Ein zynischer Versuch

geschrieben von Tanja Girod

5. September 2013

Die BRD klagt in Den Haag gegen Entschädigungsansprüche von
NS-Opfern

Mai-Juni 2010

Der IGH, der Internationaler Gerichtshof in Den Haag, beschäftigt sich dieser Tage mit einer Klage »Bundesregierung Deutschland vs. Republik Italien«.

Es geht um die Frage, ob Verbrechen, die unter der Diktatur des deutschen Hitlerfaschismus begangen wurden, direkte Entschädigungsansprüche gegen die Bundesrepublik entstehen lassen und ob es angemessen ist, diese Entschädigungsansprüche gegen deutsches Staatseigentum im Ausland zu vollstrecken.

Eigentlich sollte die Frage solcher Entschädigungen kein Problem darstellen. Die Schuld wird meist leicht festgestellt. Es hat sich allerdings herausgestellt, dass Deutschland oft zahlungsunwillig ist. So hat die Klage wegen eines 1944 verübten Massakers durch deutsche SS-Einheiten an 218 Bewohnern des griechischen Dorfes Distomo zu einem rechtskräftigen Entschädigungsurteil gegen Deutschland über 28 Millionen Euro geführt. Nachdem nichts gezahlt wurde, wurde die Vollstreckbarkeit dieses Urteil in Italien anerkannt und seit März 2009 musste Deutschland auf die Erlöse aller Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf der Deutschen Bahn AG in Italien verzichten.

Deutschland versucht mit seiner neuesten Klage, dieser Form der Betroffenen Gerechtigkeit zu erlangen, einen Riegel vorzuschieben. Eine zynische Taktik angesichts der bekannten Tatsache, dass die betroffenen Entschädigungsopfer immer älter werden und eine Verzögerung der Entschädigungszahlungen – wie bei den Zwangsarbeitern – oft nur noch die Erben betrifft.

Die Bundesrepublik Deutschland möchte als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs durch den laufenden Prozess über das Mittel der »Staatenimmunität« vor individuellen Entschädigungsansprüchen geschützt werden. Bisher hat der IGH das abgelehnt und die Ansicht der deutschen, italienischen und griechischen Opferanwälte geteilt, dass in Fällen gemeiner Menschenrechtsverletzungen dieser Ausnahmetatbestand nicht zutrifft. Sollten NS-Kriegsverbrechen jedoch jetzt unter Staatenimmunität fallen, wäre dies ein falsches Signal. Denn eine solche Entscheidung des IGH hätte auch für andere Auseinandersetzungen Bedeutung, bei denen Zivilpersonen aufgrund menschenrechtlich fragwürdiger Entscheidungen deutscher Militärangehöriger geschädigt wurden. Sie würde sich unter anderem auf Entschädigungsansprüche des ohne UN-Mandat geführten Kosovokriegs und den durch Oberst Klein befehligten Luftangriff im Kundus auswirken.