Ein einsamer Terrorist?

geschrieben von Interview: Ernst Antoni

5. September 2013

antifa-Gespräch mit Martin Löwenberg, 30 Jahre nach dem
Oktoberfest-Attentat

Nov.-Dez. 2010

Martin Löwenberg, 85, ist KZ-Überlebender, Mitglied im Landesvorstand Bayern und Kreisvorstand München der VVN-BdA. Bis heute ist er in seiner Heimatstadt einer der wichtigsten Organisatoren von breiten Bündnissen gegen Naziaufmärsche. So auch in diesem November, wenn Neonazis zum »Heldengedenken« durch München ziehen wollen.

Offener Brief: siehe unten.

Dreizehn Tote, einer davon der als Attentäter Ermittelte, 211 Verletzte, 68 davon schwer: Vor 30 Jahren, am 26. September 1980, explodierte am Abend eine Bombe am Haupteingang des Münchner Oktoberfestes. Bis heute wird der größte Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland offiziell einem »Einzeltäter« zugeschrieben, dem Studenten Gundolf Köhler. Zwar ist unbestritten, dass dieser Kontakt zur neofaschistischen »Wehrsportgruppe Hoffmann« hatte, Mittäter bei der Vorbereitung und Durchführung des Anschlags habe es aber nicht gegeben. Der Jahrestag des Attentats war nun Anlass für einen Offenen Brief an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, in dem es unter anderem heißt: »Wir ersuchen Sie, die Bundesanwaltschaft zu beauftragen, dass die Ermittlungen zu Täterschaft und politischen Hintergründen des Anschlags auf das Oktoberfest am 26. September 1980 in München wieder aufgenommen werden (…) Schon immer haben begründete Zweifel bestanden, ob das offizielle Ermittlungsergebnis des Bayerischen Landeskriminalamts und des Generalbundesanwalts die Wahrheit wiedergibt. Zu groß sind die Ungereimtheiten und Unzulänglichkeiten bei den Ermittlungen, zu zahlreich die Spuren und Indizien, die nicht berücksichtigt wurden.« Wir sprachen darüber mit Martin Löwenberg, einem der Initiatoren des Offenen Briefes.

antifa: Neben Ignaz Platzer, der 1980 zwei Kinder beim Bombenanschlag auf dem Oktoberfest verloren hat, und dem ehemaligen Münchner Bürgermeister und bayerischen Verfassungsrichter Dr. Klaus Hahnzog bist du einer der Erstunterzeichner. Inzwischen sind es rund Tausend, die sich dem Appell an die Bundesjustizministerin angeschlossen haben.

Löwenberg: Woche für Woche wächst die Zahl und das stimmt mich zuversichtlich. Zwar hat die Bundesanwaltschaft erneut verlauten lassen, dass es keinen Anlass gäbe, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Die zunehmende Resonanz auf den Offenen Brief und kritische Medienveröffentlichungen zeigen aber, dass viele das anders sehen.

antifa: Warum nach 30 Jahren noch diese Beharrlichkeit? Es wird offiziell ja nicht abgestritten, dass der Bombenleger in einem neofaschistischen Umfeld zugange war.

Löwenberg: Das nicht – aber im gleichen Atemzug werden diese Tatsachen als eher nebensächlich abgetan. Seltsame Psychogramme des Täters wurden in Umlauf gebracht, Aussagen wichtiger Zeugen ignoriert – alles mit dem Ziel, ganz schnell zum »Einzeltäter« zu kommen. Und was die Beharrlichkeit betrifft: Ohne die Beharrlichkeit derer, die sich seit Jahrzehnten für die Opfer einsetzen und für eine ordentliche Aufarbeitung des Geschehens gäbe es heute noch nicht einmal die namentliche Erinnerung an die Toten auf dem Mahnmal an der Theresienwiese. Ein Hinweis auf den rechtsextremistischen Hintergrund der Tat fehlt dort allerdings nach wie vor. Die Forderung nach Wiederaufnahme der Ermittlungen ist aktueller denn je, auch wenn einige wichtige Asservate bereits 1997 vernichtet wurden. Immerhin geht es hier ja um Mord im mehreren Fällen, da gibt es bekanntlich keine Verjährung. Heute ist es üblich, mit aktuellen Mitteln der DNA-Analyse Verbrechen aufzuklären, die lange zurückliegen. Das geschieht auch bei wesentlich weniger spektakulären Fällen – und die Ermittlungsbehörden klopfen sich dann meist in den Medien selbst stolz auf die Schultern. Beim Oktoberfestattentat aber hat man bereits vor über zehn Jahren mehrere 1980 am Tatort und im Tatumfeld sichergestellte Beweismittel »entsorgt« – eine Hand, die dem Attentäter zugeschrieben wurde zum Beispiel oder zahlreiche Zigarettenkippen

