Ein Mord an der Kultur

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Die Ausstellung »Kunst in Berlin 1933-1938 Verfemt. Verfolgt.
Verboten«

März-April 2013

Als Beitrag zum Berliner Themenjahr 2013 »Zerstörte Vielfalt« zeigt die Berlinische Galerie eine Ausstellung »Kunst in Berlin 1933-1938 Verfemt. Verfolgt. Verboten« (30.01. bis 12.08.2013).

Es geht in dieser Ausstellung um die Zerstörung der modernen Kunst in Deutschland durch die faschistische Kulturpolitik, durch ihre Kampagne gegen »bolschewistisch-jüdische Einflüsse« in der bildenden Kunst, um Abrechnung mit dem jüdisch-bolschewistischen Kulturbegriff«, der als gefährliche Zersetzung arischer Kultur und Lebensform angesehen wurde. Schon im ersten Jahr der Machtübertragung auf Hitler und seine Partei wurden am 10. Mai Zehntausende von Büchern »undeutscher Schriftsteller« in vielen Städten öffentlich verbrannt, weil der Volkszorn angeblich eine völkische Reinigung der Literatur verlangte. Auch Studenten und Professoren waren willige Helfer, besonders in Berlin. Dank des unermüdlichen Engagements von Antifaschisten ist dieses Datum bis heute fester Bestandteil alljährlich mahnender Veranstaltungen geworden.

Leider ist viel weniger bekannt, dass 1937 mit der Ausstellung über »Entartete Kunst« in München nahezu das gesamte moderne Kunstschaffen als »artfremd und ungesund« weil von bolschewistisch-jüdischem Geist verseucht diffamiert worden ist. Vorangegangen war die Beschlagnahme von etwa 20 000 Kunstwerken aus deutschen Museen, sogar private Leihgaben wurden konfisziert. Es sollte nur noch »rassisch« reine Kunst das neue völkische Selbstbewusstsein der Deutschen stärken. Die als Wanderausstellung konzipierte Präsentation, die speziell bei Personendarstellungen den Vergleich mit Geisteskranken nicht scheute, kam 1938 auch nach Berlin, wo 1939 ebenfalls wichtige Werke öffentlich verbrannt wurden. Und als die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 Polen überfiel, säuberten fachkundige Besatzer im arischen Geist die Museen in allen im Laufe des Krieges eroberten europäischen Ländern. Die selbsternannte deutsche Rasse sah in dieser Vernichtungsaktion, die übrigens zugleich die moderne Musik betraf, eine welthistorische Mission.

Als 2005 am Pariser Platz in Berlin das neue Haus der Akademie der Künste eingeweiht wurde, sagte der damalige Präsident Adolf Muschg in seiner »Treppenrede«, dass eine mörderische Rassenpolitik in Deutschland seit 1933 mit der Vernichtung angeblicher »Untermenschen« das Beste ihrer eigenen Kultur ausgemerzt habe, nämlich jenen jüdischen Beitrag, der die »deutsche Kultur zu einem Zentrum toleranter Zivilisation erhoben hätte«.

» … Was wäre gewesen, wenn … dieses Volk seine eigene Kultur begriffen hätte … statt sie und das Volk damit im schwarzen Loch der Barbarei untergehen zu lassen?« Muschg sprach dann sogar vom »Selbstmord der deutschen Kultur im Dritten Reich …«

Leider gibt es keinen Katalog zu der Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Aber die »Chronologie der Ereignisse« auf einem Beiblatt ist vor allem für junge Besucher eine gute Verständnishilfe, die mit Informationen der Forschungsstelle »Entartete Kunst« am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin erarbeitet wurde.

Ich habe mir die Ausstellung sehr genau angesehen. Dabei kam mir die Frage, wie man mit der gleichen überzeugenden Sorgfalt, mit der hier an die Zerstörung der deutschen Kultur in zwölf Nazijahren erinnert wird, die Tatsache skandalisieren könnte, dass heute Vertreter der NPD in deutschen Parlamenten sitzen dürfen, weil die Vielfalt der Bürgermeinungen eben auch »völkisch« vertreten werden darf?

In der Brockhaus-Enzyklopädie ist unter »Entartete Kunst« in gebotener Objektivität Wichtigstes nachzulesen; das weiterführende Stichwort heißt aber nur »Bücherverbrennung« und nicht »Nürnberger Prozess«. Allerdings ist dort wiederum die öffentliche Vernichtung von moderner Kunst und die Vertreibung oder Tötung von Künstlern gar nicht erwähnt.

Die Erinnerung durch Ausstellungen wie diese ist jedenfalls unentbehrlich, denn durch sie wird Geschichte »anschaulich«.