Es ging ums Leben

geschrieben von Alfred Fleischhacker

5. September 2013

Eine Familiengeschichte aus dem Widerstand

Sept.-Okt. 2006

Peter Neuhof:

„Als die Braunen kamen. Eine Berliner jüdische Familie im Widerstand“, Pahl-Rugenstein, Euro 24,80

Zunächst begann das Leben des Autors ganz unspektakulär. Geboren 1926, von den Eltern geliebt und ohne materielle Sorgen. Doch das sollte mit den sich zuspitzenden Problemen in der Gesellschaft bald anders werden. Denn die Eltern waren alles andere als passive Beobachter der Verhältnisse. Politisch im linken Spektrum aktiv, wollten sie das mögliche tun, die Machtübernahme der Braunen zu verhindern.

Peter ist gerade sechs Jahre alt, als Gerhard Weiss, ein Bekannter der Familie, von einem SA-Mann beim Plakatekleben ermordet wird. Das geschieht im Norden Berlins, wo auch die Neuhofs wohnen, die, wie der Ermordete auch, der KPD angehören. Wenig später übernehmen die Nazis die Reichskanzlei. Unmittelbare Folge: Der Prozess gegen den Mörder von Gerhard Weiss gerät zur Farce. Der SA-Mann bleibt so gut wie ungeschoren. Das Auslöschen des Lebens eines Freundes der Familie wird für den Heranwachsenden zu einem Grunderlebnis. Für die Familie bricht mit dem 30. Januar 1933 eine andere Zeit an. Fortan sind sie doppelt stigmatisiert. Denn der Vater ist Kommunist und auch noch Jude. Die materielle Sicherheit ist perdu und der November-Pogrom 1938 bringt neue Einschränkungen.

Rückblickend schreibt Peter über diese Zeit: „Unsere Eltern brauchen uns nicht zu sagen, wie wir uns jetzt verhalten müssen. Sie vertrauen uns. Sie sagen uns alles. So wachsen wir als Gegner der Nazis auf.“ Peter wird noch einige Jahre zur Schule gehen und später anerkennend feststellen, dass er von den Lehrern nicht ein einziges Mal schlechter behandelt wurde als irgendein anderer Mitschüler.

Doch aus dem Hessischen treffen neue Hiobsbotschaften in Berlin-Frohnau ein. Verwandte des Vaters in Friedberg werden in der Pogrom-Nacht abgeholt und in das KZ Buchenwald gesperrt. Im Juli 1940 muss Peters Vater zu seinem Vornamen Karl den zusätzlichen „Israel“ annehmen. Als Jude gebrandmarkt, wird er zunächst in die Farbenfabrik Warnecke und Böhm in Berlin-Weißensee zur Zwangsarbeit geschickt. Zusammen mit hunderten von Leidensgefährten schuftet er für einen Mini Lohn. Viele von ihnen werden bei der „Fabrikaktion“ Ende Februar 1943 aus den Werkhallen die Vernichtungslager deportiert. Nur ganz wenige der bei Warnicke und Böhm damals Arbeitenden erleben das Kriegsende.

Karl Neuhof wird als Mitglied einer Widerstandsgruppe der KPD schon zwei Wochen früher von der Gestapo verhaftet und bleibt einige Monate als Untersuchungshäftling in einem Berliner Gefängnis. Die Mutter überwindet ihre Angst und geht in die Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße. um Näheres über ihren Mann zu erfahren. Sie landet, ohne zu wissen, wer ihr Gegenüber ist, bei Eichmann. Der – damals noch im Siegesrausch – brüllt sie an und gibt ihr den höhnischen Rat, sich als „Arierin“ beim nächsten Standesamt von dem Juden scheiden zu lassen.

In dieser Zeit hat der Vater die Stärke und Kraft zu Tagebuchaufzeichnungen, um der Familie aus der Zelle Ratschläge zur Bewältigung des Alltags zu geben und seine Gefühle und Eindrücke über Mithäftlinge festzuhalten. Durch eine glückliche Fügung sind die Niederschriften erhalten geblieben und jetzt in Auszügen in diesem Buch nachzulesen.Durch Verhöre von Mitgefangenen des Vaters gerät auch die Mutter in die Fänge der Gestapo. Man schreibt bereits das Jahr 1944, als der Prozess gegen sie stattfindet. In dessen Verlauf spricht der Vorsitzende des Gerichts eher beiläufig von „dem inzwischen verstorbenen Ehemann“ der Angeklagten. Die Mutter ist bei diesen Worten dem Zusammenbruch nahe. Dann erfahren Ehefrau und Sohn, dass das Familienoberhaupt schon im Oktober l943, wenige Tage nach dem Abbruch der Aufzeichnungen, im KZ Sachsenhausen erschossen wurde, weil die deutsche Justiz zu diesem Zeitpunkt gegen Juden nicht mehr prozessierte. Die engsten Kampfgefährten der im ganzen Reich aktiven Widerstandsgruppe wurden wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet, Gertrud Neuhofs Bewährungsstrafe aufgehoben. Sie kommt nach Ravensbrück.

Und wie schon nach der Festnahme des Vaters, macht sich Peter mit einem Paket für die Mutter auf den Weg in das Frauen-KZ. Inzwischen ist auch er als „Mischling 1. Grades“ zur Zwangsarbeit verurteilt. Der Eintritt in die Höhle des Löwen ist für ihn mit nicht vorhersehbaren Risiken verbunden. Doch Mut ist eine Eigenschaft, die die Familie durch die Jahre der Gewaltherrschaft begleitet. Mutter und Sohn erleben den Zusammenbruch des Hitler-Regimes.

Der Autor schildert, wie er es erlebte: „Ich habe bärenstarke Sibiriaken und T34 erwartet. Doch statt dessen Pferdegespanne. Ein Rotarmist löst sich von seinem Wagen. Er deutet auf mein Handgelenk… Und schon hat meine Uhr ihren Besitzer gewechselt. ‚Mensch, du kannst mir doch nicht die Uhr klauen‘, mehr fällt mir nicht ein. Er kann es offensichtlich doch und zieht weiter, weiter in den Krieg. Bis zum Reichstag ist es noch ein langer Weg. Was ist da schon eine Uhr…“

Ein Buch voller Spannung, voller Dramatik und etlichen Gedanken zum Leben heute.