Ins Feuer gejagt

geschrieben von Thomas Willms

5. September 2013

Die britische Reflexion des Ersten Weltkrieges

Sept.-Okt. 2010

Ausgewählte britische Belletristik zum Ersten Weltkrieg

Lyrik

Wilfred Owen: »Gedichte“ (Collected Poems)

Siegfried Sassoon: »War Poems«, »Memoirs of an Infantry Officer«

Romane

Sebastian Faulks: »Gesang vom großen Feuer« (»Birdsong«)

Ben Elton »The First Casualty«

Krimis

Charles Todd: »Die zweite Stimme« (»A Test of Wills«)

Der Erste Weltkrieg spielt im kulturellen Gedächtnis Deutschlands praktisch keine Rolle. Gerade einmal vier Generationen zurückliegend – der letzte deutsche Teilnehmer starb erst vor kurzem – findet eine Reflexion außerhalb der Historiker-Profession nicht mehr statt. Das stellt der deutschen Erinnerungskultur kein gutes Zeugnis aus. Gäbe es nicht Erich Maria Remarques heute noch gelesenes »Im Westen nichts Neues«, immerhin schon 1928 veröffentlicht, existierte auch fast kein literarischer Anknüpfungspunkt mehr. Der Erste ist hinter dem Zweiten Weltkrieg verschwunden – bemerkenswerterweise jedoch nur in Deutschland.

In Großbritannien gilt nach wie vor der Erste Weltkrieg als »The Great War«, nicht der Zweite. Es erscheint eine Fülle von belletristischer Literatur quer durch die Genres und auch im Fernsehen taucht das Thema an unerwarteter Stelle immer wieder auf. Aus britischer Sicht war der Erste Weltkrieg über weite Strecken ein entsetzliches Desaster. Der britischen Generalität fiel lange nichts ein, um den Stellungskrieg zu gewinnen. So befahl sie immer wieder das gleiche: den frontalen Angriff auf die deutschen Stellungen. Die Briten waren dabei fast immer in einer schlechteren Situation als die Deutschen, die flexibel mit dem eroberten Terrain umgingen. Zudem war die Reichswehr über lange Zeit besser ausgebildet und bewaffnet als die britische. Die kleine britische Berufsarmee wurde ab 1915 durch große Freiwilligenkontingente und erst 1918 durch Wehrpflichtige aufgefüllt. Die Freiwilligenbataillone rekrutierten sich wiederum häufig aus einem einzigen Ort oder einer Berufsgruppe, was dazu führte, dass bei einem einzigen fehlschlagenden Angriff eine ganze Generation junger Männer aus einer Stadt abgeschlachtet oder verstümmelt wurde.

Die zeitgenössische nationalistische und militaristische Propaganda des Krieges, die der deutschen nicht nachstand, ist verschwunden. Geblieben sind die Werke zweier homosexueller Lyriker: Siegfried Sassoon und Wilfred Owen. Ähnlich wie Remarque, aber unerbittlicher in ihrer Analyse, verarbeiteten die beiden Soldaten ihre entsetzlichen Erlebnisse. Sie gaben die Themen vor, die bis heute immer wieder bearbeitet werden: Verstümmelung, »shell shock« (Grabenkoller), Aussichts- und Sinnlosigkeit, Desertion, das Unverständnis der Daheimgebliebenen, die Zerstörung der Familien. Keine Rolle spielt der Sieg, keine Rolle der Gegner, der nicht als Feind, sondern als Leidensgenosse vorkommt. Diese ganze Literatur ist vollkommen unheroisch.

Ein bis heute lebendiger Hass gilt dafür den eigenen Generälen, die durchgängig als dumm, verroht, geradezu gemeingefährlich dargestellt werden, die man zur eigenen Lebensrettung besser hätte erschießen sollen. Ausgesprochen oder auch nicht, geht es immer auch um den Untergang der Arbeiterklasse, die von den adeligen Offizieren »over the top« ins Maschinengewehrfeuer gejagt wurde.

In für deutsche Fernsehverhältnisse unvorstellbarer politischer Härte brachte das z.B. Anfang der 90er Jahre ausgerechnet der Komiker Rowen Atkinson, bekannt durch seine Rolle als »Mr. Bean«, in der Fernsehserie »Blackadder« zum Ausdruck. Er spielt hier einen Offizier, der eine ganze Fernseh-Staffel lang alles tut, um von der Front wegzukommen. Die Autoren schrieben Atkinson Texte, die nicht nur durch bemerkenswerte historische Korrektheit auffielen, sondern auch durch schwärzesten Humor.

Geschrieben wird heute, so scheint es jedenfalls, immer noch, um die Wunden in den Familien zu heilen. Es geht um den Ruf der erschossenen »Feiglinge«, die keine waren, um die »Weichlinge«, die in Wirklichkeit verrückt geworden waren, um die Verkrüppelten, die ihr Leben lang bezahlen mussten. Umgekehrt wird die Front als idealer Lebensraum echter Psychopathen beschrieben, die als einzige gestärkt aus dem Krieg heimkehrten. Heilung für diese Traumata bringen, auch dies zieht sich durch die Literatur, das Aussprechen der Wahrheit, funktionierende persönliche Beziehungen, erfüllende Sexualität, Arbeit und die Natur.