Die Möchtegern-Großmacht

geschrieben von Die Fragen stellte Ernst Antoni

5. September 2013

Peter Strutynski zur Militärpolitik und den Plänen der
Friedensbewegung

Juli-Aug. 2011

»Einen der bekanntesten Friedensaktivisten in Deutschland« nannte kürzlich die Frankfurter Rundschau den Kasseler Politikwissenschaftler Dr. Peter Strutynski. Nach Jahrzehnten wissenschaftlicher Tätigkeit an der dortigen Universität ging er vor einigen Wochen in den Ruhestand. Als Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und auf vielen anderen friedenspolitischen Feldern bleibt er weiterhin aktiv.

Bestellungen für den Button beim Friedensratschlag, Germaniastr. 14, 34119 Kassel, Tel. 0561/93717974.

antifa: Wie werden sich die US-Afghanistan-Abzugspläne auf die Politik der EU und speziell der Bundesrepublik auswirken?

Peter Strutynski: Zunächst einmal gar nicht. Auch die jetzt bekannt gewordenen Pläne der USA sehen ja nur den schrittweisen Abzug derjenigen Soldaten vor, die Obama 2010 zusätzlich nach Afghanistan beordert hat. Die USA bleiben dann mit rund 70.000 GIs (bisher 100.000) immer noch der mit Abstand größte Truppensteller. Dennoch könnte die Diskussion um den Abzug auch bei uns wieder etwas mehr Auftrieb erhalten. Nach dem Motto: »Wenn das die Amis machen, dann dürfen wir vielleicht auch.« Doch für die Bundesregierung gilt: Abzug – wenn überhaupt – in kleinen Dosen, bis 2014 dann teilweiser Rückzug – immer mit dem Vorbehalt: »Wenn es die Sicherheitslage zulässt.«

antifa: Nachdem mit der »Bundeswehrreform« ja explizit ausgeweitete Auslandseinsätze angekündigt werden – ist schon abzusehen, wo die sich wohl vor allem abspielen sollen?

Peter Strutynski: Das ist eine schwierige Frage. Grundsätzlich gilt, auch nach der Verabschiedung der neuen »Verteidigungspolitischen Richtlinien«, dass die Bundeswehr dorthin geschickt wird, wo deutsche Interessen auf dem Spiel stehen. Und in zweiter Linie können auch vereinzelt UN-Blauhelmmissionen vorkommen – allerdings nur um bei den Vereinten Nationen gut Wetter zu machen. Geografisch gibt es für die Möchtegern-Großmacht keine Beschränkung mehr. Es ist aber zurzeit schwer zu sagen, in welchen Konflikten Deutsche mitschießen sollen. Am ehesten kommt wohl Afrika in Frage. Ein größerer Einsatz könnte im Sudan stattfinden. Dort und in anderen Regionen winkt der Zugang zu wichtigen Rohstoffen und kann den Chinesen Paroli geboten werden.

antifa: Gibt es für den Herbst 2011 eine Art Aktionsfahrplan der Friedensbewegung mit überregionalen Schwerpunkt-Veranstaltungen?

Peter Strutynski: Den gibt es. Er bezieht sich in erster Linie auf den Kampf der Friedensbewegung gegen den Afghanistan-Krieg. Hierzu soll überall im Land der Antikriegstag (1. September) genutzt werden. Hierzu gehört auch noch der 4. September, der zweite Jahrestag des Kundus-Massakers, bei dem auf Befehl eines deutschen Obersten 140 Menschen starben, die meisten von ihnen Zivilpersonen, darunter viele Kinder und Jugendliche. Am 7. Oktober wird der »Friedensratschlag« auf einer Veranstaltung in Berlin eine Bilanz des dann zehn Jahre dauernden Krieges ziehen und Anklage erheben gegen die Verantwortlichen des Krieges. Wir wollen die Täter beim Namen nennen und den Opfern ein Gesicht geben. Darüber hinaus wird sich der nächste »Friedenspolitische Ratschlag« in Kassel – er wird in diesem Jahr um eine Woche vorgezogen auf den 26./27. November – schwerpunktmäßig mit Afghanistan befassen. Und schließlich bereitet die Friedensbewegung Anfang Dezember Aktionen gegen eine Konferenz der Kriegsallianz in Bonn vor. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Friedensbewegung nicht nur Afghanistan im Kopf hat. Wir erleben ja einen neuen NATO-Krieg gegen Libyen, der länger dauert, als die Kriegsstrategen es sich anfangs ausgedacht hatten. Libyen zeigt zweierlei: einmal die Instrumentalisierung des UN-Sicherheitsrats für die Interessen der westlichen Großmächte, zum anderen die Aggressivität und Skrupellosigkeit der imperialen Mächte, wenn es um die Neuaufteilung der Claims in Nordafrika geht.

antifa: Im Frühjahr sah es eine Weile so aus, als könne es – 25 Jahre nach den letztlich erfolgreichen Massenprotesten gegen den Bau der atomaren Wiederaufbereitungsanlage im bayerischen Wackersdorf – zu einem ähnlichen Schulterschluss von Umwelt- und Friedensbewegung und unterschiedlichsten regionalen Initiativen wie damals kommen. Ist das, nach dem, was inzwischen »atompolitisch« abgelaufen ist, schon wieder passé?

Peter Strutynski: Nein, das würde ich so nicht sagen. Was passé ist, ist wohl die Illusion bei vielen, die Grünen würden immer noch eine authentische Antiatom-Politik an der Seite der Bürgerinitiativen betreiben. Ansonsten ist zu hoffen, dass die Bande, die bei den Ostermärschen und den darauf folgenden Aktionen zwischen Friedens- und Antiatom-Bewegung geknüpft worden waren, nicht abreißen. Das ist vor allem eine Aufgabe lokaler und regionaler Initiativen. Als Friedensbewegung haben wir zweierlei gelernt. Erstens: In der Langzeitwirkung unterscheidet sich ein Atombombenabwurf wenig von der Kernschmelze eines Atomreaktors. Und zweitens: Die zivile Nutzung der Kernkraft bildet die technologische und materielle Grundlage für die Anreicherung von Uran, die Herstellung waffenfähigen Plutoniums und die Herstellung der gefährlichen Uranmunition. Wir werden diese Zusammenhänge bei den im ganzen Land stattfindenden Aktionen zum Hiroshima-Gedenken am 6. August herstellen. Übrigens gibt es neuerdings einen Button und einen Aufkleber, der den Standpunkt der Friedensbewegung auf einen kurzen und prägnanten Nenner gebracht hat: Kernkraft + Kriegseinsätze – STOPP. Den Button ziert die bekannte weiße Friedenstaube auf blauem Grund.