Die VVN wird 60

geschrieben von Nicole Warmbold

5. September 2013

Verfolgte des Naziregimes gründeten 1947 ihre eigene Organisation

März-April 2007

Mit diesen Kurzporträts wollen wir an Gründerinnen und Gründer der VVN erinnern. Unsere Auswahl soll ein Bild von den unterschiedlichen Herkünften und politischen Motivationen antifaschistischer Widerstandskämpfer vermitteln, die sich bundesweit in der VVN zusammenfanden. Wegen des beschränkten Platzes mussten wir auf wichtige Personen verzichten. Bewusst haben wir auch solche Gründer vorgestellt, die nur ein Stück des historischen Weges mit der Organisation gegangen sind, denn auch das gehört zur wechselvollen Geschichte unseres Verbandes. Geschichte und Politik der beiden deutschen Staaten spiegelten sich in der Organisationsgeschichte der VVN ebenso wider, wie sie selbst Teil dieser Entwicklungen war.

Die Kernaufgaben der VVN waren: Die Aufklärung über die Verbrechen des Faschismus, die Würdigung und Dokumentation des Widerstandes, der Kampf für eine Welt ohne Krieg und Faschismus, die Zusammenarbeit aller antifaschistisch-demokratischen Kräfte, der Aufbau eines demokratischen Deutschlands unter aktiver Beteiligung der Verfolgten des Naziregimes, die Entfernung aller Nazis aus öffentlichen Ämtern, die Bestrafung aller NS-Verbrecher bei gleichzeitiger Entschädigung aller Opfer des Naziregimes, die Zusammenarbeit mit den Bruderorganisationen anderer Länder.

weitere Informationen zur Geschichte der VVN

Elke Reuter/Detlef Hansel: Das kurze Lebend der VVN von 1947 bis 1953, edition ost, Berlin 1997

Ulrich Schneider: Zukunftsentwurf Antifaschismus. 50 Jahre Wirken der VVN für eine neue »Welt des Friedens und der Freiheit«, Pahl-Rugenstein, Bonn 1997

Hans Coppi/Nicole Warmbold: Der zweite Sonntag im September. Gedenken und Erinnern an die Opfer des Faschismus, Berlin 2006

Ausstellung: Der zweite Sonntag im September. Zur Geschichte des OdF-Tages, 12 Tafeln 80 X 120 cm (zu bestellen über die Berliner VVN-BdA)

Im Mai erscheint das Lesebuch zur Geschichte und Gegenwart der VVN, herausgegeben von Hans Coppi und Nicole Warmbold.

Aktuelle Dokumentationen zur Arbeit der VVN-BdA in Dortmund und Bochum, zu beziehen über email vvn-bdanrw@freenet.de.

Verfolgte und Gegner des Faschismus, Überlebende der Konzentrationslager beteiligten sich seit den ersten Stunden nach der Befreiung am Wiederaufbau und politischen Neuanfang, um ein neues, ein anderes Deutschland zu schaffen. Im Sommer 1945 wurden auf Anordnung der Alliierten in zahlreichen Städten aller vier Besatzungszonen »Ausschüsse für die Opfer des Faschismus« gegründet und den Stadtverwaltungen angegliedert. Einerseits Behörde, waren sie zugleich politische Vertretungsorgane der Verfolgten des Naziregimes. Es bestanden aber weiter auch eigenständige Komitees.

Neben Sozialfürsorge, Beratung und unmittelbarer Lebenshilfe für die Verfolgten des Faschismus leisteten die OdF-Ausschüsse Aufklärungsarbeit, veröffentlichten Zeugnisse des Widerstands, fahndeten nach NS-Verbrechern und organisierten zahlreiche politische und kulturelle Veranstaltungen. Die überparteiliche und überkonfessionelle Zusammensetzung der OdF-Ausschüsse war die Fortsetzung der in den Haftstätten und Konzentrationslagern gelebten Gemeinschaft aller Hitlergegner, und sie war zu dieser Zeit im kameradschaftlichen Miteinander und respektvollen Umgang deutlich spürbar. In ihrem Engagement drückten die Verfolgten des Naziregimes ihren politisch-moralischen Führungsanspruch beim demokratischen Neubeginn aus. Die daraus abgeleiteten politischen Aktivitäten und Forderungen der OdF-Ausschüsse führten jedoch wiederholt zu Konflikten mit den Besatzungsbehörden.

