Ein ungewöhnliches Museum

geschrieben von Nanne Wienands

5. September 2013

Erinnerung an den Holocaust in ehemaliger Synagoge in Rumänien

Sept.-Okt. 2011

Seit einigen Jahren engagiere ich mich beruflich zusammen mit einigen Kolleginnen in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen in einem kleinen Ort in Rumänien, in der Nähe von Simleu/Silvanei. Die Menschen in der Einrichtung sind »Überbleibsel« der Ceausescu-Zeit: »Vergessene« Kinder mit Behinderungen, die damals in Krankenhäusern und verlassenen Höfen vor sich hinvegetierten. Sie sind nun alle junge Erwachsene ohne Lebensperspektive. Uns liegt daran, ihre Lebensqualität wenigstens ansatzweise zu verbessern.

In Simleu steht zentral am Marktplatz eine alte Synagoge aus dem Jahr 1883. Man sieht ihr an, dass sie schon bessere Zeiten gesehen hat. Seit 1964 stand sie leer und verlassen. In ihr ist heute das Holocaustmuseum von Simleu untergebracht; es wurde durch private Initiativen am 11. September 2005 eröffnet. Durch die Gründung des Museums kam man der Nutzung des Gebäudes als Diskothek zuvor. Schon lange hatte ich mir vorgenommen, das Museum zu besuchen.

Im Inneren des stolzen Gebäudes bemerkt man den Zahn der Zeit und die Vernachlässigung noch mehr als von außen. Die Decke ist mit einem kräftigen Balkengerüst abgestützt, Risse ziehen sich durchs Mauerwerk. Ein freundlicher junger Mann erklärt sich bereit, mich durch die Bilder und Dokumente zu führen und meine Fragen zu beantworten. Daniel spricht gutes Englisch, er betreut das Museum in seiner karg bemessenen Freizeit. Wer in Rumänien für seinen Lebensunterhalt sorgen muss, braucht oft zwei oder gar drei Jobs, um er über die Runden zu kommen.

Wir gehen von Bild zu Bild, von Plakat zu Brief und Dokument, von Foto zu Überbleibsel. Auf den ersten Blick erscheint alles durcheinander ausgestellt zu sein – und es ist tatsächlich so, dass man alles Material, dessen man habhaft werden konnte, in diesem großen Raum zeigt. Familienfotos, Berichte, politische Erklärungen, immer wieder Fotos von Deportationen, Zwillinge, die nicht mehr leben, Menschen, die überlebt haben, Menschen die andere gerettet haben, junge Menschen, alte Menschen, Paare, Familien, Arbeiter, Schüler…

Aber die Ausstellung, die Zusammenstellung, hat auch eine gewisse Logik. Sie erzählt viele persönliche Geschichten und verbindet diese Schicksale mit Dokumentationsmaterial über die politische Entwicklung in diesem Teil Europas. Zuletzt stehen wir in einer geräumigen Bibliothek, in der sich reichhaltige Literatur zum Holocaust befindet. Von Elly Berkovits-Gross aus Simleu z. B., die als fünfzehnjähriges Mädchen nach Auschwitz verschleppt wurde und überlebte. Sie kehrte nach Rumänien zurück, heiratete und bekam zwei Töchter. Heute lebt sie in den USA (www.ellygross.com).

Es sind vor allem die persönlichen Schicksale, die authentisch geschilderten Ereignisse und die vielen Namen, die mich immer wieder beeindrucken. Wie viel ich schon über die Naziverbrechen gehört habe: das Grauen hört nicht auf. Natürlich auch die Zahlen: In den Ghettos in Rumänien waren zehntausende Juden, Sinti und Roma untergebracht, ehe sie deportiert wurden. Drei Kilometer entfernt von Simleu befand sich das Ghetto Cehei. Bis zu 8.500 Menschen jüdischen Glaubens waren hier, gewaltsam abtransportiert aus ihren Wohnungen und Häusern. Zwischen dem 27. Mai und dem 6. Juni 1944 gingen allein von diesem Ghetto drei große Transporte nach Auschwitz.

Mehrere Organisationen unterstützen heute das Museum. Jedes Jahr werden Konferenzen und Treffen der Überlebenden veranstaltet, es werden Tagungen für Pädagogen, Lehrer und Kulturschaffende organisiert. Auch im Nachbarort Jibou gibt es – dank der Arbeit der Herren Martin Stein und Dr. Alex Hecht – eine Erinnerungsstätte.

Dem jungen Daniel im Museum in Simleu musste ich sagen »Ganz in der Nähe ist ein Heim. Die behinderten Menschen sind unglücklich; sie sind nicht frei. Ich hoffe, dass auch für sie irgendwann der Tag kommt, an dem man Verständnis für sie hat.« Daniel hatte schon von der Einrichtung gehört, war aber noch nie dort gewesen.