Kein schlechter Anfang

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Die Anti-Nazi-Aktionen am 1. Mai in der fränkischen Stadt Hof

Mai-Juni 2012

»Am 1. Mai sind viele Hoferinnen und Hofer dem Aufruf eines breiten politischen Bündnisses gefolgt und haben unter dem Motto ‚Hof ist bunt‘ für Freiheit und Demokratie demonstriert.« So die offizielle Homepage der oberfränkischen Stadt Hof. Dazu Fotos: Auf einem Regenbogen-Transparent, das den Demonstrationszug anführt, steht »HOF = international« und darunter: »…und unsere Region ist BUNT, nicht braun«. Der Mann in der Mitte hinter dem Transparent lächelt. Die meisten anderen auch. Allen ist ihre Freude anzusehen: Wissen sie doch über 4000 Menschen hinter sich, die mit ihnen an diesem 1. Mai auf die Straße gegangen sind: »Gemeinsam gegen Nazis. Hof ist bunt.«

4000 Menschen. Hof hat knapp über 45 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die Nazis vom »Freien Netz Süd« hatten sich eine wirtschaftlich gebeutelte Region herausgesucht. Für eine sozialdemagogische 1.Mai-Provokation. Rund 400 ihrer Anhänger – auch das ist nicht wenig – kamen zum braunen Aufmarsch. In der örtlichen »Frankenpost« stand dann, dass »ein so bisher in Hof nie da gewesenes breites Bündnis von mehr als 60 politischen, sozialen und kulturellen Organisationen und Vereinen zum friedlichen Widerstand gegen den Aufmarsch der Neonazis aufgerufen« habe. Das »nie da Gewesene« lächelt unter anderem vom Transparentträger-Foto. Der Mann in der Mitte heißt Hans-Peter Friedrich und ist Bundesinnenminister. Von der CSU. Sein Wahlkreis liegt nicht weit von Hof. Vom Betrachter gesehen ganz links auf dem Bild hält fröhlich Eva Bulling-Schröter, Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, die Stoffbahn.

Das Aufruf-Flugblatt zu den Hofer Anti-Nazi-Aktionen hatte »eine Gemeinschaftsaktion der maßgeblichen politischen, gesellschaftlichen, sozialen und religiösen Organisationen und Einrichtungen des Hofer Raums unter Federführung des DGB« angekündigt. Auf ihm waren mit ihren Partei-Logos neben CSU, SPD, Grünen, FDP und regionalen Freien Wählern Die Linke und die DKP aufgereiht. Auch Die Piraten. Daneben Kirchen und Religionsgemeinschaften quer durch die Glaubensrichtungen, Gewerkschaften, Initiativen aller Art und Verbände. Ein schöner antifaschistischer Konsens.

Gestoppt werden konnte der braune Marsch leider nicht. »Hof war eine Polizeifestung«, schreibt ein Freund, der die Gegenaktivitäten mit vorbereitet hatte. »Geringste tatsächliche oder vermeintliche Vergehen wurden mit unangemessener Härte verfolgt. Und die Nazis konnten marschieren…«. Dennoch betont er: »4000 DemonstrantInnen in der fränkischen Provinz ohne bayern- oder gar bundesweite Mobilisierung. Der Aufmarsch von 400 Nazis hat zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema in einer ganzen Region geführt.«

Kein schlechter Anfang

geschrieben von Dr. Seltsam

5. September 2013

Dr. Seltsam besuchte für uns die Berlinale

März-April 2007

Das Jahr als meine Eltern im Urlaub waren

Originaltitel: O Ano em que Meus Pais Saíram de Férias

Produktionsland: Brasilien

Erscheinungsjahr: 2006

Länge (PAL-DVD): 104 Minuten

Originalsprache: portugiesisch, jiddisch

Selten hatte das Berliner Filmfest solch viel versprechenden Anfang. Die Filme der ersten beiden Tage beschäftigten sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Thema Faschismus. Durch diese kleine Überforderung bekam man einen Begriff davon, wie vielfältig und interessant die Medienwelt unter dem Diktat eines »verordneten Antifaschismus« sein könnte oder wie angenehm, falls Antifaschismus eine selbstverständliche Grundhaltung von Medienschaffenden wäre.

