Immunität für NS-Täter?

geschrieben von AK Distomo

5. September 2013

Zum Fall Deutschland gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof

Nov.-Dez. 2011

Dass es Deutschland auch darum geht, für die eigenen Kriegsverbrechen der Gegenwart und Zukunft nicht in die Haftung genommen zu werden, war nicht Gegenstand der Verhandlung. Darauf hinzuweisen, blieb der Protestkundgebung zu Beginn der Verhandlung vor dem Gerichtshof vorbehalten.

Orginaldokumente unter:

http://www.icjcij.org/docket/index.php?p1=3&p2=3&k=60&case=143&code=ai&p3=2

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag verhandelte vom 12. bis zum 16. September 2011 öffentlich über eine Klage Deutschlands, die zum Ziel hat, Entschädigungsansprüche von griechischen und italienischen NS-Opfern auszuhebeln. Dieser Prozess ist nicht nur für alle Opfer von NS-Verbrechen von großer Bedeutung, er wird auch Auswirkungen auf Schadensersatzansprüche von Überlebenden heutiger Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit haben.

Seit Jahrzehnten verweigern bundesdeutsche Regierungen den Opfern von NS-Verbrechen in ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern Entschädigungsleistungen. Die Überlebenden der Massaker von Distomo, Kalavryta, Civitella oder Marzabotto haben wie die meisten anderen Opfer von NS-Verbrechen niemals vom deutschen Staat eine Entschädigung erhalten. Dies gilt auch für viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Klagen vor deutschen Gerichten blieben erfolglos. Griechische und italienische Gerichte bestätigten hingegen die Ansprüche der Opfer.

Der Kassationshof in Rom erklärte bereits im Jahr 2004 die Klage eines ehemaligen NS-Zwangsarbeiters (Ferrini) für zulässig und die italienischen Gerichte für zuständig. Im Juni 2008 ermöglichte er die Zwangsvollstreckung gegen deutsches Eigentum in Italien im Fall Distomo und erkannte entsprechende Urteile griechischer Gerichte als rechtmäßig und vollstreckbar an. (Dies führte unter anderen zur Pfändung der im deutschen Eigentum befindlichen Villa Vigoni am Comer See). Die Bundesregierung missachtet diese Entscheidungen.

Deutschland erhob am 23. Dezember 2008 Klage gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof, um endgültig alle Entschädigungsprozesse und Vollstreckungsmaßnahmen jetzt und für die Zukunft zu stoppen. Die Bundesregierung versucht, den Internationalen Gerichtshof dafür zu missbrauchen, die Ansprüche der Opfer von NS-Verbrechen weiter zu torpedieren und die Unabhängigkeit der italienischen Gerichte außer Kraft zu setzen. Angeblich habe die italienische Justiz die Staatenimmunität Deutschlands nicht beachtet.

Der Einwand der Staatenimmunität ist auch das zentrale juristische Argument, welches Deutschland als Allzweckwaffe einsetzt, um sich gegen Klagen im Ausland abzuschotten. Auf die eigene Justiz kann sich die Bundesrepublik verlassen, -diese entscheidet im Zweifel zugunsten der Staatsräson und zum Schutze des deutschen Haushalts. Doch ausländische Gerichte reagieren nicht immer wie gewünscht auf Druck aus Berlin. Besonders unbotmäßig zeigte sich der Kassationshof in Rom. Dieser wagte es, Deutschland die Staatenimmunität in Fällen von »Verbrechen gegen die Menschheit« abzusprechen, die Nazi-Deutschland begangen hat. Hierzu zählen auch jene Hunderte von Massakern, die deutsche Besatzungstruppen an der Zivilbevölkerung besetzter Länder begingen.

Die deutsche Delegation erklärte im Gerichtssaal, dass man ja versucht habe, die italienische Regierung dazu zu bewegen, eine Umkehr bei der italienischen Justiz zu bewirken. Doch leider habe die sich auf die Unabhängigkeit ihrer Gerichte berufen. Deutschland reklamiert also die Unantastbarkeit seiner staatlichen Souveränität, während es gleichzeitig alles unternimmt, die Souveränität Italiens und seiner Justiz zu unterlaufen: Eine Verkehrung der Tatsachen!

Und so hoffte Deutschland vermutlich darauf, dass die italienische Regierung, welche sich unter freiwilligem Druck auf den Prozess in Den Haag einließ, kein allzu ernsthafter Gegner sein würde. Doch ganz ging die Rechnung nicht auf. Die italienische Delegation ließ die Attacken der Deutschen gegen die italienische Justiz nicht unbeantwortet. Auf den politischen Generalangriff der Deutschen folgte eine dezidierte Darstellung der Säumnisse Deutschlands bei der Entschädigung von NS-Opfern und die hieraus folgenden Konsequenzen. Hatten die deutschen Vertreter noch versucht, die Entschädigungsfrage aus dem Prozess herauszuhalten, so legten die Italiener den Finger in die Wunde. Deutschland habe die Opfer von Kriegsverbrechen nicht entschädigt. Eine Entschädigungspflicht für die von Nazideutschland begangenen Verbrechen, so die italienischen Juristen, sei aber ein zwingendes Gebot des Internationalen Rechts. Daher konnte der Kassationshof in Rom auch gar nicht anders, als den Grundsatz der Staatenimmunität einzuschränken, anderenfalls hätte er die Rechte der Opfer und damit ein widerstreitendes und höherrangiges Rechtsprinzip verletzt.

Am 16. September endete die Verhandlung. Wann ein Urteil gesprochen wird blieb offen, in welche Richtung der Gerichtshof tendiert ebenfalls.