Jahrhundertkrise

geschrieben von Joachim Bischoff

5. September 2013

Wo sie herkommt und was wir zu erwarten haben

März-April 2009

Die Weltwirtschaftskrise 1929 bereitete den Boden für das Aufkommen und letztlich die Etablierung des Faschismus.

Drohen heute ähnliche Entwicklungen?

In dieser und der nächsten Ausgabe gehen wir der Frage nach, ob die gegenwärtige Krise ähnliche Gefahren heraufbeschwört.

Das kapitalistische Weltsystem wird durch die schwersten Turbulenzen des Finanzsystems seit der Weltwirtschaftskrise 1929 erschüttert. Ein Ende der seit über einem Jahr wütenden globalen Finanzkrise ist weiterhin nicht in Sicht. Das Krisenpotenzial wird die Finanzmärkte und die Investoren noch die nächsten Jahre beherrschen. Was bis vor kurzem von den wirtschaftlich-politischen Eliten bestritten wurde, ist jetzt außer Zweifel: Die globale Finanzkrise wird begleitet von einer gravierenden, langwierigen Abschwächung der realen gesellschaftlichen Wertschöpfung der Weltwirtschaft.

Auslöser der globalen Krise war der Zusammenbruch einer Vermögensblase, die sich auf dem Hypothekenmarkt in den USA ausgebildet hatte. Dort existieren Kreditverträge über rund 12 Bio. US-Dollar. Da die Häuserpreise seit 2007 sinken, werden immer mehr Hypothekenkredite notleidend, d.h. sie können nicht mehr mit Zinsen und Tilgungsraten bedient werden.

Das Platzen dieser Blase löste einen Zusammenbruch eines weit umfangreicheren Kreditbooms aus. Die Wertpapierbörsen sind gegenüber den Höchstständen von Oktober 2007 um 40-50 Prozent abgewertet und für viele der nicht an den Börsen gehandelten Papiere bestimmen Notverkäufe das Preisniveau.

Woher rühren die Wucht und die Dauer der Finanzkrise? Wir sind nicht einfach mit den Folgen von etwas größeren spekulativen Transaktionen konfrontiert. Vielmehr hat sich das Finanzsystem seit längerem vom realen Verwertungsprozess des Kapitals entkoppelt. Wertpapiere kann man nicht essen. Alle diese Produkte haben einen harten Kern: Ihre Eigentümer haben einen Anspruch (in Form von Zinsen) auf die Ergebnisse der wirtschaftlichen Gesamtleistung. Die Formen des leistungslosen Einkommens hatten ein Mehrfaches der verteilbaren jährlichen Resultate der Realökonomie erreicht. Vor Beginn des Crashs im Frühsommer 2007 war der Finanzüberbau, dieses artifizielle Kunstwerk über der globalen Realökonomie, wertmäßig knapp viermal zu groß. Es war überfällig: Die Pyramide von Ansprüchen bricht vor unseren Augen zusammen. Die aktuellen Korrekturen an den Börsen laufen auf eine Redimensionierung oder Vernichtung von Eigentumstiteln (= Ansprüchen auf Teile des gesellschaftlichen Reichtums) hinaus.

Neoliberale Politik hat seit Jahrzehnten die Konsumenten zur Verschuldung ermutigt. Die bürgerliche Gesellschaft in den USA hat über ihre Verhältnisse gelebt. Das zeigt sich an dem aufgehäuften Schuldenberg der privaten Haushalte, der unter dem wachsenden Druck der Verteilungskonflikte nicht abgetragen werden kann. Dies zeigt sich weiter bei der öffentlichen Verschuldung (über 10 Bio. US-Dollar) und der extremen Abhängigkeit der USA vom Kapitalzufluss, um die vielfältigen Konsumansprüche aufrecht erhalten zu können.

Seit Mitte der 1970er Jahre treten mehr und mehr Phänomene einer chronischen Überakkumulation in Erscheinung. Das enorm gewachsene Gewicht der Eigentums- und Vermögensbestände bricht sich über die Bewegung des Geldkapitals Bahn. In den Verteilungsverhältnissen registrieren wir schrittweise die Hegemonie des leistungslosen Einkommens (Zinsen). Der Übergang zu weitgehend unregulierten Geld- und Kreditmärkten setzte eine beschleunigte Akkumulation des Finanzkapitals in Gang – allmählich bildete sich die finanzielle Globalisierung heraus. Diese Entwicklung unterstützte den Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik zum Neoliberalismus: Mit Deregulierung, Privatisierung und Umverteilungspolitik wird die Dynamik des Finanzkapitals politisch gefördert.

Experten aus der Finanzwelt sind sich weitgehend einig, dass eine Wiederherstellung eines reibungslosen Kreditkreislaufs die zentrale Herausforderung ist. Gleichwohl sind solche Rettungspakete nur sinnvoll, wenn sie gleichzeitig eine starke soziale Komponente haben, d.h. die betroffenen Immobilieneigentümer, kleinen Sparer oder Rentenbezieher einbeziehen. Die entwickelten Formen des gesellschaftlichen Reichtums sind in Widerstreit geraten mit der engen Basis, worauf die Konsumtionsverhältnisse beruhen.

Zum andern müsste ein weit größeres Gewicht auf die konjunkturellen Auswirkungen der Finanzkrise gelegt werden. Denn die Krise hat in vielen Ländern die Realökonomie erfasst. Der globalen Finanzkrise folgt eine Schrumpfung der Realökonomie, die – ohne Gegenmaßnahmen – länger anhalten wird. Bei schrumpfender Realökonomie wird die Entwicklung eines neuen Startpunktes für die gesellschaftliche Wertschöpfung schwieriger.

Unser Autor ist Mitherausgeber der Zeitschrift »Sozialismus« und sitzt für Die Linke in der Hamburger Bürgerschaft.

Schließlich ist festzuhalten, dass die Akteure auf den Finanzmärkten ein kurzes Gedächtnis haben. Wenn die staatlichen Regulatoren nicht weltweit stärker zusammenarbeiten und für eine bessere Erkennung transnationaler Systemrisiken sorgen, besteht die Gefahr, dass das teure US-Rettungspaket und die Maßnahmen der anderen Staaten bloß »Fast Food« bleiben. Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und die Konsumtionsbeschränkung der Massen.