»Die VVN macht Sinn«

geschrieben von Aufgeschrieben von Regina Girod

5. September 2013

Ein Gespräch unter Aktiven über ihre Wege in die VVN-BdA

April-Mai 2012

Esther Bejarano

Jahrgang 1924, Sängerin, Hamburg. Sie überlebte die KZ ¬Auschwitz und Ravensbrück und ist Ehrenvor¬sitzende der VVN-BdA.

Falk Mikosch

Jahrgang 1957, Kaufmann, Düsseldorf. Er ist Funktionär bei ver.di und Landessprecher der VVN-BdA Nordrhein-Westphalen.

Cornelia Kerth

Jahrgang 1954, Ethnologin/Afrikanistin, als Pädagogin tätig. Sie ist Mitglied im Landesvorstand Hamburg der VVN-BdA und Bundesvorsitzende der VVN-BdA.

Markus Pilarski

Jahrgang 1982, Student der Geschichte und Philosophie in Potsdam. Er ist Mitbegründer des VVN-BdA-Landesverbandes Brandenburg und Vorstandsmitglied im »Deutschen Mauthausenkommitee Ost«.

Esther Bejarano

Ich habe zum ersten Mal etwas von der VVN gehört, als ich in Hamburg auf einem Friedensschiff war. Das war in den 70er Jahren. Meine Tochter Edna hat damals in einer Gruppe gesungen, die zu diesem Friedensschiff eingeladen wurde und ich habe sie begleitet. Auf dem Schiff habe ich Kurt und Steffi Wittenberg kennen gelernt. Die haben mir gesagt: Es gibt eine Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, vielleicht hast du Interesse, dich dort mal blicken zu lassen. Damals wusste ich überhaupt nichts über solche Dinge. Ich bin 1960 aus Israel nach Deutschland zurückgekommen, das ist mir sehr schwer gefallen, weil Deutschland für mich das Land der Täter war. Doch wir hatten keine andere Wahl, wir mussten aus Israel weggehen. Ich habe das Klima dort nicht vertragen und mein Mann war nicht bereit, immer wieder zum Kriegsdienst zu gehen.

In Deutschland habe ich zunächst in allen älteren Menschen die Mörder meiner Eltern und meiner Schwester gesehen.

Eine Zeit lang hatte ich das Gefühl, dass ich doch wieder zurück nach Israel müsste, so schlimm war das. Aber als ich dann in Elmsbüttel eine Boutique eröffnet habe, wurde die bald eine Art Kommunikationszentrum und da kamen auch Menschen, die in der Nazizeit verfolgt waren und Widerstand geleistet haben, zu mir. Das hat mich sehr interessiert, weil ich bis dahin gar nicht gewusst hatte, dass es in Deutschland Widerstandskämpfer gab. Trotzdem wollte ich damals noch nicht in eine Organisation gehen. Ich wollte auch nichts erzählen. Ich habe jahrelang nichts erzählt, auch meinen Kindern nicht.

Aber die Frauen von der VVN haben mich richtig bearbeitet, sie wollten unbedingt etwas von mir wissen über Auschwitz und über Ravensbrück.

Darüber sollte ich dann einmal bei einer Veranstaltung der VVN berichten. Ich hatte mir auch etwas aufgeschrieben, aber ich konnte nichts sagen. Mir sind die Tränen herunter gelaufen und ich konnte einfach nicht sprechen. Steffi Wittenberg hat dann für mich vorgelesen, was ich aufgeschrieben hatte. So bin ich mit der VVN zusammengekommen und das war wie ein Trost für mich. Ich war so glücklich, Menschen kennenzulernen, die auch verfolgt waren. Und wie sie gegen die Nazis gekämpft haben, das hat mir unheimlich gefallen. Aber ich bin immer noch nicht in die VVN gegangen. Ich wollte nicht politisch sein, ich wollte meine Ruhe haben.

Dann kam der Tag, an dem die NPD vor meiner Boutique einen Infotisch gemacht hat. Da habe ich gedacht, jetzt muss ich etwas tun. Am nächsten Tag bin ich in die VVN eingetreten. Das war, glaube ich, 1978. Heute ist die VVN das Wichtigste für mich überhaupt hier in der Bundesrepublik. Dass die Arbeit der VVN nötig ist, das sehen wir ja jeden Tag und ich tue auch etwas dafür. Für die VVN und für das Auschwitzkomitee.

