Im doppelten Exil

geschrieben von Christine Arndt

5. September 2013

Ernesto Kroch: »Engagiert euch! Die Geschichte ist eure!«

Sept.-Okt. 2010

Ernesto Kroch: Heimat im Exil – Exil in der Heimat. Autobiographie

190 Seiten, Assoziation A (Mai 2004)

Am 11. August 2010 war Ernesto Kroch mit seiner Lebensgefährtin Eva Weil zu Gast in Oldenburg. Eingeladen hatte die DGB-Jugend-Oldenburg zu einem Abend, an dem Ernesto seine Autobiografie »Heimat im Exil – Exil in der Heimat« vorstellte und über die Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung in Uruguay der letzten Jahrzehnte berichtete.

Ernesto Kroch wurde 1917 in Breslau in Niederschlesien geboren. Bis heute fühlt er sich zu der Landschaft seiner Kindheit hingezogen. Doch Ernesto und Eva sind sich einig: der Gesellschaft in Uruguay fühlen sie sich heute mehr verbunden, denn in Uruguay haben beide auch den größten Teil ihres Lebens verbracht.

Ernestos Leben ist von einem doppelten Exil geprägt. Als deutsch-jüdischer Kommunist, der sich im Widerstand engagierte, von den Nazis verfolgt, mit 17 Jahren von seinen Eltern getrennt und im KZ Lichtenburg interniert wurde, floh er 1938 vor den Nazis und strandete in Uruguay. Das erste Exil wurde ihm zu einer Heimat, in der er eine Familie gründete. Er engagierte sich in der Gewerkschaftsbewegung und musste später, während der Militärdiktatur in Uruguay, erneut um sein Leben fürchten und fliehen. Und so kehrte er in den Jahren 1982 bis 1986 nach Westdeutschland zurück – in sein zweites Exil.

Ernesto ist ein Mann, der sein Leben dem Kampf gegen Faschismus gewidmet hat. Er setzt sich bis heute unermüdlich für die Emanzipation der Arbeiterinnen und Arbeiter ein und engagiert sich politisch und in sozialen Projekten in Uruguay. Noch immer existiert das Kulturhaus »Casa Bertolt Brecht«, das er 1964 gründete. Nicht ohne Stolz erzählt er, dass zwar die DDR nicht mehr existiere, aber das »Casa Bertolt Brecht« gäbe es noch immer. »Und es ist das Gesicht eines alternativen, eines anderen Deutschlands, vielleicht imaginär…«

Die Triebkraft für sein Engagement sieht er in seiner Überzeugung für die Sache. Er untermauert sie lächelnd mit einem Zitat von Dürrenmatt: »Misch dich nicht ein, was geschieht bist du! Es geschieht dir ganz Recht!«

Vor der Veranstaltung in Oldenburg hatte ich die Gelegenheit, ihm einige Fragen zu stellen.

antifa: Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass Ihr Leben von drei großen Niederlagen geprägt gewesen sei: der Nazidiktatur, die Deutschland und Europa mit Krieg und Terror überzogen hat, dem Militärputsch in Uruguay und die sich daran anschließende Zeit der Militärdiktatur und dem Ende der DDR. Was sind demgegenüber die größten Errungenschaften und Erfolge in Ihrem Leben?

Ernesto Kroch: Ja, die kamen danach. Zuerst 1989 der Sieg der Vereinten Linken der Frente Amplio in Montevideo, wo zum ersten Mal ein Sozialist die Hauptstadt Uruguays regierte. Montevideo ist eine Stadt von 1,3 Millionen Einwohnern und es begann eine neue Art zu regieren. Also das erste, was Tabaré Vázquez, der fünf Jahre später auch Präsident des ganzen Landes wurde, machte, war: Dezentralisieren. Er teilte das vorher ganz zentral regierte Montevideo in 18 kommunale Zentren auf, um Bürgernähe zu schaffen. Zunächst verwaltungsmäßig, aber gleichzeitig auch mit dem Ziel, die Nachbarschaften direkt in die Regierung mit einzubeziehen. Das stieß zuerst auf großen Widerstand der beiden traditionellen der progressiven Parteien, der Colorados und der Blancos. Es gab in den ersten beiden Jahren nicht die Möglichkeit, dies gesetzlich zu institutionalisieren, aber es gab in allen 18 kommunalen Zentren Vertrauenssekretäre der Frente Amplio-Regierung in Montevideo, die Nachbarschaftsversammlungen einberiefen und den Haushalt der Stadt für die nächsten fünf Jahre nicht mehr zentral vom Rathaus aus bestimmen ließen, sondern durch die Prioritäten, die die Bürger in ihren Versammlungen setzten. Und dieses System wurde später auf verschiedene Art und Weise institutionalisiert, so dass der partizipative Haushalt, der übrigens gleichzeitig auch in Porto Alegre in Brasilien eingeführt wurde, etabliert wurde. Das heißt, dass die Bürger bestimmen, wo investiert wird, sie wissen ja am besten, was in jedem Stadtteil fehlt, den einen fehlen Kinderhorte, in anderen Polikliniken, oder in anderen ist es vielleicht nötig, Anschlüsse an die Abwässeranlagen zu bauen, denn 30 Prozent der Haushalte in Montevideo hatten nur Sickergruben und keinen Anschluss an die Abwässeranlagen…

antifa: Noch ein ganz anderes Thema: Sie setzen sich dafür ein, dass Trakte in Lichtenburg, wo Sie ja selbst inhaftiert waren, weiter für Besucherinnen und Besucher zugänglich bleiben und besichtigt werden können. Dies sei wichtig für die Erinnerung. Meinen Sie, dass hier in Deutschland genug gegen das Vergessen getan wird?

Ernesto Kroch: Ja, für mich ist das sehr wichtig, vor allem für die Jugend in Deutschland. Denn während der ersten Jahrzehnte nach dem Krieg ist ja fast nichts in dieser Richtung unternommen worden. Und erst mit dem 68er Jahr ist es da zu einem Umbruch gekommen. Ich glaube, dass Erinnerungsarbeit sehr wichtig ist, damit sich Faschismus nicht wiederholt… Möglicherweise denkt man nicht daran, dass sich so etwas in derselben Weise wiederholt, aber die Gefahr besteht.