten – zum gewaltsamen Ausbruch. Nach einem minutiösen Plan werden die Wachen überwältigt, in Zellen eingesperrt und die Gefangenen verlassen das Gefängnis einzeln durch das Gefängnistor. Die Kampferfahrungen besonders der elf Interbrigadisten und die vertraulichen Kontakte zu Widerstandsgruppen außerhalb des Gefängnisses sind bestimmend für das Gelingen des Ausbruchs.

Das vorliegende Buch ist, wie im Untertitel angekündigt, in der Tat eine spannende historische Reportage. Der Autor hat auf der Basis exakter Recherchen alle nur erdenklichen Quellen aufgespürt, für seine Publikation ausgewertet und sinnvoll in das Buch eingeordnet. Spannend und aufschlussreich schildert Granzow die Flucht aus der Haftanstalt.

Der Leser wird knapp aber präzise in das historische Geschehen eingeführt. Im ersten Kapitel erläutert Jonny Granzow die spezielle Funktion des Gefängnisses und die Häftlinge werden mit entsprechenden Dokumenten vorgestellt.

Im Kapitel zwei verweist der Autor auf die kaum bekannte Kollaboration, die es auch in Frankreich gab und auf die Kategorie der Häftlinge, die im Oktober 1941 in Castres in verschärfte Haft genommen wurden. Es waren Interbrigadisten wie Heinrich Rau, Siegfried Rädel und andere Spanienkämpfer aus verschiedenen Nationen.

Im nachfolgenden Kapitel beschreibt Granzow mit entsprechenden Dokumenten die menschenunwürdigen Haftbedingungen und belegt, dass die Existenz des Geheimgefängnisses Castres ein offenes Geheimnis war.

Das dramatische Fluchtgeschehen schildert Jonny Granzow plastisch, unterlegt mit einer Vielzahl von interessanten Dokumenten der Beteiligten. Die Leser der Publikation werden außerdem über die Helfer der aus der Haft Entkommenen informiert und der Autor schildert, wie die Verfolger relativ hilflos die Jagd auf die Geflohenen aufnahmen, sich gegenseitig beschuldigend, die Flucht begünstigt zu haben.

Zu Recht hebt J. Granzow unter der Überschrift »Sechzig Jahre später: Rückblick auf zwei außergewöhnliche Menschen« das Wirken von Noémie Bouisière und Rudolf Leonhard hervor. Die französische Widerstandskämpferin Bouisière war an vielen illegalen Aktionen beteiligt. Sie half maßgeblich beim Ausbruch der Inhaftierten aus dem Geheimgefängnis und unterstützte die deutschen Antifaschisten uneigennützig. Rudolf Leonhard wird ebenfalls beeindruckend vorgestellt und sein Wirken als Widerstandskampfer faktenreich geschildert.

Im abschließenden Kapitel schildert und belegt der Autor wiederum mit zahlreichen Dokumenten und Fotos, wie sich die geflohenen Interbrigadisten erneut in die antifaschistische Widerstandsbewegung in Frankreich einreihten.

Im umfangreichen Anhang geht der Autor bewusst auf die wenig bekannten deutschen Akteure im französischen Widerstand ein. So legt er erstmalig posthum Berichte von Gerhard Leo, Heinz Pries und anderen Angehörigen der Résistance vor, die über vielfältige Aktivitäten im Widerstand Zeugnis ablegen.

Ein besonderer Vorzug des Manuskriptes ist die leserfreundliche Zuordnung der Fußnoten sowie der zahlreichen Dokumente und Bilder. Hervorzuheben ist die akribische Übersetzung des Buches, das zunächst auf französisch erschienen ist.

Diese Publikation schließt eine empfindliche Lücke der Widerstandsliteratur. Dem Rezensenten ist trotz jahrzehntelanger Arbeit zum Thema Widerstand bisher kein Buch dieser Art zu Gesicht gekommen.