Falk Mikosch

Viele von meiner Generation, die 1989/90 so um die 30 waren, sind weg von der Politik – bis heute. Die meisten, mit denen ich in den Siebzigern und Achtzigern Politik gemacht habe, sind beruflich sehr erfolgreich geworden, aber politisch spüre ich bei ihnen eine tiefe Enttäuschung.

Ich habe mich fast zwanzig Jahre verabschiedet, höchstens noch Zeitung gelesen.

In der Gewerkschaft und der VVN bin ich geblieben, aber nur als zahlendes Mitglied. 1981 oder 82 bin ich in die VVN gekommen. Werner Sterzenbach hat mich damals aufgenommen, in Düsseldorf.

Bis 1989 waren wir sehr aktiv in der SDAJ und der DKP. Plötzlich war das nicht mehr da und ich habe mich zurückgezogen bis vor vier, fünf Jahren.

Für mich war das schon ein gewisses Trauma, dass mein Engagement so einfach vom Tisch gekehrt wurde. Ich hatte zwei kleine Kinder, habe mich auf meinen Beruf konzentriert und war relativ erfolgreich bis vor ein paar Jahren. Trotzdem habe ich gespürt, dass das Leben immer schlimmer wird. Die so genannten »Mittelständler« haben ja heute gar keine Lebensperspektive mehr. Du kannst ja gar nicht mehr planen, du weißt ja nicht mehr, was im nächsten Jahr ist. Das macht schon etwas aus, auch für Leute, die gutes Geld verdienen und eigentlich beruflich sicher sind. Es hat sich so viel zum Schlechten geändert, da wurde mir klar, ich muss mich wieder engagieren.

Das Einzige, was in Frage kam, war die VVN. Faschismus ist das Schlimmste – also Antifaschismus.

Ich habe für mich da einen klaren Plan. Seit einem Jahr bin ich Landessprecher und seit einem halben Jahr wirklich am Arbeiten. Ich gebe mir die Mühe und fahre durch alle Kreise. Was ich festgestellt habe: In den Kreisen läuft VVN-mäßig sehr viel. Was uns in NRW einfach noch nicht gelingt, ist das auf der Landesebene sichtbar zu machen. Die Aachener haben zum Beispiel ein antifaschistisches Fußballturnier gemacht mit 12 oder 15 Mannschaften – das haben wir erst hinterher erfahren. Die Organisation funktioniert also noch nicht richtig. Vom Kreis zum Land zum Bund müsste eine durchgehende Verbindung da sein. Wenn die einen Erfolg haben in ihrem Kreis, warum soll das nicht woanders auch funktionieren? Da fehlt einfach noch ein Stück Kommunikation.

Cornelia Kerth

Ich bin als aktives Juso-Mitglied zur VVN gekommen. Bei uns war tatsächlich in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre Antifaschismus ein wichtiges Thema.

Und ein wichtiges Thema war auch, dass die SPD einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur VVN hatte, aber keinen zur HIAG.

Da haben wir eine Kampagne für den Eintritt in die VVN gemacht, so bin ich 1980 auch eingetreten.

Markus Pilarski

Ich bin eigentlich nicht zur VVN gekommen, sondern wir haben die VVN bei uns in Brandenburg gegründet. Wir Jungen im Bund der Antifaschisten haben gemerkt, dass in Brandenburg eine Organisation fehlte, die auf Landesebene politisch auftritt und zum Beispiel in die Auseinandersetzungen um die wichtigen großen Gedenkstätten in Brandenburg eingreift. Die noch verbliebenen alten Kameraden und Kameradinnen haben so lange gearbeitet, bis ihnen der Stift aus der Hand fiel.

Bis zum Jahr 2007 haben einige gemeint, mit ihrem Tod sollte ihre Organisation dann auch am Ende sein. Doch dann haben die meisten verstanden, dass ihre politischen Anliegen ja irgendwie weiter getragen werden müssen.

Und genau das haben wir Jüngeren auch empfunden, dass es den Antifaschismus noch braucht in diesem Land. Gerade in dieser Zeit gab es die Auseinandersetzung um das Speziallager in Sachsenhausen. Wir wollten die Erfahrungen von Antifaschisten in diese Debatten einbringen. Ich hatte aber auch schon vorher Berührung mit der VVN als Mitglied der Lagergemeinschaft Mauthausen. Wie bei Euch allen waren es vor allem ganz persönliche Kontakte, die ich in der VVN gefunden habe. Zum Beispiel mit Otto Wiesner in Potsdam. Die haben mich gestärkt, ihre Sache weiter zu verfolgen. Von meiner Herkunft her hätte ich ja vielleicht auch etwas Anderes machen können, ich fühle mich als Teil einer emanzipativen Gesellschaftsbewegung, das ist mehr als das, was man als klassische Linke begreift. Aber für mich war an der VVN ihre Kernkompetenz in Bezug auf die Geschichte wichtig.

