Es geschah in unserer Stadt

geschrieben von Regina Girod

5. September 2013

Schüler erarbeiten ein Buch über die Todesmärsche

Juli-Aug. 2011

Hannelore Rabe »Über die Recknitzbrücke mussten sie alle – Erinnerungen an den Todesmarsch der Häftlinge des KZ-Außenlagers Barth«, Scheunen Verlag 2010

Am 30. April 1945 wurde das KZ Barth, ein Außenlager von Ravensbrück, geräumt. Zuerst wurden die Männer, Stunden später auch die Frauen über Damgarten, Ribnitz und Rövershagen in Richtung Rostock auf den Todesmarsch geschickt. Was ist damals geschehen?

Wie erlebten Häftlinge, Bewacher und Bewohner der Städte und umliegenden Dörfer die Stunden bis zur Befreiung der Häftlinge durch die Rote Armee am 1. Mai?

In den Archiven von Barth und Ribnitz-Damgarten lagen seit Jahren Erinnerungsberichte der Betroffenen, aber auch Berichte von Zeitzeugen aus der Region. Sie stellten die Ereignisse unterschiedlich dar, wurden jedoch immer wieder auch als Quellen für Berichte und Artikel genutzt. Unter Anleitung der Dokumentations- und Begegnungsstätte Barth e. V. haben nun Schüler der BernsteinSchule und des Förderzentrums in Ribnitz-Damgarten in einem Projekt das Material aus beiden Archiven aufgearbeitet und begonnen, die Strecke des Todesmarsches zu dokumentieren. Dabei versuchten sie zu rekonstruieren, welche Marschroute die einzelnen Häftlingskolonnen genommen hatten, was mit den Häftlingen geschah, wann und wo die SS-Wachmannschaften die Gefangenen verließen und was mit den Befreiten weiter passierte. Herausgekommen ist ein interessantes Buch, das nicht nur alle vorhandenen Erinnerungsberichte von Zeitzeugen dokumentiert, sondern auch grundsätzliche Fragen der Erinnerung an Geschichte thematisiert. Denn das Besondere des Projektes bestand darin, dass die Schüler versuchen mussten, mit den widersprüchlichen, zum Teil sogar gegensätzlichen Erfahrungen umzugehen, die dokumentiert waren, um am Ende zu erkennen, dass Erinnerungen immer subjektiv sind und von Nachgeborenen nicht nach dem einfachen Schema »wahr oder falsch« bewertet werden können. Die Sicht und die Motivation derer, die sich erinnerten, ihre politischen Ziele und auch spätere Entwicklungen prägten die Berichte ebenso wie deren Verarbeitung durch andere, zum Beispiel für Zeitungsartikel. Auch die Nutzer des Archivs entnahmen den Quellen zumeist das, was ihren Intentionen entsprach

Dann ist Geschichte nach so langer Zeit vielleicht gar nicht mehr zu rekonstruieren? In ihrem Fazit kommen die Schüler zu einem anderen Schluss und halten fest, was nach ihrer Meinung als belegt und gesichert gelten kann. Nicht immer entspricht das den zum Teil über lange Zeit gepflegten Mythen. Dass die Ribnitzer Bürger 800 Frauen vor dem Erschießen bewahrt hätten, ließ sich zum Beispiel nicht belegen. Doch dass junge Menschen durch dieses Projekt einen eigenen, sehr differenzierten Zugang zur Geschichte gefunden haben, ist sicher und kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Und das nicht nur, weil Nordvorpommern heute als eine Hochburg der NPD gilt.