Es bleibt die Vorfreude

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Zum Dokumentarfilm »Es kann legitim sein, was nicht legal
ist«

Juli-Aug. 2012

Es kann legitim sein, was nicht legal ist. Martin Löwenberg – ein Leben gegen Faschismus, Unterdrückung und Krieg«.

DVD 94 Min., 24,90 Euro

Von Petra Gerschner und Michael Backmund, Schnitt/Editing: Katrin Gebhardt-Seele, Filmmusik/Soundtrack: Konstantin Wecker

Infos zu öffentlichen Vorführungen, DVD-Verkauf und Kontakt:

www.loewenberg-film.de

»Was hatten wir für Vorstellungen bei der Befreiung. Wir wollten ein anderes, ein antifaschistisches, demokratisches, humanistisches Deutschland schaffen in einer Welt des Friedens und der Freiheit. Und jetzt als alter Mensch muss ich sagen: Das erlebe ich nicht mehr. Aber ich möchte auch deutlich sagen: Die Vorfreude lass‘ ich mir nicht nehmen.« Die Vorfreude auf etwas, von dem einer meint, er werde es nicht mehr erleben… Wenn das keine zuversichtliche Weltsicht ist. Auf dem 27. Internationalen Dokumentarfilmfestival in München hatte unlängst der Film »Es kann legitim sein, was nicht legal ist. Martin Löwenberg – ein Leben gegen Faschismus, Unterdrückung und Krieg« Premiere.

Noch so ein Satz: Der Haupttitel fasst ein längeres Zitat Martin Löwenbergs aus den 90er-Jahren zusammen. Damals sagte er in der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau: »Wo es sich um existenzielle Fragen handelt, stelle ich das Humanitätsprinzip über das Legalitätsprinzip«. Von der Ausweisung bedrohte Roma hatten die Gedenkstätte besetzt, in der Kirche zeitweise Asyl gefunden und waren von unterschiedlichen Gruppen bei ihrer Forderung nach Bleiberecht unterstützt worden. Trotz der Proteste kam es schließlich zur Ausweisung.

Wir sehen im Film ergreifende Szenen, erleben einen damals noch recht jung wirkenden und nassforsch daherredenden bayerischen Innenminister Beckstein. Und wir sind auch musikalisch dabei. Anrührend sind im Soundtrack die Musik der Roma und die Lieder von den Solidaritätsveranstaltungen. Für Soundtrack und Filmmusik sorgte Konstantin Wecker. Der Journalist Michael Backmund und der Liedermacher Wecker halten auch als Interviewer (oder besser: als nachfragende Zuhörer) den roten Faden, an dem entlang Martin Löwenberg beredt seinen Lebensweg ausbreitet.

Nicht ermüdend chronologisch, sondern in Zeitsprüngen, Historisches und Gegenwärtiges im Gegenschnitt. »Wir wollten deutlich machen«, meint Backmund, der mit Filmemacherin und Kamerafrau Petra Gerschner und Cutterin Katrin Gebhardt-Seele rund ein Jahrzehnt an diesem Projekt gearbeitet hat, »dass Martin Löwenberg nicht nur Zeitzeuge, sondern aktiver Zeitgenosse ist, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte immer in der Gegenwart, also in einer konkreten gesellschaftlichen Realität stattfindet.«

Das beginnt schon vor dem Vorspann, wenn man einen alten Herren mit Schiebermütze in lautem Getümmel (»Nazis raus«!) sieht, neben ihm ein punkiges Mädchen mit kunstvoll gewundenem Dreadlock-Krönchen. Strahlend meint der alte Herr, es sei doch schön, dass wieder mal so viele junge Antinazis dabei seien.

Und schon schauen wir vom Cockpit eines Flugzeugs in die Gegend, landen im polnischen Wroclaw, dem einstigen Breslau, und bekommen alte Bilder und Postkarten gezeigt. Aus dem Off erzählt der Mann, dessen Stimme wir aus dem Vorspann kennen. Von Kindheit und Jugend dort, wo er 1925 geboren wurde. Eine Lebensgeschichte, die sich ausweitet, wenn er wieder ins Bild kommt, mit den beiden Befragern vor einem Tisch voll Fotos und Dokumenten.

Martin Löwenberg und sein zwei Jahre älterer Bruder Fred, beide »Halbjuden«, die »arische« Mutter wie ihr verstorbener Mann bei den Sozialdemokraten, engagieren sich in Breslau im Widerstand. Martin wird beim Besorgen von Brotmarken für Zwangsarbeiter verhaftet: Gestapo, Folter, Haft in drei Konzentrationslagern. Nach der Befreiung in München gelandet, gehört er zu den Mitbegründern der VVN, gerät als linker Sozialdemokrat in die Mühlen des Kalten Krieges und in die Gefängnisse der Adenauerzeit, ist in der illegalen KPD aktiv und tritt aus ihr 1968/69 aus, nach der Niederschlagung des »Prager Frühlings« durch die Warschauer-Pakt-Staaten.

Als »Kommunist ohne Parteibuch« sieht er sich bis heute – vor allem aber als Antifaschist, dem an größtmöglicher Breite des Widerstands gegen alte und neue Nazis gelegen ist. Das bringt ihm quer durch die politischen Spektren Anerkennung ein, wie der Film vielfältig zeigt, aber auch absurde Strafverfolgungen. 1995 etwa geht es um das Transparent »Die Täter haben Namen«, auf dem die von der Zwangsarbeit profitierenden Konzerne zu lesen sind, danach um eine Verurteilung Löwenbergs, weil er dazu aufgerufen hatte, sich einem Neonazi-Aufmarsch entgegen zu stellen. Im Film ist dazu Dieter Hildebrandts damaliger Monolog in seinem TV-»Scheibenwischer« zu sehen. Auch das ein Juwel – und nicht das einzige in dieser Dokumentation.