Erst vor Ort begreifbar

geschrieben von Max Ragwitz

5. September 2013

Tagung zur Regionalgeschichte der NS-Zeit in Rostock

Nov.-Dez. 2010

An den im vergangenen Jahr verstorbenen Rostocker Historiker Prof. Dr. Karl-Heinz Jahnke und dessen umfangreiches Schaffen zur Erforschung der NS-Geschichte zu erinnern, war Anliegen einer gut besuchten Tagung zum »Stand der Erforschung der regionalen NS-Geschichte in Mecklenburg-Vorpommern«. Von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Verein Politische Memoriale und dem VVN-BdA in M-V organisiert, fanden deutlich über 60 Teilnehmer in der Rostocker Stadthalle über die beiden Einleitungsreferate und immerhin acht ausführliche Redebeiträge zu einer regen Diskussion. Einleitend beschäftigte sich der Jenaer Faschismus- und Parteienforscher Prof. Dr. Manfred Weißbecker mit dem Thema »Faschismustheorien gestern und heute« und stellte die Frage nach »zeitgemäßem Antifaschismus«. Dabei war, so der Referent, Faschismus anfangs nur eine Namensgebung ohne Definition.

Der aber konnte sich nur durch die finanzielle Unterstützung des Monopolkapitals entwickeln. Insofern stehe der Zusammenhang von Faschismus und Kapitalismus außerhalb jeder Frage. Ganz in diesem Kontext, so Weißbecker, haben aber Faschismustheorien immer nicht nur einzelne Interessen widergespiegelt, sondern entsprachen den jeweiligen (historischen) Situationen und Zielsetzungen. Nach seiner Ansicht ist mit Faschismus in direkter Wiederholung nicht zu rechnen, denn man braucht zurzeit keiner großen revolutionären Bewegung die Stirn zu bieten. Erfolgreicher, für ihn »sauberer«, Antifaschismus muss für ihn »vor allem auch aus der Mitte der Gesellschaft« heraus kommen. Und man müsse sich vor allem auch der gezielten Verdummung beispielsweise durch die neuen Medien widersetzen, meint Weißbecker.

Kontrastreich, aber keinesfalls im Widerspruch zu seinen Ausführungen war der Beitrag von Prof. Matthias Pfüller zur Relevanz erinnerungskultureller Entwicklung für die aktuelle Forschung. Aus eigenem Erleben in der »alten BRD« attestierte er dem damaligen Westen keine stringente, durchgehende Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Geschichte wurde seiner Meinung nach erst mit der Gründung von Geschichtswerkstätten »von unten« aufgearbeitet und das führte besonders ab Ende der 70er Jahre zu Auseinandersetzungen mit Tätern, Opfern und den Orten des Geschehens. Erinnerungskultur macht in diesem Zusammenhang deutlich, wie dicht das Netz der Verfolgung und Unterdrückung war. Und die Entwicklung der Gedenkstättenlandschaft sei, so Pfüller, in Bezug auf die Erinnerungsorte längst nicht abgeschlossen. »Entkoppelte Orte der Erinnerung« seien nicht sinnvoll, so seine These. Man müsse auch in M-V die Zusammenhänge an Hand der verwertbaren Aktenlage darstellen und für sich sprechen lassen.

In diese Richtung sprach sich auch Andreas Wagner von den Politischen Memorialen in M-V aus und fragte in die Runde, wer die Orte der Erinnerung in Zukunft weiterführt. Angesichts vieler Publikationen und Begegnungen mit Überlebenden müsse man weiterhin zeitgemäße Formen des Gedenkens entwickeln und aufzeigen, wie das Netzwerk des Terrors sich im Land etabliert hatte sowie daraus eigenständige pädagogische Angebote insbesondere auch an Kinder und Jugendliche entwickeln. Ganz diesem Anliegen entsprechend, sprach sich MdL Wolfgang Methling (Die Linke) für die weitere Aufarbeitung sogenannter »weißer Flecken« über regionale Patenschaften aus. Daran, so Methling, wolle sich seine Partei und auch die VVN-BdA, beteiligen. Dass dies der richtige Weg ist, verdeutlichte auch der Beitrag von Ramona Ramsenthaler von der Gedenkstätte Wöbbelin anschaulich. »Geschichte wird für Kinder und Jugendliche erst vor Ort begreifbar«, so Ramsenthaler. Damit werden Verständnis für gesellschaftspolitische Grundwerte ebenso gefördert wie die Erziehung zu Toleranz und Offenheit und die Achtung anderer Kulturen. Themen also, die gerade jetzt aktueller denn je sind. Weitere Diskussionsbeiträge hielten unter anderen Wilfried Freier zur Arbeit der Medienwerkstatt des Kinder- und Jugendvereins Rügen und Axel Holz zur kritischen Auseinandersetzung mit der Ausstellung »Neofaschismus in Deutschland«.