In die NSDAP »geflüchtet«

geschrieben von Otto Pfeiffer

5. September 2013

Die Konservativen und der Faschismus

Sept.-Okt. 2007

Es gebe »keine Gemeinsamkeiten zwischen den Konservativen und den Nationalsozialisten«, erklärte der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm jüngst in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung, um seinem Parteifreund Günther Oettinger beizustehen.

Diese Behauptung erweist sich als eine ebensolche Geschichtsklitterung wie Oettingers unselige Auslassung, der ehemalige Marinerichter und spätere Landeschef in Baden-Württemberg , Hans Filbinger, sei ein »Gegner des Nationalsozialismus« gewesen.

Nur ist Schönbohms These grundsätzlicherer Natur. Sie versucht, aus einigen wenigen, die tatsächlich – und häufig spät, wie die Verschwörer des 20. Juli – widerständisch handelten und denen, die durchaus Vorbehalte gegen den »böhmischen Gefreiten« (so Reichpräsident Hindenburg über Hitler) hatten, aber ihn und seinesgleichen gewähren ließen, ja förderten, eine ganze »Widerstandsbewegung der Konservativen« zu machen.

Halten wir uns an die Tatsachen: Das 1933 – nach Liquidierung der KPD-Fraktion und gegen die Stimmen der SPD – vom Reichtag abgesegnete Ermächtigungsgesetz erhielt nicht nur die Stimmen der NSDAP, sondern auch die der anderen – konservativen – Parteien, darunter das Ja des späteren FDP-Bundesvorsitzenden Reinhold Maier, des einstigen Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen Ernst Lemmer sowie des ersten Präsidenten der BRD, Theodor Heuss – als Widerständler? Der ersten Hitler-Regierung gehörten neben dem »Führer« ganze drei Mitglieder der NSDAP an: Goebbels, Göring und Innenminister Frick. Alle übrigen waren Konservative aus anderen Parteien. Sie alle beschlossen auch die 1935 erlassenen antisemitischen Rassegesetze mit – als Widerständler?

Dem anfangs noch zögernden Hindenburg hatte man übrigens eingeredet, der Konservative Konstantin Freiherr von Neurath, der schon seit 1932 unter Papen und Schleicher als Außenminister amtierte, werde Hitler außenpolitisch »mäßigen«, so dass von einer Reichskanzlerschaft des Naziführers nichts Schlimmes zu befürchten sei.

Wie lückenlos sich die meisten Konservativen in die Nazidiktatur eingliederten, zeigt jedoch gerade der Fall Neurath. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP und SS-Gruppenführer. 1938 auf dem feinen diplomatischen Parkett durch Hitlers außenpolitischen Berater Ribbentrop abgelöst, wechselte er als Reichsprotektor für Böhmen und Mähren bis zur Pensionierung 1941 bruchlos in die direkte faschistische Repression über.

Mit wenigen rühmlichen Ausnahmen stellte sich die gesamte konservative Elite der deutschen Diplomatie in den Dienst der Hitlerregierung. Ein einziger Botschafter – von Prittwitz und Gaffron in Washington – quittierte den Dienst wegen der faschistischen Machtübernahme. 1937 setzte geradezu eine »Massenflucht« von Diplomaten in die NSDAP und die SS ein.

Es erscheint befremdlich, dass es erst einer parlamentarischen Intervention der Linkspartei im Bundestag bedurfte, um die Öffentlichkeit auf die kommentarlose Würdigung von Neuraths als deutscher Botschafter 1930 bis 1932 in London aufmerksam zu machen, als hätte es seine Verurteilung im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess zu 15 Jahren Zuchthaus nicht gegeben. Verwunderlich ist es aber eigentlich nicht, wenn man sich der heftigen Empörung von 128 »alten Herren« der bundesdeutschen Diplomatie erinnert, mit der sie 2004 gegen die Anweisung des damaligen Außenministers Joschka Fischer protestierten, ehemalige NSDAP-Mitglieder im hausinternen Blatt des Auswärtigen Amtes nicht mehr zu ehren.