Die grauen Busse

geschrieben von Annika Sembritzki

5. September 2013

Ein ungewöhnliches Denkmal macht in Berlin Station

März-April 2008

Seit dem 18. Januar 2008 beherbergt die Stadt Berlin das Wanderdenkmal der Grauen Busse. Es steht am Busparkplatz hinter der Philharmonie. Hier hatte sich die zentrale Planungsstelle für das faschistische „Euthanasie“- Programm – nach dem Haus Tiergartenstraße 4 „T4“ benannt – befunden und der Transport von psychisch kranken Menschen in die Tötungsanstalten seinen, zumindest planmäßigen, Anfang genommen.

Der Betonbus ist der mobile Teil eines Projektes von Horst Hoheisel und Andreas Knitz; der zweite Teil, ein weiterer Bus, ist dauerhaft in der Pforte der Heilanstalt Weißenau platziert, von wo aus in den Jahren 1940/41 Menschen zur Vernichtung abgeholt worden waren.

Der mobile Teil des Denkmals wechselt seinen Standort, er wird für jeweils für einige Monate oder Jahre an den unterschiedlichsten Orten Deutschlands auftauchen; und mit ihm dieselben Fragen wie zu der Zeit, als die wirklichen Grauen Busse im Land unterwegs waren: Wen transportieren sie; warum kann man nicht hineinsehen? Wohin fahren sie?

Hier, zwischen den Fassaden der Berliner Philharmonie, springt der Bus aus Beton nicht unmittelbar ins Auge. Wie die Geheimaktion T4 selbst, scheint er sich hintertürs Richtung Tiergarten hinauszuschleichen. Wie viel ungewöhnlicher muss sein Anblick an einer offenen Landstraße oder einer Anhöhe sein! Der steinerne Nachfahre des historischen Transportmittels stellt sich dem Betrachter in den Weg und zwingt ihn, seine Bedeutung zu hinterfragen. Er bezieht die Vorübergehenden schonungslos mit ein; sogar denjenigen, der sich abwendet (und damit jenes Verhalten wiederholt, das die Transporte nach Grafeneck geschehen ließ), – diesen vielleicht umso mehr! Denn das Artefakt ist hartnäckiger als die Originale- es fährt nicht vorbei, gestattet dem Betrachter nicht, es zu übersehen. Es ist noch da, wenn er seine Augen wieder öffnet.

Das „Täterwerkzeug Bus“, fordert eine Identifikation ein. Die Darstellung konkreter Opfer könnte dazu führen, dass diese als „fremde Andere“ empfunden werden, zu denen man sich nicht unmittelbar verhalten muss. Das ist mit den grauen Betonbussen nicht so einfach. Grade das Unkonkrete fördert die Assoziation und das Unbehagen. Die schlichte Darstellung des Busses selbst erweckt nicht Betroffenheit, Mitleid oder Erschrecken. Als solches ist das Transportmittel noch gar nicht offensichtlich Mordwerkzeug – noch gar nicht erkennbar. Erst im gesellschaftlichen Kontext wird es zu einem solchen. Doch ist genau dieser Kontext im Kopf des Betrachters erst einmal hergestellt, muss er sich auch der Verantwortung stellen Und mit ihr der Frage: „Darf ich so etwas zulassen? Warum stelle ich mich ihm nicht in den Weg?“