antifa: Es gibt wichtige kritische Veröffentlichungen zum Thema – beginnend mit dem bereits 1985 erschienen Buch »Oktoberfest. Ein Attentat« des BR-Journalisten Ulrich Chaussy und weiteren Recherchen des Autors, Stellungnahmen des Anwalts Werner Dietrich, der die Interessen von Anschlagopfern vertritt, 2008 dann die Dokumentensammlung »Die Oktoberfest-Bombe« für die Tobias von Heymann Akten des MfS der DDR ausgewertet hat und 2009 der Kriminalroman »Das München-Komplott« von Wolfgang Schorlau. »Alles Verschwörungstheorien«, sagen jene, die sich angesprochen fühlen sollten.

Löwenberg: Na ja – die allererste Verschwörungstheorie kam unmittelbar nach dem Anschlag aus der bayerischen CSU-Regierung. Linke Terroristen hieß es, seien es gewesen. Neun Tage später fand damals eine Bundestagswahl statt, Bundeskanzler war Helmut Schmidt (SPD), sein Herausforderer hieß Franz Josef Strauß (CSU). Dessen Wahlkampfthema war die »Sicherheitspolitik«. Nachdem der Ausweis des Bombenlegers gefunden worden war und dessen ultrarechtes Engagement öffentlich, kam die »Einzeltäter«-These. Der einsame Terrorist – da halte ich es doch lieber mit der Forderung aus unserem Offenen Brief »dieses Verbrechen in seiner Gesamtheit und all seinen Hintergründen aufzuklären und dabei gegebenenfalls auch die Verbindungen vorbehaltlos zu klären, die Verfassungsschutzämter und Bundesnachrichtendienst mit der rechtsextremistischen Szene unterhielten, aus der heraus vermutlich der Anschlag verübt wurde.«

Offener Brief:

Offener Brief an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Sehr geehrte Frau Ministerin,

wir ersuchen Sie, die Bundesanwaltschaft zu beauftragen, dass die Ermittlungen zu Täterschaft und politischen Hintergründen des Anschlags auf das Oktoberfest am 26. September 1980 in München wieder aufgenommen werden, und dass bei diesen Ermittlungen neue beweisrelevante Erkenntnisse Berücksichtigung finden sowie bereits vorliegende Spuren und Hinweise einer neuen und unvoreingenommenen Würdigung unterzogen werden.

Schon immer haben begründete Zweifel bestanden, ob das offizielle Ermittlungsergebnis des Bayerischen Landeskriminalamts und des Generalbundesanwalts die Wahrheit wiedergibt. Zu groß sind die Ungereimtheiten und Unzulänglichkeiten bei den Ermittlungen, zu zahlreich die Spuren und Indizien, die nicht berücksichtigt wurden.

Bei der Suche nach der wirklichen Täterschaft des Anschlags sind auch die neuen Erkenntnisse, die sich aus der Auswertung der Akten der Staatssicherheit der DDR ergeben können, einzubeziehen.

Es ist ein Skandal, dass die anlässlich der Tat gesicherten Asservate bereits 1997 vernichtet wurden. Hier handelte es sich um Mord, der schon 1980 keiner Verjährung unterlag.

Der Öffentlichkeit sowie den Opfern des Anschlags und ihren Angehörigen wurde die Wahrheit in einer Weise vorenthalten, die eines Rechtsstaats unwürdig ist. 30 Jahre nach dem größten Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist es endlich an der Zeit, dieses Verbrechen in seiner Gesamtheit und all seinen Hintergründen aufzuklären und dabei gegebenenfalls auch die Verbindungen vorbehaltlos zu klären, die Verfassungsschutzämter und Bundesnachrichtendienst mit der rechtsextremistischen Szene unterhielten, aus der heraus vermutlich der Anschlag verübt wurde.