Die Schrecken des Krieges

geschrieben von Reinhold Weismann-Kieser

5. September 2013

Otto Herrmanns Zyklus: »Die Verdammten« in Osnabrück

März-April 2013

Der Grafik-Zyklus »Die Verdammten oder Stalingrad – Visionen von Terror und Untergang« wurde von Otto Herrmann in den späten 40er-Jahren nach Motiven aus dem Dokumentarroman »Stalingrad« von Theodor Plievier geschaffen. Noch bis zum 25. April ist ein großer Teil der Blätter im »Erich Maria Remarque-Friedenszentrum« in Osnabrück zu sehen.

1985 schrieb Herrmann über diese Arbeiten: »Was ich mit meinen Bildern zum Ausdruck bringen will, ist der Krieg aus der Sicht des einfachen Landsers, des ‚Schützen Arsch‘ in aller Welt.« In seinen atemberaubenden und erschütternden Bildern geht es ihm also nicht um eine konkrete Anklage gegen die verbrecherischen politischen Ziele, für die die Soldaten in diesen Krieg gejagt und schließlich der Vernichtung anheim gegeben wurden, es geht ihm um das allgemeine »System ‚Kommiss’», das er im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger, 1939 bis zu seiner UK-Stellung 1940 noch als 40-jähriger durchmachen musste. Dessen Repressionsorgane treten in den Blättern deshalb nur als Subalternoffiziere, Feldjäger und Erschießungskommandos in Erscheinung. Es »ging ihm nicht um das eine historische Ereignis an der Wolga, sondern um … den Tiefpunkt selbst geschaffenen menschlichen Elends im Krieg.« So zeigt er Leichenberge, Elendsgestalten – von Hunger, Kälte und Seuchen gequält – und Vertierung bis hin zum Kannibalismus. Bei den dargestellten Kriegsverbrechen wie »Verbrannte Erde«, erhängte Partisanen (»In den Tod für nichts«) und »im Lager verfaulende« sowjetische Kriegsgefangene sind konkrete Täter nicht erkennbar oder zugleich als Opfer dargestellt (»Zu Verbrechen missbraucht und auf den Müll geworfen«).

Als der Zyklus zum erstmals 1950 in Stuttgart gezeigt wurde, löste er einen Skandal aus. Zwar bestätigten ihm heimgekehrte Kriegsteilnehmer, er habe die Atmosphäre richtig getroffen, lautstark wurde aber auch der Vorwurf erhoben, seine Darstellungen seinen eine Beleidigung der Wehrmacht. Bis 1960 folgte dann keine weitere Ausstellung. »Die Verdammten« störten die Verdrängung der Vergangenheit unter den Bedingungen der Westintegration, der Wiederbewaffnung und des beginnenden »Wirtschaftswunders«. Erst nach 1968 unter dem Eindruck des Vietnamkrieges wurde das Werk – inzwischen vielfach erweitert und variiert – regelmäßig gezeigt.

Herrmann erging es damit fast so wie seinem großen Vorläufer Francisco Goya. Dessen Zyklus »Die Schrecken des Krieges« schildert die grausamen Kämpfe zwischen den Truppen Napoleons und den aufständischen Spaniern von 1810 bis 1814. Trotz seiner Sympathien für das napoleonische Regime sind diese Darstellungen frei von politischen Wertungen. Dennoch konnten sie unter den Bedingungen der Restauration jahrelang nicht gezeigt werden und galten auch später als »unpatriotisch«.

Auch die Romanvorlage Plieviers war massiven verleumderischen Angriffen ausgesetzt. Zwar erschien die erste Buchausgabe im Aufbau-Verlag bereits millionenfach, wurde auch in den Westzonen in Lizenz nachgedruckt und in viele Sprachen übersetzt. Mit der Verschärfung des kalten Krieges verfiel sie jedoch im Westen dem Verdikt, ein »kommunistisches Machwerk« zu sein. So ließ 1963 der damalige Generalinspekteur der Bundewehr Foerstch verkünden, der Roman stamme »von dem kommunistischen Schriftsteller Plievier« und sei »während des Krieges in sowjetischem Auftrag geschrieben« worden. Der auf ihm beruhende Fernsehfilm sei geeignet, die Soldaten in ihren Aufgaben zur Verteidigung der demokratischen Freiheit »zu beirren«. Wohl waren die Veröffentlichung des Romans und die dafür ermöglichten Recherchen in Kriegsgefangenenlagern Ausdruck der damaligen sowjetischen Politik, die zur Gründung des Bundes Deutscher Offiziere (BDO) und des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD) führte, Plievier war jedoch nie KPD-Mitglied und siedelte schon 1947 in die US-Zone über.

Die Ausstellung »Die Verdammten« war 1950 noch ein heilsamer Schock gegen den allgemeinen Wunsch nach dem Vergessen. Heutigen Betrachtern sind viele Bilder wohl ohne den historischen Kontext, wie er in der Romanvorlage an vielen Stellen gegeben ist, schwer verständlich. Außerdem sind wir mit Menschenrechtskriegen konfrontiert, die mit Drohnen und anderen »intelligenten« Waffen geführt werden. Die Söldner der Zukunft, die die »Joysticks« bedienen sollen, wird die Ausstellung also kaum zum Nachdenken bringen.