Im Fundus des Krieges

5. September 2013

Ein Selbsterfahrungsbericht von Tanja Girod

Sept.-Okt. 2009

Wehrtechnische Studiensammlung im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung,

Öffnungszeiten: Ganzjährig täglich von 9:30 Uhr bis 16:30 Uhr

Eintritt: 1,50 Euro (Für Soldaten und Angehörige der Bundeswehrverwaltung mit Dienstausweis ist der Eintritt frei)

www.bwb.org/portal/a/bwb/ueberun/dasbwb/wehrtec

Pazifismus ist für mich keine reservierte Domäne linksradikaler Minderheiten, wie uns das die Berichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz regelmäßig weismachen wollen, sondern müsste eigentlich zum guten demokratischen Ton jeder modernen Gesellschaft gehören. »Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so«, meinte schon Brecht. In Vorbereitung auf den Weltfriedenstag am 1. September habe ich mich deshalb aufgemacht, einen Blick in das Universum der Kriegstechnik und ihrer Bewunderer zu werfen. Diesen wirklich erhellenden Ausflug in eine Parallelwelt ermöglichten mir ein anderes Bundesamt, nämlich das für Wehrtechnik und Beschaffung, sowie einer Reihe honoriger Stifter und Gönner. In Koblenz präsentiert dieses unheilige Bündnis aus Kriegsgewinnlern und Kriegsführern der Öffentlichkeit eine »wehrtechnische Studiensammlung«.

Ich gestehe, dass es sich nicht um meinen ersten Trip in diesen Bereich handelte. Bereits vor Jahren besuchte ich eine der umfassendsten Militariasammlungen der Welt, das Australian War Memorial in Canberra. Damals interessierte mich, wie ein beteiligter Staat den aus eurozentristischer Sicht bedeutungslosen Teil des Zweiten Weltkrieges im Pazifik heute darstellt. Ich wusste also schon, dass man mit gigantomanischer Detailversessenheit und Akribie den Betrachter erschlagen kann. Doch im eigenen »Vaterland« sah das Ganze noch etwas anders aus. Alle meine Erwartungen wurden weit übertroffen.

Mein selbst gewählter Forschungsauftrag lautete: Was wird gesammelt, wie wird es präsentiert und wer, außer jenen speziellen Helden, die die technischen Daten aller deutschen Handgranatenserien herunterbeten können und anstelle unbekleideter Frauen Bildchen von Leopardpanzern ansehen, sieht sich das an?

Es gab keine erkennbare Konzeption. Der Begriff Sammelsurium wäre passender als der einer Sammlung. Alles, aber auch wirklich alles, dessen man hatte habhaft werden können, war irgendwie in dem Gebäude verstaut worden. Rüstungsbetriebe hatten ihr ausrangiertes Demonstrationsmaterial für Käufer und Anwender ausgelagert, mit stolzen Stiftertafeln und selbstverständlich auch mit Inventarnummer. Veraltete Ausstellungen zur moralischen Bildung und Stützung der Truppe standen neben Fragmenten früherer Sammlungen und Panzertypen, die wegen Unbedienbarkeit nie die Serienreife erreicht hatten. Ich war sozusagen im Fundus der Bundeswehr gelandet. Bis zu diesem Ort hat sich noch nicht herumgesprochen, dass Museumspädagoge seit über zehn Jahren ein akademischer Ausbildungsberuf ist.

Ein Berliner Schriftsteller mit Migrationshintergrund hat mir erzählt, dass im vietnamesischen Spätshop seines Hauses die Produkte nach der Art ihrer Verpackung sortiert seien. Logischerweise steht dort das Hundefutter neben der Kondensmilch – beides in Dosen. Daran musste ich denken. Denn hier waren die Ausstellungstücke nach Größe sortiert, der logistische Aspekt überwog eindeutig den didaktischen.

Die Zeit reichte einfach nicht aus, die Ausstellung komplett zu besichtigen. Irgendwann haben mich die Reizüberflutung und die Größe des Hauses zum geordneten Rückzug gezwungen. Ich schätze, dass ich ein Drittel der Sammlung gesehen habe. Man könnte auch sagen, ich bin geflüchtet.

»Freundliches Desinteresse« nannte Bundespräsident Horst Köhler die Wahrnehmung der Bundeswehr in der Bevölkerung. In Koblenz traf ich jene Teile, deren Interesse zumindest groß genug war, um einen sonnigen Sonnabendnachmittag in Familie hier zu verbringen. Um es vorwegzunehmen, ich war die einzige, die aus offenkundig soziologischem Interesse angereist war. Wie erwartet traf ich die Helden mit dem Bildchenproblem. Mit vollem Körpereinsatz vor den Objekten ihrer Begierde liegend, schossen sie digitale Fotos, bis die Speicherkarten voll und die Akkus leer waren.

Eine japanische Familie zeigte sich beeindruckt von den technischen Errungenschaften der Wehrmacht. Mehrere mittlere Dienstgrade, deren Ehefrauen noch Interesse andeuteten, zogen Teenagertöchter hinter sich her, die bereits völlig unberührt waren. Ich sah zwölfjährige Jungen, die mit ihren Vätern die sonst animierten Panzer ihrer Computerspiele in Originalgröße bewunderten und ehemalige Bundeswehrsoldaten, welche ihren Freundinnen endlich einmal zeigen wollten, durch welche Geräte sie in den 80ger Jahren mit Röntgenstrahlen und Hochfrequenzfeldern traktiert worden waren. Ich sah Gruppen von älteren Herren, die, von Kopf bis Fuß in Camouflage gekleidet, aus ausrangierten Jeeps kletterten – in Erinnerungen schwelgend. Ein bisschen erschrocken war ich schon, wie viele es waren.