Jurist und Kämpfer

geschrieben von Andreas Diers

5. September 2013

Eine neues Buch ergänzt unser Wissen über Hans Litten

Jan.-Feb. 2009

Knut Bergbauer / Sabine Fröhlich / Stefanie Schüler-Springorum:

Denkmalsfigur. Biographische Annäherung an Hans Litten 1903-1938

Wallstein Verlag, Göttingen 2008

EUR 24,90

360 Seiten mit 58 Abbildungen

ISBN-10: 3-8353-0268-X

ISBN-13: 978-3-8353-0268-6

Wer heute den Namen von Hans Litten hört, der denkt vermutlich zunächst an den alle zwei Jahre durch die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ) verliehenen Hans-Litten-Preis an Juristinnen und Juristen, die in besonders hohem Maße demokratisches Engagement bewiesen haben. Und wer sich dann etwas genauer über ihn informieren will, der wird vermutlich den Namen Hans Litten zunächst bei Wikipedia suchen – und dort einen aktuellen und sehr passablen Beitrag über sein Leben und Wirken sowie über sein Martyrium in faschistischer KZ-Haft finden. In diesem Beitrag gibt es zahlreiche weiterführende Verweise, so u.a. auch auf die neue Biographie »Denkmalsfigur« von Knut Bergbauer/åSabine Fröhlich/Stefanie Schüler-Springorum.

Dieses Buch ist eine biografische Annäherung an eine der interessantesten Persönlichkeiten der deutschen Jugendbewegung, der Rechtsgeschichte und des Kampfes gegen den Faschismus in Deutschland vor 1933.

Vor siebzig Jahren nimmt sich Hans Litten im KZ Dachau das Leben. Dabei von einem Freitod zu sprechen ist im Wesentlichen falsch: denn nach jahrelangen Qualen und Demütigungen körperlich gebrochen, beschließt der 34jährige Hans Litten angesichts der Drohung neuer Folter, seinem Leben ein Ende zu setzen. Bereits in der Einleitung verdeutlichen die Autoren, dass bei Litten hier die Wahrheit zwischen Ermordung und Freitod liegt. Diese differenzierte Betrachtungsweise ist auch das zentrale Anliegen des ganzen Buches: Hans Litten soll aus der Vereinnahmung als »Denkmalsfigur« befreit werden, es soll der Mensch Hans Litten in seinen zahlreichen Facetten und Nuancen dargestellt werden.

Hans Litten wird 1903 in Halle geboren und wächst in Königsberg in einer Professorenfamilie auf. Litten setzt sich schon früh als Jugendlicher mit dem Judentum auseinander und wählt wohl aus diesem Interesse Hebräisch als ein Abiturfach. Als Aktivist der Jugendbewegung gehört er dem deutsch-jüdischen Bund »Kameraden« an und organisiert 1925 zusammen mit Max Fürst die radikal antibürgerliche und geschlechterpolitisch ganz bewusst egalitäre Jugendgruppe »Schwarze Haufen«. Diese Gruppe löst sich zwar 1928 auf, doch glaubt Litten sein ganzes Leben lang an die gesellschaftsverändernde Kraft der Ideen der Jugendbewegung. Im Jahr 1928 legt er sein juristisches Assessorexamen ab und wird Rechtsanwalt. Für die »Rote Hilfe« vertritt er häufig Kommunisten. Litten ist jedoch nie ein unkritischer Sympathisant der KPD. Er vertritt auch Anarchisten und oppositionelle Kommunisten in Prozessen gegen Kommunisten. Die Biographie schildert ausführlich das Wirken von Hans Litten in den berühmten Prozessen zwischen seiner Anwaltszulassung 1928 und seiner Verhaftung im Februar 1933 unmittelbar nach dem Reichstagsbrand. In dieser Zeit ist er nicht nur als Verteidiger, sondern auch als Vertreter der Nebenklage unermüdlich tätig.

Die Durchsetzung des Demonstrationsverbots am 1. Mai 1929 bezeichnet Litten als eine Anstiftung zum Mord und zur gefährlichen Körperverletzung. Ungefähr zwei Jahre lang ist er mit den Prozessen um den Berliner »Blutmai« beschäftigt, durch die er zu einem bekannten Anwalt wird. Bis 1932/33 ist er an einer ganzen Zahl jener Prozesse beteiligt, die im Zusammenhang mit dem »Kampf um die Straße« zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten stehen. Ausführlich wird Adolf Hitlers Zeugenvernehmung 1931 im Edenpalast-Prozess dargestellt. Litten vertritt in diesem Prozess die Nebenklage. Er beantragt die Zeugenvernehmung Hitlers, um die planmäßige Anwendung terroristischer Methoden durch der NSDAP nachzuweisen. Dabei treibt er – wie immer sehr gründlich vorbereitet – Hitler in die Enge bis dieser mit hochrotem Kopf brüllend seine Selbstbeherrschung verliert. Dass Litten aber Hitler zum Eid, besser und genauer gesagt zum Meineid auf die Legalität zwingt, gehört ins Reich jener Legenden über ihn, mit denen dieses Buch aufräumt.

Als 1933 die NSDAP an die Macht gelangt, lernt Hans Litten die brutale Rache der Faschisten kennen. Nach dem Reichstagsbrand wird er verhaftet und bis 1938 im Konzentrationslager gequält und gefoltert. In dieser Zeit seiner Gefangenschaft bemühen sich viele Menschen vergeblich um die Freilassung von Hans Litten, vor allem seine Mutter Irmgard Litten.

Diese neue Biographie über Hans Litten ist ein gelungenes und lesenswertes Werk für all jene, die mehr über das Leben, das politische und juristische Wirken von Hans Litten erfahren wollen. Es ergänzt die Denkmäler aus Stein und die Straßenschilder, die an Hans Litten erinnern.

Der Titel »Denkmalsfigur« gibt im Übrigen das Schlüsselwort für den Code wieder, über den sich die Mutter mit ihrem Sohn im Konzentrationslager verdeckt austauscht.

Das Fehlen eines Personenregisters ist ein kleinerer Mangel des Buches, der jedoch zumindest teilweise durch die mehr als 500 Hinweise auf Fundstellen, ein umfangreiches Literaturverzeichnis und viel Bildmaterial ausgeglichen wird.