Gedenkpolitik heute

geschrieben von Hans Coppi

5. September 2013

Was kann und soll die VVN-BdA in dieser Frage leisten?

Jan.-Feb. 2009

Der Ehrenvorsitzende der VVN-BdA, Prof. em. Dr. Hans Lauter, hat sich am 1.Oktober und am 11.November 2008 brieflich an den Kulturstaatsminister Bernd Neumann gewandt und anhand seiner persönlichen Erfahrungen gegen die Gleichsetzung von faschistischem Terror und Machtausübung in der sowjetischen Besatzungszone (bzw. der DDR), protestiert. Bis heute ist keine Antwort auf seine Schreiben eingegangen.

Der beschlossene Gesetzestext und dazugehörige Dokumente sind mit den Dokumentennummern 16/9875, 16/10565, 16/10285 unter www.bundestag.de zu finden.

Mitte November letzten Jahres haben im Bundestag die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in seltener Einmütigkeit der von der Bundesregierung vorgelegten »Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption« zugestimmt. Nur die Fraktion der Linken und ihre kulturpolitische Sprecherin Lukrezia Jochimsen widersprachen dem gefeierten gedenkpolitischen Konsens.

Unsere Ende Juni, nach Diskussion im Bundesausschuss, formulierten Kritiken, Einwände und Vorschläge der VVN-BdA fanden keine Berücksichtigung, so zu der fehlenden Prioritätensetzung im Blick auf die Unterscheidung der NS-Völkermordverbrechen von Unrecht und Repressionen in der DDR, der stärkeren Förderung der pädagogischen Vermittlung wie auch der Mitspracherechte der internationalen Lagerarbeitsgemeinschaften.

Die eigentliche, wenn auch mehr »versteckte Agenda« der Gedenkstättenkonzeption des Bundes bleibt die Totalitarismusdoktrin. Auf neun Seiten werden die Gedenkstätten aufgezählt, die an die »kommunistische Diktatur« in der SBZ und später in der DDR erinnern und in den nächsten Jahren erheblich ausgebaut werden. Das auf 2 ½ Seiten abgehandelte Pflichtprogramm zu »Gedenkstätten und Erinnerungsorte zur NS-Terrorherrschaft« entspricht weder der Dimension und Einmaligkeit der Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch der oftmals beschworenen Verantwortung für die bundesdeutsche Gesellschaft. Auch den Umgang mit der NS-Herrschaft und ihren Hinterlassenschaften, den Leistungen und Versäumnissen in beiden deutschen Staaten sucht man vergeblich. Die Folgen in Form der »Instrumentalisierung des Gedenkens« werden nur der DDR angelastet.

Es geht offensichtlich um Wichtigeres. »Das Verständnis der eigenen Geschichte trägt zur Identitätsbildung jeder Nation bei« heißt es im Vorwort. Das hört sich fast so an, als ob Gedenkstätten Teil deutscher Leitkultur werden sollen. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass es sich bei den deutschen KZ-Gedenkstätten um europäische Orte der Erinnerung handelt. Schließlich kam der größte Teil der Häftlinge nach 1942 aus den überfallenen und besetzten Ländern. Bei den Befreiungsfeierlichkeiten im April 2008 haben Vertreter der internationalen Lagerkomitees darüber geklagt, dass die deutsche Politik immer stärker in die Arbeit der Gedenkstätten eingreift. Sie forderten, ihr Mitspracherecht in Stiftungen und Beiräten der Gedenkstätten wieder herzustellen und künftig Wissenschaftler aus den von Deutschland überfallenen Ländern in diese Gremien einzubeziehen. Die in der Fortschreibung vorgesehene (unverbindliche) jährliche Zusammenkunft der Bundesregierung mit »Vertretern von Opfer- und Betroffenenverbänden sowie Bürgerinitiativen« bleibt hinter diesen Erwartungen weit zurück.

Mitstreiter aus großen KZ-Gedenkstätten verweisen auf positive Ergebnisse des Diskussionsprozesses zu dem von Staatsminister Neumann im Jahre 2006 vorgelegten Entwurf der Gedenkstättenkonzeption. Die Proteste und Einsprüche von ausländischen Opferverbänden, dem Zentralrat der Juden sowie der Sinti und Roma, von KZ-Gedenkstätten, VVN-BdA, den Linken, den Grünen und anderen haben dazu geführt, dass nunmehr Terror, Verfolgung und Vernichtung in der NS-Zeit klarer von den gesellschaftlichen Verhältnissen in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR nach 1945 geschieden werden. Ob damit der ursprünglich von CDU und CSU angestrebte geschichtspolitische Paradigmenwechsel mit einem gleichsetzenden Diktaturenvergleich in der Gedenk- und Erinnerungspolitik gescheitert ist, wird sich erst in der Zukunft erweisen. Wir sollten die staatliche Gedenkpolitik künftig auch an dem ersten Satz der Einleitung messen: »Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischen NS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tragen.« Zu den guten Nachrichten gehört auch, dass die Gedenkstätten Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück und nunmehr auch Bergen-Belsen, Dachau, Flossenbürg und Neuengamme in die institutionelle Förderung des Bundes aufgenommen werden. 2/3 der bereit gestellten finanziellen Mittel werden für das Gedenken an das Nazi-Regime zur Verfügung gestellt.