In der Folge wurden von NS-Verfolgten in allen vier Besatzungszonen Initiativen zur Gründung einer, vom Behördenapparat unabhängigen, gesamtdeutschen Organisation ergriffen. Die OdF- Ausschüsse waren in diesem Gründungsprozess organisatorisch wie auch personell Wegbereiter der künftigen Verfolgtenorganisation. Eine erste gesamtdeutsche Zusammenkunft von Vertretern sowohl der OdF-Betreuungsstellen als auch der eigenständigen Komitees aus allen Besatzungszonen, konnte im Juli 1946 in Frankfurt am Main stattfinden. Hier wurden die entscheidenden Weichen gestellt: Der Name der künftigen Organisation wurde festgelegt: »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« und ein erstes Programm verabschiedet.

Obwohl die VVN in den folgenden Jahrzehnten in West wie in Ost oftmals heftigem Gegenwind trotzen und nach 1989/90 einen nicht immer leichten Weg zu einer neu geeinten Organisation gehen musste, lebt und arbeitet sie noch heute als größte antifaschistische Organisation in Deutschland. Herzlichen Glückwunsch!

Der 1904 in Wien geborene Hans Schwarz war zusammen mit Bruno Kreisky schon weit vor 1933 in Haft genommen worden. Nach einer kurzen Atempause als Vertreter bei der österreichischen Emigrantenhilfe in Genf und Bern wurde er von 1934 bis 1944 im KZ Dachau inhaftiert, im Oktober 1944 noch in das KZ Neuengamme überführt und im April 1945 zur »Bewährungseinheit Dirlewanger« überstellt. Nachdem er 1945 in Holstein die Freiheit erlangte, war er an der Gründung des »Komitee ehemaliger politischer Gefangener Hamburg« beteiligt.

Als Delegierter auf Interzonenkonferenzen bereitete er aktiv die Gründung der VVN mit vor, im Februar 1947 wurde er als Mitglied der SPD in den Vorstand der VVN gewählt und ihr Schriftführer und Sekretär. Er war Sekretär der VVN für die britische Zone und Delegierter des Gründungskongresses. Bis zu seinem Tod am 7. April 1970 bekleidete er die Funktion des Generalsekretärs der »Amicale Internationale de Neuengamme«. In dem von ihm in aufreibender Kleinarbeit aufgebauten »Hans-Schwarz-Archiv« sammelte er unentbehrliches Quellenmaterial, das 1974 mit seiner reichhaltigen Bibliothek der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg übergeben wurde.

Änne Meier, am 13. Januar 1896 in Baltersweiler/Saar als fünftes von sieben Kindern in einem katholischen Elternhaus geboren, besuchte die höhere Mädchenschule in St. Wedel und später das königliche Lehrerinnenseminar in Saarburg. Sie wird Elementarlehrerin. Während des Krieges arbeitet sie als Aushilfslehrerin. Nach der Rückkehr ihrer männlichen Kollegen aus dem Weltkrieg wird sie 1919 wegen »Überschuss an Lehrkräften« arbeitslos. Nach einem erneuten Studium in Heidelberg wird sie 1920 in Homburg und 1925 in St. Ingbert Sozialfürsorgerin. Privat ist sie Gauführerin der katholischen St.- Georg-Pfadfinderinnen an der Saar.

Wegen ihrer konsequent christlichen Einstellung kommt Änne Meier in Konflikt mit der Nazidiktatur. Sie will verhindern, dass Menschen, die ihrer Obhut als Fürsorgerin anvertraut sind, als »unwertes Leben« getötet werden und weigert sich, »erbbiologische Gutachten« an die Behörden weiter zu leiten.

Nach Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion verbreitet sie handschriftlich vervielfältigte Briefe von der Front, in denen ein junger Kaplan die Unmenschlichkeit des Krieges beschreibt und verurteilt.

Am 21. Januar 1942 wird Änne Meier von der Gestapo verhaftet. Es folgen zehn Wochen Einzelhaft im Saarbrücker Gefängnis Lerchesflur und anschließend die Überführung ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Auf dem Todesmarsch von Ravensbrück nach Neustrelitz gelingt ihr die Flucht. Nach Kriegsende, bis zu ihrer Pensionierung, arbeitet sie als Kreisfürsorgerin in St. Wendel.

Änne Meier gehört zu den Mitbegründerinnen der VVN im Saarland. Bis zu ihrem Tod 1989 war sie Mitglied des Präsidiums und des Ehrenpräsidiums der VVN-BdA.

