Europas Bollwerk

geschrieben von Die Fragen stellte Cornelia Kerth

5. September 2013

antifa-Gespräch mit der Hamburger Fotografin Marily Stroux

Mai-Juni 2013

Vor allem Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten, auch aus Afrika kommen über die Türkei nach Griechenland, um von dort aus zu ihren europäischen Zielländern zu reisen. Viele haben schon Verwandte in Europa, die sie aufnehmen und unterstützen könnten. Zu ihnen zu gelangen, ist aber nahezu unmöglich. Durch die verschiedenen Abkommen, die die Festung Europa vor dem Elend der Welt abschotten sollen und durch die Einrichtung der Europäischen Grenzschutz-Agentur FRONTEX, wurde Griechenland zu einem Bollwerk gegen Flüchtlinge ausgebaut. Die Situation an den Grenzen ist mörderisch, wer sie überwindet, findet keine Unterstützung, sondern ist Demütigung, Willkür und oft auch Gewalt ausgesetzt.

Spenden an: Wohnschiffprojekt Altona e. V., Stichwort »Willkommensinsel«, Kto. 1257 122 737, HaSpa, BLZ 20050550.

antifa: Marily, seit mehreren Jahren bist du zusammen mit deiner Tochter Salinia und anderen Aktivisten des Netzwerks »Welcome to Europe« auch für die Rechte der Flüchtlinge in Griechenland aktiv. Warum ist das so wichtig?

Marily Stroux: Wenn Flüchtlinge neu ankommen in Griechenland, z. B. im Evros-Gebiet im Norden oder in Mitilini auf der Insel Lesvos, müssen sie erst einmal von der Polizei festgenommen werden, um registriert zu werden. Nur dann bekommen sie ein Papier, das ihnen erlaubt, sich für 30 Tage in Griechenland legal zu bewegen. Das ist dann so, dass diese Menschen manchmal für zwei oder drei Wochen im Knast eingesperrt sind, in kleinen, überfüllten Zellen, auf einer Polizeistation; es gibt nichts zu essen, keine Decken, nichts, was die Flüchtlinge nicht selbst mitbringen oder wofür sie nicht bezahlen können. Wenn sie dann das Papier bekommen – eigentlich ist das eine Ausreiseverfügung mit 30 Tagen Frist – ist es auf den Tag der Festnahme ausgestellt und ein großer Teil der Zeit ist schon um. Trotzdem: alle, die neu ankommen, suchen die Polizei, um sich festnehmen zu lassen. Manchmal haben die aber keinen Bock oder alle Zellen sind schon zu voll oder aus reiner Schikane tun sie so, als sähen sie die Flüchtlinge nicht. Dann müssen sich die Leute auch bei Wind und Wetter draußen im Hafen von Mitilini aufhalten und wissen nicht, was sie machen sollen. Deshalb ist nun die eigentlich völlig perverse Forderung der griechischen Soli-Gruppen, dass die Polizei die Flüchtlinge festnimmt, denn ohne das Papier können sie sich nicht fortbewegen.

antifa: Sind denn mit diesem Papier irgendwelche Rechte oder Ansprüche wie Unterbringung, Verpflegung oder Ähnliches verbunden?

Marily Stroux: Nein, gar nichts. Aber ohne das Papier kannst Du keine Karte für das Schiff nach Athen kaufen.

antifa: Das heißt, man bekommt ein Stück Papier und ist sich völlig selbst überlassen?

Marily Stroux: Das ist die Realität. Und man muss Griechenland nach den 30 Tagen verlassen. Viele versuchen das natürlich auch, gehen in die Häfen nach Patras oder Igoumenitza, um von dort aus weiter zu reisen. Aber Griechenland bekommt von der Europäischen Union viel Geld, um die Grenzen zu kontrollieren und davon bauen sie viele Knäste, in die die Illegalisierten dann eingesperrt werden, wenn die 30 Tage vorbei sind. Also, es sind nur sehr wenige, die das schaffen, z. B. nach Frankreich oder Deutschland zu kommen.

antifa: Dabei darf doch z. B. aus Deutschland niemand in ein Land zurückgeschoben werden, in dem es keine Chance auf ein rechtsstaatliches Asylverfahren gibt. Wie ist das mit Griechenland?

Marily Stroux: Deutschland und einige andere Länder haben ja jetzt schon im dritten Jahr das Dublin-II-Abkommen, nach dem der erste europäische Staat, den ein Flüchtling betritt, für sein Asylverfahren zuständig ist, im Fall von Griechenland ausgesetzt.

antifa: Das sieht ja einerseits nach Kritik an den griechischen Zuständen aus, bleibt aber doch heuchlerisch, weil Griechenland ein Teil, gewissermaßen das »Bollwerk« des europäischen Systems der Flüchtlingsabwehr ist.

Marily Stroux: Ja, so ist das. Es gibt aber in Griechenland selbst tatsächlich überhaupt keine Struktur, die Flüchtlinge in irgendeiner Weise unterstützt oder ihnen ein Asylverfahren ermöglicht. Hier werden beispielsweise Menschen aus Syrien im Moment sehr schnell anerkannt, dort sagt man ihnen: geht nach Hause, wir haben keinen Platz für euch. Das muss man sich mal vorstellen.

antifa: Es gibt ja in Griechenland im Moment eine grassierende faschistische Gefahr, die sich auch gegen Flüchtlinge richtet. Muss man nicht annehmen, dass es lebensgefährlich ist, nachts nur unter einer Plastikplane zu schlafen?

Marily Stroux: Ja. Neulich wurden Flüchtlinge, die im Hafen von Mitilini übernachtet haben, mit Steinen beworfen. Und in einer Erdbeer-Plantage, in der 28 Flüchtlinge aus Bangladesh die Auszahlung ihres Lohns gefordert haben, hat der Plantagenbesitzer, der als Faschist bekannt ist, einfach auf sie schießen lassen und mehrere wurden schwer verletzt. Festgenommen wurden die Bangladeshis.

antifa: Was kann man tun, um eure Arbeit in Griechenland zu unterstützen?

Marily Stroux: Es gibt allerhand Informationen auf der »Welcome to Europe«-Seite http://w2eu.info . Seit Sommer2010 tourt unser Infomobil als mobiler Informationsknotenpunkt durch Griechenland. Bei den Touren begegnen uns immer wieder Menschen, die dringend einen Ort zum Ausruhen brauchen. Einen solchen Ort haben wir mit der Anmmietung einer Willkommenswohnung in Athen eröffnet, weitere sollen folgen.