Es geht aber auch um die Inhalte, die vermittelt werden. Die Bundestagsfraktion der Grünen hat in einem Positionspapier vom Dezember 2007 in die Zukunft weisende Grundsätze für ein dauerhaft in der Gesellschaft zu verankerndes kritisches Geschichtsbewusstsein über die NS-Zeit entwickelt. Sie finden sich in der Gedenkstättenkonzeption indes nicht wieder.

Die in der Fortschreibung ausdrücklich begrüßte Einbeziehung von Opfern, Zeitzeugen und deren Organisationen in die Arbeit der Gedenkstätten sollten wir, wenn sie verwehrt wird, auch einfordern. Wir werden dafür eintreten, dass die internationalen Häftlingskomitees sowie die von ihnen bevollmächtigten Nachfolger, die Lagerarbeitsgemeinschaften und Freundeskreise in den Beratungsgremien der Gedenkstätten langfristig Sitz und Stimme und damit auch ein Mitspracherecht haben. So wie es jetzt bereits dem Zentralrat der Juden, dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, dem Bund der »Euthanasie«-Geschädigten und dem Schwulen- und Lesbenverband zugestanden wird.

Unverzichtbar sind für eine lebendige und zukunftsorientierte Erinnerungskultur zivilgesellschaftliche Projekte, wie z.B. der Zug der Erinnerung und die Stolpersteine. Diese schöne Forderung aus der Erklärung des Ausschusses für Kultur und Medien bleibt indes unverbindlich, da in der Fortschreibung eine finanzielle Unterstützung solcher Initiativen nicht vorgesehen ist. Es erschließt sich auch nicht, inwieweit alle aufgeführten SED-Gedenkstätten eine internationale Relevanz haben, wie es der Kriterienkatalog für eine Förderung verlangt. Es fehlt eine Aussage zu den regionalen Gedenkstätten, die an Außenlager von Konzentrationslagern und Zwangsarbeiterlager erinnern, in denen auch Hunderttausende ausländischer Häftlinge weggesperrt waren und im letzten Kriegsjahr Zehntausende ermordet wurden. Aus der Anlage zur Fortschreibung wird ersichtlich, dass die Bundesregierung in den letzten Jahren große und auch kleine Gedenkstätten gefördert hat. Ein kleiner Lichtblick: Es können auch künftig Anträge für NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte gestellt werden. Das besagt der Kriterienkatalog für die Projektförderung.

So entschieden wir uns gegen einen gleichsetzenden »antitotalitären« Konsens in der Gedenk- und Erinnerungspolitik wenden, sollten wir aber darüber nachdenken, inwieweit Repression und Verfolgung in der Sowjetunion, der SBZ und der DDR ein Thema für die VVN ist. In sowjetischer Emigration sind deutsche Antifaschisten verhaftet, erschossen und in den Gulag deportiert worden. Die letzten Überlebenden kehrten erst Mitte der fünfziger Jahre zurück. In Berlin haben wir einen Gesprächskreis zu diesem Thema gebildet. Aber es betrifft auch die Zeit nach 1945. Überlebende aus Konzentrationslagern und Haftstätten des Naziregimes, auch Gründungsmitglieder der VVN, verschwanden in den Gefängnissen der sowjetischen Besatzungsmacht, später auch der DDR. Die VVN hat sie alle aus ihren Reihen ausgeschlossen. Funktionäre und Mitglieder der VVN, die in jüdischen Gemeinden der DDR aktiv waren, wurden Ende 1952/Anfang 1953 genötigt, das Land zu verlassen.

Nachdem die Bundesregierung Mitte Juni 2008 die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption beschlossen hatte, diskutierten wir im Bundesausschuss ein auf der Homepage der VVN einsehbares Positions- und Diskussionspapier »Erinnern-Gedenken-Handeln«. In seinen ergänzenden Überlegungen fordert Ullrich Schneider, stärker herauszuarbeiten, dass Konzentrations- und Vernichtungslager nicht nur Orte des Terrors und des Leidens, sondern auch Orte des Überlebenswillens, der Solidarität und des Widerstands der Häftlinge waren. Dieses wichtigen, aber in der Forschung und in aktuellen Publikationen eher unterbelichteten Themas sollte sich die VVN-BdA annehmen. Es könnte auch Gegenstand einer Tagung werden. Ullrich Schneiders Auffassung, dass die Erinnerung an die Opfer faschistischer Verfolgung zu einer durchaus zu begrüßenden nationalen Identitätsbildung führen könnte, ist sicherlich ein spannendes Thema für eine kontroverse Debatte.

Der Bundeskongress im Mai 2008 forderte, dem erinnerungs- und gedenkpolitischen Diskurs eine größere Aufmerksamkeit zu widmen. Zu der notwendigen Erörterung von Möglichkeiten und Grenzen einer Einflussnahme auf die Gedenk- und Erinnerungspolitik und künftiger eigener Initiativen und Aktivitäten sollten wir Interessenten aus den Lagerarbeitsgemeinschaften und Freundeskreisen, den Gewerkschaften und antifaschistischen Gruppen, Mitarbeiter von Gedenkstätten und andere einladen.

Dr. Hans Coppi ist Vorsitzender der Berliner VVN-BdA

Der im November 2008 verabschiedete gedenkpolitische Rahmen wird das staatliche Gedenken im 21. Jahrhundert entscheidend prägen. Zeitzeugen werden bald kein Korrektiv mehr sein können. »Das sensible Feld der Gedenkstättenpolitik bedarf weiterhin der öffentlichen Begleitung« schrieb der Leiter der Gedenkstätte Neuengamme, Detlef Garbe und bedankte sich dafür bei unserer Organisation. So sollten wir es weiterhin halten.