Aus einem katholischen Elternhaus stammende arbeitete der geborene Münchner als Journalist und Berater der Zentralkommission der christlichen Gewerkschaften in Wien. Bei dem Versuch, Kontakte zu illegalen deutschen Gewerkschaftern aufzunehmen, wurde er bereits 1936/37 von der Gestapo verhaftet. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 wurde er ins KZ Buchenwald deportiert. Dort blieb er bis zur Befreiung. Unmittelbar danach verfasste er im Auftrag amerikanischer Stellen auf der Basis von 150 Erlebnisberichten von Mithäftlingen den »Buchenwald-Report«, der als erstes Dokument die Realität des Lagers und das Wirken der politischen Häftlinge für das Überleben ihrer Kameraden und die Selbstbefreiung dokumentierte.1946 veröffentlichte Kogon das Werk »Der SS-Staat«. Gemeinsam mit Walter Dirks begründete er die »Frankfurter Hefte«. Er gehörte 1946 zu den Mitbegründern der VVN in Hessen, war Mitglied im Landesvorstand und dessen Vertreter im interzonalen Rat der VVN. Manche seiner publizistischen Beiträge, etwa der Aufsatz »Recht auf politischen Irrtum«, stießen in der Folgezeit auf deutlichen Widerspruch aus den Reihen der ehemals Verfolgten. Im Februar 1950 trat Eugen Kogon aus der VVN aus. Auslöser dafür war – so Kogon – ein Artikel in einer KPD-Zeitung, der seine antifaschistische Haltung in Frage stellte. In den Auseinandersetzungen dazu warf er der VVN vor, eine »getarnte Hilfsorganisation des Kommunismus« zu sein. Er schloss sich dem Verband »Freiheit und Menschenwürde« an und wurde 1951 Professor für Politikwissenschaften an der TH Darmstadt.

Eugen Kogon blieb seinem humanistischen, vom christlichen Sozialismus geprägten Anliegen treu und kam seit den 70er-Jahren auch immer wieder in Verbindung zur VVN-BdA, so als Mitunterzeichner von gemeinsamen Appellen und Aufrufen oder durch sein Engagement für Buchenwald.

Im Jahr 1894 in Köln geboren, konnte Edith Leffmann als Kind wohlhabender Eltern ein Medizinstudium absolvieren und nach der Praxiszeit in einem Berliner Kinderkrankenhaus eine eigene Praxis als Kinderärztin eröffnen.. Dabei entwickelte sie ein großes soziales Engagement, was sie in der Weimarer Zeit in die Reihen der Roten Hilfe und der KPD führte.

1933 wurde ihre Praxis von den Nazis geschlossen, sie erhielt Berufsverbot und emigrierte erst nach Belgien, dann nach Frankreich. Nach ihrer Flucht aus dem Lager Gurs schloss sie sich der CALPO an und betätigte sich im Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Mit falschen Papieren kehrte sie als französische Zwangsarbeiterin nach Deutschland zurück, um auch hier den Widerstand zu unterstützen. Nach dem Krieg praktizierte sie wieder als Kinderärztin in Ludwigshafen.. Sie war Mitbegründerin der VVN, später Vorsitzende der Landesorganisation Rheinland-Pfalz.

Willi Bleicher, geboren 1907 in Stuttgart, war ein echtes Kind der Arbeiterbewegung. Schon in jungen Jahren trat er in die Metallarbeitergewerkschaft ein, betätigte sich beim Arbeitersport und im kommunistischen Jugendverband. Anfang 1933 emigrierte er in die Schweiz, von da wurde er nach Frankreich abgeschoben. 1934 kehrt er nach Stuttgart zurück und schloss sich dort einer Widerstandsgruppe an. Nach Verbüßung einer dreijährigen Gefängnisstrafe in Ulm kam er über das KZ Welzheim nach Buchenwald. Dort arbeitete er in der Effektenkammer und versteckte ab 1944 den jüdischen Jungen Jascho.

Der Todesmarsch endete für ihn in Eger, wo er von US-Truppen befreit wurde. Nach Stuttgart zurückgekehrt, wurde er sofort Mitarbeiter des antifaschistischen Arbeitsausschusses seines Stadtbezirkes. Bis zu seinem Ruhestand arbeitete er in leitenden Organen der IG-Metall und des DGB. In vielen Tarifauseinandersetzungen war er ein anerkannte Streikführer. Willi Bleicher war Mitbegründer der VVN. Besonders wichtig war es ihm, seine antifaschistischen Erfahrungen an junge Gewerkschafter weiterzugeben. Viele Jahre lang organisierte er gewerkschaftliche Fahrten nach Buchenwald, Lidice und Auschwitz.

