Für faire Verfahren

geschrieben von Die Fragen stellte Axel Holz

5. September 2013

Gespräch mit der Vorsitzenden des Flüchtlingsrates
Mecklenburg-Vorpommern

Sept.-Okt. 2008

antifa: Sie sind seit 14 Jahren aktiv in der Flüchtlingspolitik tätig, davon zwei Jahre als Vorsitzende des Flüchtlingsrates in Mecklenburg-Vorpommern. Welche Erfahrungen haben sie in dieser Arbeit gewonnen?

Ulrike Seemann-Katz: Grundsätzlich ist es schwierig, für die Sache der Flüchtlinge eine Lobby zu bekommen. Es geht immer nur dann um Flüchtlinge, wenn das Thema gerade wieder einmal öffentlich diskutiert wird. Je weniger Flüchtlinge es im Lande gibt, desto geringer ist das öffentliche Interesse. Auch bestehen oft dort besonders starke Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen, wo es tatsächlich nur wenige Flüchtlinge gibt. Umgekehrt gibt es dort die besten Erfahrungen, wo Menschen mit Flüchtlingen direkt in Kontakt stehen und sich mit der Situation der Flüchtlinge auseinandersetzen. Und hier muss man anknüpfen.

antifa: Wie viele Flüchtlinge gibt es in Mecklenburg-Vorpommern?

Ulrike Seemann-Katz: In Mecklenburg-Vorpommern leben etwa 2.400 Flüchtlinge. Sie werden dem Land nach dem Königsberger Schlüssel zugewiesen, der Einwohnerzahl und Finanzkraft berücksichtigt. Die Flüchtlinge kommen zunächst in das zentrale Flüchtlingsheim des Landes nach Horst und werden dann weiter in die Flüchtlingsunterkünfte des Landes verteilt.

antifa: Wie sieht das Leben der Flüchtlinge aus?

Ulrike Seemann-Katz: Sie werden zunächst alle in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Unter bestimmten Bedingungen dürfen sie eigenen Wohnraum beziehen. Etwa 50 Prozent sind derzeit dezentral untergebracht. Durch einen Beschluss des Innenministers unter der letzten Regierung wurden Flüchtlingsheime weitab der Städte geschlossen.

In Parchim ist z. B. ein neues Heim errichtet worden, durch dessen zentrale Lage Einkauf, Behördengänge und die medizinische Versorgung besser gewährleistet werden können. Einige Städte, wie Schwerin, haben allerdings bereits früh selbst begonnen, Flüchtlinge und Migranten dezentral unterzubringen. Im Innenministerbeschluss wurden die Rahmenbedingungen für die Unterbringung insgesamt verbessert, etwa durch die Festlegung eines Mindest-Anspruches auf Wohnraum und Ausstattung.

Auch die Residenzpflicht wurde im Lande teilweise aufgehoben. Die Flüchtlinge können sich nun auch in den angrenzenden Kreisen des ihnen zugewiesenen Kreises bewegen.

antifa: In den letzen fünf Jahren hat sich die Zahl der Flüchtlinge in der Hanse-Stadt Stralsund halbiert. Warum kommen immer weniger Flüchtlinge nach Mecklenburg-Vorpommern?

Ulrike Seemann-Katz: Das liegt an der Flüchtlingspolitik der EU. Immer weniger Flüchtlinge gelangen überhaupt erst nach Deutschland, weil sich die EU an ihren Außengrenzen mit dem »Dublin-II-Abkommen« abgeschottet hat. Nur fünf Prozent der Asylverfahren gehen zugunsten der Flüchtlinge aus. Erst kürzlich wurde der werdende Vater Zakari Kossi Zanou nach Togo abgeschoben, der in seiner Heimat nachweislich politisch verfolgt wird und dem dort Gefängnis droht.

antifa: Haben die Flüchtlinge eine eigene Perspektive in Deutschland?

Ulrike Seemann-Katz: Die berufliche Integration der Flüchtlinge ist ausgesprochen schlecht. Nach einem Jahr dürfen Flüchtlinge in Deutschland auch arbeiten. Allerdings ist es oft schwer, einen Arbeitgeber zu finden, der Flüchtlingen Beschäftigung gibt, die mitunter nur wenige Wochen Duldung erhalten haben und dann bis zur nächsten Duldung ausharren müssen.

antifa: Gibt es Kontakte zwischen den Flüchtlingen und der Bevölkerung?

Ulrike Seemann-Katz: Beidseitig gibt es wenig Kontakte. Das gelingt oft nur dann, wenn Flüchtlingskinder mit deutschen Kindern gemeinsam die Schule besuchen. In der Bevölkerung bestehen zum Teil reservierte bis feindselige Einstellungen gegenüber den Flüchtlingen, insbesondere bei den 59.845 NPD-Wählern der letzten Landtagswahl.

antifa: Was sollte sich im Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland ändern?

Ulrike Seemann-Katz: Das Recht auf Asyl muss wieder ernst genommen werden. Viele verfolgte Flüchtlinge erreichen Deutschland erst gar nicht. Die Flüchtlinge sollten vor Ort schneller in den Arbeitsprozess integriert werden. Ein Projekt dazu soll Flüchtlingen und Arbeitgebern in Mecklenburg-Vorpommern dabei helfen. Auch die gesetzlich angestrebten Integrationskurse sind hier erst schwach angelaufen. 1.213 Kurse für 35.000 Migranten, einschließlich der Flüchtlinge im Jahr 2007 sind einfach zu wenig.

antifa: Welche Ziele hat sich der Flüchtlingsrat im Lande gesetzt?

Ulrike Seemann-Katz: Wir setzen uns dafür ein, dass die Flüchtlinge in Deutschland faire Verfahren bekommen. Der Zugang zu Ausbildung und Bildung sollte zur Normalität werden. Auch geht es uns um eine bessere medizinische Versorgung der Flüchtlinge.

Flüchtlinge erhalten oft nur eine Notversorgung. Dabei stehen Kostenabwägungen im Vordergrund. Ihr gesundheitlicher Zustand ist oftmals nicht der Beste. Eine medizinische Betreuung für »illegale« Flüchtlinge gibt es ohnehin nur in Hamburg und Berlin.