Gegen die Verblödung

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Vor 70 Jahren starb der Dichter Ödön von Horváth in
Paris

Juli-Aug. 2008

»Murnau hatte den Schriftsteller so nachhaltig geprägt, dass er auch noch Jahre nach seiner Flucht in seinen Theaterstücken und in dem Roman ›Jugend ohne Gott‹ aus einem Reservoir von Erinnerungen schöpfte.«, heißt es vieldeutig im Begleittext zur sehenswerten ständigen Horváth-Ausstellung im Murnauer Schlossmuseum. Geflüchtet ist der Dichter 1933; zuerst von Murnau nach Berlin, später nach Wien und Prag, 1938 dann über Budapest nach Paris. Dort stirbt er am 1. Juni, erst 36 Jahre alt, bei einem Sturm auf den Champs-Elysées, erschlagen von einem herabstürzenden Ast.

Am 28. Juni 2008 marschierten, geschützt von 350 Polizisten, 80 Neonazis durch die Marktgemeinde Murnau am oberbayerischen Staffelsee. Die Einheimischen waren sich im Vorfeld des Aufmarsches uneinig, wie damit umgegangen werden solle. Nichtbeachtung oder aktiv Entgegenstellen? Beides wurde versucht. Und schließlich fanden mehrere hundert Menschen (unter ihnen Mandatsträger, auch von der CSU) bei einer gemeinsamen »Kehraktion« zusammen: Symbolisch wurde der »braune Dreck« weggeräumt.

»Italienische Nacht« heißt ein Theaterstück von Ödön von Horváth, aus dem Jahr 1930. »Volksstück in sechs Bildern« hat es der Autor genannt. Am Anfang ein Personenverzeichnis und folgende Angaben: »Ort: Süddeutsche Kleinstadt. Zeit: 1930-?« Bezüge der »süddeutschen Kleinstadt« zu Murnau, 1930 seit über zehn Jahren schon Heimatort Horváths, sind unverkennbar. Im Stück geht es kurz gefasst um den Einbruch faschistischer Gewalt in eine kleinbürgerlich-kleinstädtische Idylle, um Spießertum und um die Illusionen, die letztlich der Demokratie den Garaus machen werden.

Der Uraufführung der »Italienischen Nacht« im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin am 20. März 1931 war am 1. Februar des Jahres eine Saalschlacht an Horváths Wohnort vorangegangen, bei der er Augenzeuge wurde: Der Überfall von einheimischen und mit Bussen und Bahn angereisten auswärtigen NSDAP-Anhängern auf eine SPD-Veranstaltung.

Unter den braunen Schlägern erkennt Horváth einige nicht unbedeutende Murnauer Bürger. Vor Gericht sagt er gegen diese aus und betont, er habe den »bestimmten Eindruck gehabt, dass die Schlägerei von den Nationalsozialisten planmäßig vorbereitet war«. Nach zwei Gerichtsinstanzen aber sind alle Nazis freigesprochen.

Anfang der 30er-Jahre hatte es eigentlich nach einer Erfolgsgeschichte für den jungen Autor ausgesehen: Auf Initiative Carl Zuckmayers hin bekommt er den Kleist-Preis für sein Stück »Geschichten aus dem Wienerwald«, weitere »Volksstücke« (»Kasimir und Karoline«, »Die Unbekannte aus der Seine«) folgen, Romanversuche, Zeitschriftenbeiträge, Kontakte zur Filmindustrie. Mit seiner ungarisch-österreichischen Herkunft versteht sich der in Fiume (dem heutigen Rijeka) Geborene als Kosmopolit. Er gibt sich entsprechend »weltmännisch«, macht aber aus seiner linken Gesinnung kein Hehl.

In rechten Blättern, nicht nur aus der NSDAP-Ecke, wütet man über die »Geschichten aus dem Wienerwald« und deren Verfasser. »Ein zweifelhafter Herr aus Ungarn als Kleistpreisträger«, »Das, was sich kein Negervolk ohne Widerspruch nachsagen lässt, wurde hier applaudiert«, »Unflat ersten Ranges«. Horváths Name steht 1933 auf den Listen für die Bücherverbrennungen; der Autor aber hat nach der braunen Machtübernahme noch Möglichkeiten, unter Pseudonym an Filmdrehbüchern mitzuarbeiten. Sein Biograph Traugott Krischke erwähnt auch einen Beitrittsantrag Horváths an den NS-offiziellen Reichsverband Deutscher Schriftsteller vom Juli 1934. Illusionen mit Blick auf künftige Publikationsmöglichkeiten?

Diese scheinen nicht lange gehalten zu haben. Bevor er endgültig deutschen Boden verlässt, besucht Horváth noch seine Eltern und schreibt am 1. April 1937 an einen Freund: »In München war es zuhause sehr schön, aber auf der Straße unwahrscheinlich grässlich. Dort ist selbst die Luft verblödet.«

Soeben neu erschienen
Ödön von Horváth
Der ewige Spießer, Süddeutsche Zeitung Bibliothek, Reihe »München erlesen«, Bd. 9, 268 S., 8,50 Euro

Gegen diese Verblödung hat Ödön von Horváth mit seinen Theaterstücken und Romanen (»Der ewige Spießer«, »Jugend ohne Gott«) angeschrieben. »Volksstücke«, nicht »volkstümlich«, sondern höchst artifiziell und doch allgemeinverständlich. Anknüpfend an Nestroy’sche und Raimund’sche Traditionen wurde er inhaltlich-politisch und mit dem seinen Figuren in den Mund gelegten »Bildungsjargon«, jener auf Dialekt-Rudimenten fußenden, »vornehm« klingen wollenden Sprache aufstrebender Kleinbürger auch Wegbereiter für spätere kritische »Heimatautoren« wie Kroetz, Sperr oder Turrini.