»Erlebnis Mauthausen«

geschrieben von Siegfried Wolf

5. September 2013

Überzeugendes Resultat eines deutsch-polnischen Jugendprojektes

Jan.-Feb. 2008

In enger Zusammenarbeit der Deutschen Lagergemeinschaft Mauthausen und des polnischen »Klub ehemaliger politischer Gefangener im KZ Mauthausen-Gusen«, wurde ein Projekt geboren, das Aufmerksamkeit verdient. Die öffentliche Präsentation der Arbeitsergebnisse einer deutsch-polnischen Projektgruppe im Foyer des Ernst-Haeckel-Gymnasiums in Werder/Havel am 9. November 2007 kann mit Recht als Sternstunde bezeichnet werden.

Die anwesenden deutschen und polnischen Überlebenden des KZ Mauthausen, ihre Angehörigen und die zahlreichen Gäste aus Werder, Berlin und Umgebung erlebten überaus eindrucksvoll: hier ist nicht die Asche, hier ist die Glut!

Freilich: die hier vorgestellten Lebensbilder polnischer und deutscher Konzentrationäre – so von Wladislaw Zuk, Stanislaw Dobosiewicz, von Robert Rentmeister, Vera Mitteldorf, Johannes (Hans) Müller und Roman Rubinstein – waren bekannt. Nicht aber die Reflexion ihrer Schicksale durch Nachgeborene aus der deutschen und polnischen Enkelgeneration. Deren Bekenntnisse waren anrührend, sie gingen buchstäblich zu Herzen. Da waren keine dröhnenden Deklamationen, sondern teils stockende, manchmal unter Tränen vorgetragene Berichte mitwirkender Schüler und Lehrer darüber, was ihnen bei der Auseinandersetzung mit den Schicksalen der Mauthausener widerfahren ist. Sie haben darüber auch in schriftlicher Form Auskunft gegeben – gleichsam ein zeitgenössisches »Echolot«.

Welch ein Kontrast zu den gelegentlichen Aufwallungen politischer Bedeutungsträger nach neo-faschistischen oder antisemitischen Anschlägen! Hier teilen junge Deutsche und junge Polen in Wort, Schrift und Bild mit, wie das »Erlebnis Mauthausen« ihr Leben verändert hat, dass die Begegnung mit den Zeitzeugen, deren Nachkommen und mit Dokumenten, der Aufenthalt in der barbarischen Steinwelt der Gedenkstätte vor Ort zu einer grundstürzenden Selbstbegegnung wurde.

Dabei wurde durch die Initiatoren des Projektes der pädagogische Königsweg beschritten: nicht Überwältigung durch »vorgesetzte« Lehrer, keine Schockbekehrung, keine Nötigung mit einer nicht vorhandenen historischen Schuld, sondern der steinige Weg der Erkenntnis in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und mit sich selbst. Neben dem überzeugenden Ergebnis dieses Schülerprojektes war noch eine andere Dimension ganz offensichtlich. Die Projektleiterin, Lehrerin und Mitglied im Vorstand der Lagergemeinschaft Mauthausen, drückte es so aus: »Der große Erfolg des Projektes besteht für mich darin, dass es gelungen ist, viele verschiedene Menschen zusammen zu bringen«.

In der Tat: da waren die Schulleitung und das Kollegium des Ernst-Haeckel-Gymnasiums und der Zespol Szkol Nr. 26 in Warschau, beraten und unterstützt von der Deutschen Lagergemeinschaft Mauthausen und dem polnischen Klub Mauthausen-Gusen, von der Fraktion GUE/NGL des Europaparlaments, dem Brandenburger EP-Abgeordneten Dr. Helmut Markov, von der Robert-Bosch-Stiftung und dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk. Die polnischen Schüler wohnten bei Werderaner Gasteltern. Alle Fraktionen des Stadtparlaments, die Stadtverwaltung und auch das Brandenburgische Bildungsministerium würdigten durch die Anwesenheit ihrer Vertreter das Ergebnis der mehr als einjährigen Arbeit.

Diese vertrauensvolle Zusammenarbeit verantwortungsbewusster Bürger, ihr zivilgesellschaftliches Engagement über Ländergrenzen und politische Lager hinaus, ihre gemeinsame Ansage »Nie wieder!« ist kaum geringer zu bewerten als das Bekenntnis der jungen Projektteilnehmer. Ein hoffnungsvolles Indiz dafür, dass die Demokratie lebt durch das Engagement der Demokraten.

Übrigens: An der Stirnwand hinter dem Podium hing eine Fahne der VVN-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Das konnte durchaus auch als trotzige Ansage an jene spätgeborenen Antikommunisten im Lande verstanden werden, die sich in jüngster Zeit mit Nachdruck anschicken, einen historischen Paradigmenwechsel des Gedenkens zu betreiben. Der läuft letzten Endes – wie Salomon Korn feststellte – auf eine Verharmlosung des Faschismus hinaus. Dabei sollten diejenigen, die in der Tradition des »größten Wiedereingliederungswerkes belasteter Täter«(Ralph Giordano) in der Nachkriegsrepublik stehen, eigentlich wissen, dass im Fundament der demokratischen Gesellschaft auch der Monolith des Mauthausengedenkens eingefügt ist.