Die Freiheit kam im Mai

geschrieben von Gina Pietsch

5. September 2013

Iakovos Kambanellis` Roman liegt nun auch auf deutsch vor

Juli-Aug. 2011

Iakovos Kambanellis »Die Freiheit kam im Mai« Ephelant Verlag Wien, aus dem Griechischen von Elena Strubakis, April 2010, 336 Seiten, 22 Euro

Um so bedeutender, wenn wir uns an die neuste Wanderausstellung des Mauthausen-Komitees erinnern, dass es da eine Familie Langthaler im Nachbardorf Winden gibt, die zweien der 490 die Tür geöffnet und sie bis zur Befreiung versteckt hat. Hoffnung also, immer wieder.

Es ist ein schön geschriebenes Buch. Aber es ist kein schönes Buch. Es kann kein schönes Buch sein, denn es handelt von Mauthausen, einem KZ an der Donau, in dem 240.000 Menschen dem Terror der Nazis zum Opfer fielen. Der Autor war dort Häftling, in seinem 21. Lebensjahr, eingeliefert mit dem Vermerk in seinen Papieren R.U., »Rückkehr unerwünscht«, und befreit zwei unendlich lange Jahre danach.

Jakovos Kambanellis ist in Griechenland eine Legende, Dramatiker, Drehbuchautor, Schriftsteller, Dichter, Maler und Regisseur. Wir lernten ihn kennen als Verfasser der vier Gedichte zu Mikis Theodorakis‘ »Mauthausen-Kantate« vom Jahre 1965. Aber er ist auch der Dichter dieser großen Prosa »Die Freiheit kam im Mai«. Zwei furchtbar schöne Werke also, die es deshalb wurden, weil beide Autoren Konzentrationslager und Gefängnisse von innen kannten, Mikis ein Dutzend Mal, aus Makronissos, in Oropos, Athen und und und, Iakovos in Mauthausen, 1943 bis August 1945.

Letzteres Datum wird jeder, der im 8. Mai 45 das Ende von Albträumen sieht, als ungewöhnlich empfinden, und er ist damit sofort beim Ungewöhnlichen dieses Buches.

Nicht alle, für die die Hölle mit der Befreiung des Lagers Mauthausen durch die amerikanischen Alliierten endete, konnten sofort die Heimreise in ihre Länder antreten.

Sie waren zu viele, sie waren krank, ausgezehrt, wogen im Durchschnitt 32 Kilo, ihre Heimatorte verwüstet, die Familien zerstört, das Land jüdischer Träume noch nicht wirklich errichtet oder schon wieder abgesperrt von den Engländern. So blieb dieses Todeslager für viele Tausende erst einmal einzige Bleibe, Warteraum auf Zukunft und für die noch Kräftigen und Mutigen Stätte für wichtige Arbeit, schöne, hilfreiche und grausige. Von all dem berichtet Kambanellis‘ Buch, das in Griechenland 30 Mal verlegt wurde unter dem Titel »Mauthausen« und das uns seit dem vorigen Jahr in deutscher Sprache unter dem Titel »Die Freiheit kam im Mai« vorliegt. Der Dichter konnte es noch kurze Zeit in den Händen halten. Am 29. März 2011 starb er in Athen.

Im April 1945 war für ihn kaum vorstellbar, an ein Leben bis in unsere Zeit zu glauben. Er war, wie alle, beschäftigt, das Überleben zu lernen. Dazu gehörte Absurdes. »Eine Kruste aus Verrücktheit ums Hirn« sollte er sich zulegen, rät ihm ein älterer, in den Qualen des Lagers schon erfahrenerer Mithäftling. Warum? fragt Kambanellis und erhält die Antwort, dass ein Warum das Überleben gefährdet. Warum schlagen sie mich so? ist unsinnig zu fragen, wenn die Ausrottung von Menschen zur Staatsideologie geworden und so für Staatstreue und Mitläufer das Widernatürliche, Irre, Verbrecherische verliert. Wirklich absurder Schutz zum Überstehen des Grauens.

Und dann sind amerikanische Bomber über dem Lager zu hören, Hoffnung für die einen, Angst für die anderen. Die Tage, bis die Häftlinge das Eisen des riesigen Ami-Panzers küssen, der durchs Tor mit der Aufschrift »Arbeit macht frei« kam, vergehen in Hektik. Die SSler fangen an, die Archive zu verbrennen mit den Namen der Gehängten, Erschossenen, Vergasten, von Hunden Gefressenen. Und sie töten noch schneller. Die Opfer stehen Schlange an den Massengräbern. Dann aber kommt der 5. Mai. Die schlimmsten der 9.859 Henker sind geflohen, wenige den Fäusten der Häftlinge zum Opfer gefallen, und es beginnt die Organisation des neuen Lebens. Vier Monate dauert es für Kambanellis, und an keinem der Tage kann er der Tod ausblenden. Da sind die Massengräber. Sie graben die Toten aus und begraben sie wieder, einzeln und würdig, auf dem Fußballplatz, nun also ein riesiger Friedhof. Sie lernen wieder Freiheit kennen, die Dörfer im Umkreis, mit denen, die von nichts wussten, die die Skelette, die an den Bahngleisen arbeiteten, nicht gesehen haben wollen.

Sie, die gelitten haben, sollen nicht plündern, tun es aber doch, dringen in die prall gefüllten Vorratskammern der Bauern ein, die von ihnen noch immer als von Verbrechern reden.

Der US-Kommandant in Mauthausen, Colonel Richard Seibel fordert jede Nation auf, einen Sprecher zu wählen, um die Heimreise zu organisieren. Die Deutschen wählen den erfahrenen Franz Dahlem, die noch lebenden 1000 Griechen den dreiundzwanzigjährigen Kambanellis, eine »grässliche Dissonanz«, wie er findet. Aber er lernt, und alle lernen.

Aus 30.000 zu Nummern Degradierten werden wieder Einzelne, Menschen, Unterscheidbare, Griechen, Russen, Polen. Es gibt Unmengen zu tun. Sie zählen 240.000 Tote, mühsam, denn die Bücher sind gefälscht. Die »innere Freiheit« zu lernen, scheint das Schwerste. Da sind die Amnesien, gerade, wenn man in den Dörfern sitzt, beim Bier. Die »Große Flucht« wird erinnert, der Ausbruch der 490 russischen Kriegsgefangenen aus der Todes-Baracke 20, die, wenn sie nicht von der SS erschossen oder im Zaun vom Strom erschlagen oder von SS-Hauptscharführer Spatzeneggers menschenfressenden Hunden zerfleischt wurden, dann eben den Äxten, Keulen und Messern der Dorfbevölkerung zum Opfer gefallen. Das kann nicht vergessen werden.