Heinrich Grüber, geboren am 24.06.1891 in Stolberg/Rheinland, war Pfarrer der Bekennenden Kirche und Mitglied des Pfarrernotbundes. Nach dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze beauftragte der Bund Heinrich Grüber, ein Organisationsbüro für die Auswanderung »nichtarischer« Christen zu gründen. Nach der Pogromnacht 1938 richtete er eine Zentrale Hilfsstelle für »Getaufte jüdischer Abstammung« ein. Das so genannte Büro Grüber wurde weltbekannt. Am 19. Dezember 1940 wurde er wegen seiner »volksfeindlichen« Tätigkeit verhaftet und zunächst nach Sachsenhausen. später nach Dachau gebracht. Diese Zeit beschreibt er in seinem Buch »Leben an der Todeslinie«. In Dachau knüpfte er Kontakte zwischen Kommunisten, Juden und Ausländern. Durch unermüdliches Insistieren seiner Frau bei einflussreichen Persönlichkeiten vor allem im Ausland wurde er nach zweieinhalb Jahren Haft entlassen. Die Hilfsstelle war unterdessen aufgelöst. Nur drei ihrer 30 Mitarbeiter haben überlebt. Nach der Befreiung gehörte Grüber zu den »Kirchenmännern der ersten Stunde«. Gemeinsam mit Ottomar Geschke wurde er 1947 zum Vorsitzenden der Berliner VVN gewählt. Später war er einer der Mitbegründer der Christlichen Friedenskonferenz.

Geboren am 28. November 1912 in Marienburg, erlebte er schon in früher Jugend das Stigma der Ausgrenzung der Juden in der Öffentlichkeit. Nach dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze zog er nach Rathenow und musste 1937 als Zwangsarbeiter in einen Rüstungsbetrieb. Am 28. Februar 1943 wurde er mit Frau und Mutter deportiert. Der folgende Leidensweg kann nur in den wenigen Ortsbezeichnungen wiedergegeben werden: Buna-Monowitz-Auschwitz, Todesmarsch im Januar 1945 nach Dora-Mittelbau und Bergen Belsen. Dort wurde er am 15. April von britischen Truppen befreit. Auf dem Weg nach Berlin griff ihn eine sowjetische Militärpatrouille auf und brachte ihn in ein Lager zur Festsetzung von Nazis, da man nicht für möglich hielt, dass ein Jude ein KZ überlebt haben könnte. Im August 1945 schlug er sich nach Berlin durch, ging »sofort an die Arbeit für die Gesellschaft«. Er wurde stellvertretender Leiter des Hauptamtes für die Opfer des Faschismus, Abteilung Nürnberger Gesetze, beim Berliner Magistrat. Gleichzeitig begann er mit dem Aufbau der Jüdischen Gemeinde. Aus seiner Funktion bewarb er sich für die Arbeit in der VVN und wurde deren Mitvorsitzender. Sein Anliegen war von Anfang an, die VVN überparteilich zu gestalten. Die Mitgliedschaft in der VVN stellte sich als Hindernis bei der Beantragung einer Reise in die USA heraus. Galinski hat sich zeilebens für ein breites, parteienübergreifendes antifaschistisches Bündnis eingesetzt. Dafür hatte er bereits beim ersten Treffen der Überlebenden am zweiten Sonntag im September 1945 geworben.

Geboren 1882 in Fürstenwalde, spiegelt Geschkes Biografie ein Stück Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung wider. Er absolvierte eine Schlosserlehre und trat 1910 in die SPD ein. 1917 wechselte er zur USPD. Er gehörte der Spartakusgruppe an und wurde 1918 Mitglied der revolutionären Obleute. Ab 1919 KPD-Mitglied, saß er für die KPD zunächst im Landtag und von 1924 bis 1932 im Reichstag. Er fiel den Faschisten in die Hände, die ihn durch mehrere Konzentrationslager schleiften. Anfang Mai 1945 erlebte er die Befreiung auf dem Todesmarsch von Sachsenhausen. Sofort beteiligte er sich am Aufbau demokratischer Strukturen in Berlin. Hier wurde er Stadtrat für Soziales und Mitbegründer des Hauptausschusses für die Opfer des Faschismus bei der von ihm geleiteten Magistratsabteilung. Gemeinsam mit Heinrich Grüber war er der erste Vorsitzende der Berliner VVN.