»Ein Leben für ein Leben«

geschrieben von Frank Horzetzky

5. September 2013

Ein verstörendes Meisterwerk über Folgen des Holocausts

März-April 2009

»Ein Leben für ein Leben«

»Adam Resurrected«, 2008

Regie: Paul Schrader, Drehbuch: Noah Stollmann. Deutschland, USA, Israel 2008, nach dem Roman »Adam Hundesohn« (1969, dt. Titel) von Yoram Kaniuk

Dr. Frank Horzetzky praktiziert als Facharzt für Psychotherapie und Psychosomatik in Berlin

Vorweg ohne Umschweife: Ein sehenswerter Film! Ausgangspunkt der Handlung ist eine abgeschiedene, in der Wüste gelegene, psychiatrische Klinik im Israel der fünfziger Jahre. Die Klinik wirkt ebenso wie ihre Insassen auf den ersten Blick verwirrend. Alle Regeln scheinen verloren, Tabus gebrochen, es gibt scheinbar keine Hemmungen mehr. Da ist die Frau mit dem Hitlergruß oder die in Unterwäsche, die generelle Distanzlosigkeit, der Verlust von Intimität oder die Liebesbeziehung zwischen Oberschwester und Patient. Doch schnell wird klar, dass diese Menschen etwas Besonderes verbindet. Die Klinikinsassen sind Holocaustüberlebende, entwurzelte, schwer traumatisierte Menschen aus Europa , denen es nicht gelungen ist, ihre Traumatisierungen zumindest soweit zu verarbeiten, dass sie wenigstens äußerlich angepasst in ihrem neuen Alltag in Israel funktionieren. Alle Insassen wirken verstört, in einer verrückten Weise im Trauma fixiert und in ihrem Leben stehen geblieben. Sie tragen etwas nicht zu bewältigend Schreckliches in sich, wirken kindlich, hilflos und dabei ganz menschlich und liebenswert. Ihre Verstörung wurzelt in der tiefen Erschütterung der Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens und ihrer Existenz in dieser Welt. Sie alle ringen um ein Verstehen des Unfassbaren des Zivilisationsbruches, zu unglaublich, zu verrückt war das Ausmaß der sinnlosen Willkür. Voller Verzweiflung klagen sie Gott an, doch der antwortet nicht.

Erzählt wird mittels Rückblenden die Geschichte des ehemaligen Varietéstars Adam Stein (Jeff Goldblum), eines modernen Hiob. Seine Erinnerungen kommen, wie es für Traumata typisch ist, flashbackartig immer wieder über ihn und werfen ihn zurück in die Zeit in Deutschland und im Lager. Für den Lagerkommandanten Klein war Adam der »größte lebende deutsche Komiker«. Ein Clown, Magier, Zirkusveranstalter und Charmeur im Berlin der zwanziger und dreißiger Jahre, ein Mann mit einer starken Ausstrahlung und einem übersinnliches Gespür für die tiefsten Sehnsüchte und Ängste der Menschen. Adam hatte Klein einmal das Leben gerettet und dieser – »Ein Leben für ein Leben« – revanchiert sich nun auf seine – sadistische – Weise: Er lässt Adam als seinen Hund leben.

Als ein kleiner Junge in der Klinik aufgenommen wird, der viele Jahre wie ein Hund gehalten worden war und sich immer noch als solcher gebärdet, kommt es zu einer seltsamen Begegnung mit Adam. Die Geschichte einer unerwarteten Heilung nimmt ihren Anfang. Den Filmemachern, die hervorragend agierenden Schauspieler eingeschlossen, gelingt es auf beeindruckende und subtile Weise zu zeigen, wie Traumatisierungen uns verändern, wie die Täter ein Teil der Opfer werden, den sie nicht mehr los werden können. Es gibt keine Rückkehr zum unbefangenen Zustand davor. Das Ringen zwischen Opfer und Täter geht in den Menschen weiter, noch lange nachdem alles schon vorbei ist und vergiftet ihr Leben. Die Opfer werden ein zweites Mal Opfer und drohen, in dem Kampf zu unterliegen.

Auf verstörende Weise zeigt der Film sowohl die Opfer- als auch die Täterperspektive immer wieder in ein und denselben Personen. Die unvermeidlichen Situationen der Retraumatisierung werden in den Beziehungen anschaulich. In seinem Verhältnis zu dem kleinen, verstörten Jungen wird Adam nicht nur in sein eigenes traumatisches Erleben rückversetzt, er wird unvermeidlich auch mit seinen eigenen introjizierten Täteranteilen konfrontiert und bekommt so einen Zugang zu dem Jungen und zu seinem eigenen Trauma. Beide können daran wachsen.

Neben dieser eigentlichen Geschichte enthält der Film noch eine eher latente Ebene, die Bezug nimmt auf die teilweise permanent traumatisierenden gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen die Menschen in Israel bis heute leben und in denen die unselige Opfer-Täter-Spirale fortgesetzt wird. Die Erschütterungen des Zivilisationsbruches wirken nach. Sie werden transgenerational übertragen. Am deutlichsten wird das, als Adam mit seinem Schwiegersohn am Grab seiner älteren Tochter steht, die den Holocaust überlebt hatte und bei der Geburt ihres ebenfalls toten Sohnes starb. Es ist schwer, darin keine Symbolik zu sehen, ebenso wie in der absurden abgeschiedenen Lage der Klinik, die ein Bild sein mag für die »Aussätzigkeit« der Holocaustüberlebenden, denen es nicht gelingen will, sich in die Alltagverhältnisse einzufinden. Sie erinnern an Leprakranke, die ausgesperrt werden weil die »normal Angepassten« sich bei Kontakt anzustecken fürchten; einerseits hinsichtlich einer fortgesetzten Opfer-Täter-Retraumatisierung, andererseits aber auch hinsichtlich der ständig von ihnen ausgehenden Mahnung, was Gewalt und Traumatisierung mit uns machen.

Der Film entlässt uns mit Bildern, die wir nicht mehr vergessen, die uns in unseren unbewussten Ängsten ansprechen, mit emotionalen Eindrücken die uns die Tränen in die Augen treten lassen. Durch seinen makaberen Humor macht er dem Zuschauer die unerträglichen Wahrheiten doch noch erträglich. Ein anrührender und verstörender, ein tief berührender Film. Ungeteilter Respekt den Filmemacher und Schauspielern.