Erinnerung und Geschichte geben ja ein Stück weit den Rahmen vor, in dem sich Politik abspielt. In diesem Rahmen gewisse Standards zu erhalten, gerade in restaurativen Zeiten wie heute, vor allem auch mit anderen Partnern in der Gesellschaft, das ist das, was ich als meine Sache entdeckt habe.

Da ist niemand, der sich sonst darum kümmert. Wenn wir das nicht tun, bricht es weg und kann nicht mehr für die nächsten Generationen erhalten werden. In der authentischen Begegnung mit den Älteren die Tradition der Resistenz aufzunehmen, das ermöglicht mir die VVN. Beim Mauthausenkomitee war es das selbe. Wie überall in den Lagergemeinschaften und Komitees musste ein Generationswechsel vollzogen werden. Und das Mauthausenkomitee saß in Potsdam, für mich also vor der Haustür, da kannte man sich schon, es lag einfach nahe, dort mitzumachen.

Esther Bejarano: Für uns Alte ist es ganz wichtig, dass wir in der VVN möglichst viele junge Menschen haben, die unsere Arbeit weiterführen werden. Das ist unsere ganze Hoffnung.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass die jungen Menschen, zum Beispiel auch bei uns im Auschwitz-Komitee, das übernehmen werden.

Natürlich wird es anders sein als bei uns, Zeitzeugen kann man nicht ersetzen. Aber für uns ist es ein Trost zu wissen, dass unsere Geschichte nicht vergessen sein wird.

Cornelia Kerth: Vorhin habe ich erzählt, wie ich zur VVN gekommen bin, aber aktiv wurde ich tatsächlich erst Ende der 80er Jahre, als es in der VVN erhebliche Auseinandersetzungen gab. Einerseits waren das natürlich politische Auseinandersetzungen, sie hatten aber auch etwas von einem Generationskonflikt. Plötzlich stand bei einer Landesdelegiertenkonferenz in Hamburg die Notwendigkeit, eine neue Leitung zu wählen, die in die bisherigen Konflikte nicht involviert war.

Zur Jahreswende 1989/90, stand auf einmal die Frage, ob es die VVN überhaupt weiter geben wird. Zum Glück waren genügend Menschen da, die darauf bestanden, dass die VVN weiter leben muss und zwar mit allen, die bereit waren, dabei mitzuwirken.

Einen Teil der Mitglieder haben wir damals verloren, aber jene, die dabei blieben, Junge und Alte aus verschiedenen politischen Zugängen, haben damals die Organisation neu erfunden. Und zwar unter der Bedingung der Delegitimierung des Kommunismus, mit der ja eigentlich auch die politische Delegitimierung des Antifaschismus verbunden werden sollte. An dieser Stelle hatte die VVN eine ganz wichtige Aufgabe und ich glaube, sie hat stark dazu beigetragen, dass es nicht möglich war, den Antifaschismus einfach mit vom Tisch zu wischen.

Doch für mich gibt es noch einen anderen Aspekt, warum die VVN heute wichtig ist. Für Eure Generation, Esther, ist es wichtig und ein Trost, dass es Jüngere gibt. Für uns ist das genau umgekehrt. Ich habe zum ersten Mal vom deutschen Faschismus erfahren, als ich als Jugendliche in Frankreich war. Nicht in Deutschland, nicht in meiner Familie, nicht in der Schule, sondern als Fünfzehnjährige in einer französischen Familie. Ich war sehr betroffen und wusste überhaupt nicht, wie ich mich als junges deutsches Mädchen im Ausland jetzt verhalten sollte. Ich habe mich gefragt: »Wer bin ich eigentlich und was sehen die anderen in mir?«

Die Tatsache, dass es deutsche Widerstandskämpferinnen gab, Deutsche in der Résistance, Deutsche im Spanischen Bürgerkrieg, Deutsche in der Sowjetunion und wo überall sonst noch, war für mich geradezu erlösend. Sie trägt die Botschaft, dass nicht entscheidend ist, wann, wo und als was ich geboren bin, sondern wo man sich selbst hinstellt.

In diesem Sinne habe ich in der VVN wirklich eine Heimat gefunden.

Esther Bejarano: Das geht mir genauso.