Gefahr wird unterschätzt

geschrieben von Das Gespräch führte Markus Bernhardt

5. September 2013

Gespräch mit Kerstin Köditz über Rechtsextremismus in
Sachsen

Jan.-Feb. 2008

Kerstin Köditz ist Mitglied des Sächsischen Landtages und Sprecherin für antifaschistische Politik der Fraktion Die Linke

• Wie erklären Sie sich den hohen Zuspruch für die Neonazis in Sachsen?

Für die Spitzenposition des sächsischen Landesverbandes der NPD im Bundesmaßstab gibt es ein ganzes Ursachenbündel. Und dabei muss auch noch bedacht werden, dass die NPD nur ein Teil des Problems ist. Wir haben eine hohe Zahl an Nazi-Kameradschaften, an Skinheadkonzerten, an einschlägigen Versandhändlern, an Demonstrationen und nicht zuletzt auch an Straftaten. Eine wichtige Ursache für diesen bedrohlichen Zustand sehe ich darin, dass das Problem von der Staatsregierung lange Zeit schlicht ignoriert wurde. Danach setzte sie ausschließlich auf Repression. Die kann ein Problem zwar mindern, jedoch nie beseitigen. Der wesentliche Schritt, die Stärkung zivilgesellschaftlicher Initiativen und demokratischer Strukturen auf allen Ebenen, wurde lange Zeit gar nicht und danach nur halbherzig angegangen. Letztlich wird das Problem ungelöst bleiben, wenn es nicht gelingt, den Menschen in jenen Regionen, die faktisch abgeschrieben sind, wieder eine Perspektive zu geben. Ein weiterer Umstand, der mir Sorge bereitet, besteht darin, dass es sich bei den Wählern der NPD nur zu einem kleinen Teil um Protestwähler handelt. Sie wird nicht trotz sondern wegen ihres rassistischen und faschistischen Programms gewählt. Der Stammwähleranteil in Sachsen dürfte bei über fünf Prozent liegen.

• Für wie aktionsfähig halten Sie die extreme Rechte in Sachsen aktuell?

Ich halte sie für eine akute Gefahr. Nicht so sehr wegen ihrer eigenen Stärke, sondern wegen der mangelnden Zivilcourage bei ihrer Abwehr. Solange die Menschen auf den Staat schauen und von ihm verlangen, er möge das Problem lösen, wird es nicht gelöst werden. Abhilfe kann nur eigenes Engagement bringen. Dafür gibt es vielfältige Möglichkeiten. Der NPD Landesverband in Sachsen ist stärker als die einiger demokratischer Parteien. In manchen Kreisen ist sie z.B. zu flächendeckenden Verteilaktionen in der Lage. Bei uns im Muldentalkreis nehmen immer eine Reihe ihrer Anhänger an Kreistagssitzungen teil und stellen dort Fragen. Es ist davon auszugehen, dass die kommunale Verankerung der NPD bei den nächsten Wahlen auf Kreis- und Gemeindeebene noch wachsen wird. Neben den Massenaufmärschen wie in Dresden zu 13. Februar sind NPD-Demonstrationen mit 200 Teilnehmern keine Seltenheit. Fast kein Wochenende vergeht ohne Nazikonzert. Das alles spricht für eine gestiegene Aktionsfähigkeit.

• Auf dem letzten Landesparteitag der CDU hat der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) die Hetzjagd, die ein deutscher Mob in Mügeln auf eine Gruppe Inder veranstaltete, verharmlost. So bezeichnete er, die Diskussionen, die nach der rassistischen Attacke in der Öffentlichkeit stattfanden, als „hysterische Debatten“ und „stereotype Betroffenheitsadressen. Befördert Milbradt mit solchen Äußerungen nicht rassistische Gewalt?

Er hat die Ereignisse in Mügeln sogar als „zweites Sebnitz“ bezeichnet, also letztlich zur Medienente erklärt. Bei dieser Gelegenheit hat er übrigens wieder einmal die NPD und meine Partei, DIE LINKE., gleichgesetzt. Das ist ebenso verantwortungslos wie typisch für die sächsische CDU. Ich erinnere an die Zeit unmittelbar nach der Landtagswahl 2004, als die CDU das Konzept diskutierte, die Themen der NPD zu besetzen, um ihre Wähler zu gewinnen. Die Erfahrung hatte schon damals längst gelehrt, dass das zwar den Parteien der extremen Rechten kurzfristig schaden kann, mittelfristig jedoch zu einer Stärkung rechten Gedankenguts führt. Die sächsische CDU ist eine vehemente Verfechterin der Totalitarismusdoktrin. Schon aus diesem Grund kann sie keine wirksamen Konzepte gegen den Neofaschismus entwickeln. Milbradt zeigt – bildlich gesprochen – den Tätern von Mügeln den erhobenen Zeigefinger und macht „Du, du!“, zwinkert ihnen jedoch gleichzeitig einvernehmlich zu. Letztlich ist es eine unwürdige Anbiederung an einen rassistischen Mob und den ihn stützenden Alltagsrassismus.

• Trügt der Eindruck, dass man sich in Sachsen bereits an die mannigfaltigen Aktivitäten der NPD und der „Freien Kameradschaften“ gewöhnt hat und es zu wenig Gegenwehr gibt?

Dieser Eindruck trügt meiner Ansicht nach. Natürlich kann es Antifaschisten nie genügen, was an Gegenwehr entwickelt wird, natürlich gibt es auch Probleme bei der Zusammenarbeit unterschiedlicher Strömungen. Das will ich keineswegs leugnen. Aber ich möchte gleichzeitig auf die entschiedene Gegenwehr gegen die Aufmärsche von Christian Worch in Leipzig seit Jahren verweisen. Oder darauf, dass in den letzten beiden Jahren die Nazidemo am 13. Februar in Dresden im Gegensatz zu früheren Zeiten gestoppt werden konnte. Ich sehe vor allem das bewundernswerte Engagement junger Leute. Es ist die mittlere Generation, die der Berufstätigen, für die ich mir höhere Präsenz bei Gegenaktivitäten wünschen würde. Diese Kritik trifft auch meine eigene Partei. Ich sehe aber immer häufiger, dass vor Ort mit viel Energie und Fantasie an Konzepten gegen die Nazis gearbeitet wird.