Freibrief für Nazipropaganda

geschrieben von Peter C. Walther

5. September 2013

Was das Bundesverfassungsgericht nicht »groß publik
machen« wollte

März-April 2012

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Die Leugnung der Kriegsschuld Nazideutschlands fällt unter die Meinungsfreiheit. Und wer in einem solchen Zusammenhang den Holocaust leugnet, bleibt straffrei.

Ein »glühender Verfechter der nationalsozialistischen Ideologie und Geschichtsfälschung« (so das Landgericht) übergab einem Gastwirt ein Bündel neofaschistischer Publikationen, in denen neben massiver Nazipropaganda (der »angebliche Überfall auf Polen« sei »eine Geschichtslüge«) auch der Holocaust geleugnet wird. Die braunen Hetzschriften sollten die tags zuvor von dem Neonazi in der Gaststätte verbreitete Behauptung untermauern, am Zweiten Weltkrieg seien nicht die Nazis schuld.

Das Landgericht Mühlhausen verurteilte den Neonazi wegen der Verbreitung der volksverhetzenden Schriften und der damit verbundenen Leugnung des Holocaust zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Das Oberlandesgericht bestätigte das Urteil.

Doch der Neonazi erhob Verfassungsbeschwerde. Mit Beschluss vom 9. November 2011 (1 BvR 461/08) gab ihm das Bundesverfassungsgericht Recht und hob die Verurteilung auf.

Das Bundesverfassungsgericht argumentierte, die Übergabe der Hetzschriften strafbaren Inhalts (die Leugnung des Holocaust ist eine Straftat) an den Gastwirt sei keine »Verbreitung«, denn sie seien ja nur einer Person übergeben worden. Zudem habe der Neonazi die Leugnung des Holocaust »lediglich als Teil eines einleitenden Begründungsversuchs« seiner Leugnung der Kriegsschuld benutzt. Damit habe die Holocaustleugnung »in unmittelbarem Kontext« zur These »der fehlenden Kriegsschuld Deutschlands« gestanden. Diese wiederum werde »als wertende Äußerung vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst«. Mit anderen Worten: Die Leugnung der Kriegsschuld Nazideutschlands fällt unter die Meinungsfreiheit. Und wer in einem solchen Zusammenhang den Holocaust leugnet, bleibt straffrei.

Diese Freispruchbegründung kommt geradezu einem Freibrief für die Weitergabe von Hetzschriften gleich. Schlimmer noch: In der betreffenden Entscheidung des Gerichts heißt es ausdrücklich, »selbst die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts« falle »nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art.5 Abs.1 GG heraus«.

Doch trotz dieser Einschränkung bleibt der makabre Fall, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichts dem Neonazi das Recht zuspricht, Nazipropaganda zu betreiben, die Kriegsschuld der Nazis zu leugnen und sogar Hetzschriften mit strafbarem Inhalt zu verbreiten, wenn diese »lediglich« an eine Person weitergegeben werden. Ein Freibrief für Neonazis.

Auf die Frage, warum dieses Urteil erst jetzt bekannt wurde, zitiert die Frankfurter Rundschau die Gerichtssprecherin, das Gericht habe es nicht für nötig befunden, das Urteil »groß publik zu machen«. Nun aber ist es doch publik geworden.