Edith Piaf war nicht nur eine wunderbare Schnulzensängerin und Chansonnette, sondern hielt auch unter dem Einfluss ihrer Freundin Marlene Dietrich Kontakt zur Résistance. Genauso wenig wie Picasso in Paris unter deutscher Besatzung verboten war, wurden auch die populären Piaf-Konzerte von der Gestapo geduldet. Sie wurde sogar gefragt, ob sie für die Bewacher in einem Gefangenenlager singen würde. Die Piaf entsprach diesem wahrhaft unsittlichen Antrag, brachte aber ihren Fotografen mit, der viele deutliche Fotos von den Gefangenengesichtern machte.

Die nutzten Angehörige der Résistance dann für falsche Ausweise, die den Genossen zur Flucht verhalfen. Eine Heldentat, für die sich ein Deutscher in den Himmel loben würde, in Frankreich erschien sie so klein und normal, dass die Piaf sie später nicht einmal einer Erwähnung für wert befand. So taucht diese bemerkenswerte Szene in dem Eröffnungsfilm »La Mome« oder »La vie en rose« von Olivier Dahan mit der kongenialen Sängerin Marion Cotillard und Gerard Depardieu auch gar nicht auf. Wir aber wissen davon und sehen diesen tränenseligen Musikfilm daher mit ganz anderen Augen.

Dann die Überraschung! Ich hasse Fußballfilme, dieses blöde Hinterherlaufen hinter dem Lederbalg, nur um der eigenen Nation Lustschreie zu entlocken, ist für mich gerade nach den beiden deutschen Versionen Bern 1954 und Sönke Wortmanns WM-Film eine Vorstufe rassistischer Hetze. Das widerliche Fahnenschwenken gar ein Rückfall in grinsende Barbarei. Aber dann im Gegenteil dieser Film: »o ano em que meus pais sairam de ferias«, zu deutsch: »Das Jahr, als meine Eltern im Urlaub« waren von Cao Hamburger aus Brasilien. Der Film schildert aus der Sicht eines neunjährigen Jungen, der natürlich nichts als Fußball im Kopf hat und Torwart werden will, den Faschismus unter der brasilianischen Militärdiktatur im Jahre 1970, als Brasilien mit Pelé in Mexiko Fußballweltmeister wurde.

Die Eltern des Jungen sind Kommunisten im Widerstand und müssen sich verstecken. Das mussten viele Eltern damals und der Euphemismus, mit dem man die Kinder zu beruhigen versuchte, hieß: Die Eltern sind in Ferien. Er kommt zu seinem Großvater inmitten der Tausende von deutschen Emigranten umfassenden jüdischen Gemeinde in Sao Paolo, wo es ebenfalls zum guten Ton gehört und ganz selbstverständlich ist, gegen den deutschen Faschismus Widerstand geleistet zu haben. So wie man jetzt auch Solidarität mit den kommunistischen Studenten übt, wenn sie von der Polizei mit Pferden niedergeritten oder gefoltert werden. Neben vielem anderen ist dies das Angenehme dieses Films: Die Selbstverständlichkeit, mit der man als anständiger Mensch Antifaschist ist, eine wohltuende Grundhaltung nach den ganzen Problemfilmen des Deutschen Fernsehens, in denen die Protagonistinnen lange moralische Kämpfe führen, ob sie nun dem »Dämon Hitler« erliegen sollen oder nicht.

Hinreißende Szene, wie die alten Juden auf jiddisch über Pelé debattieren und ihrer neuen Heimat Brasilien die Daumen drücken. Im Unterschied zu den aufwändigen Rekonstruktionen der deutschen Fußballfilme sind die Sportszenen ganz einfach als Fernsehbild eingebaut und dennoch aufregend, nämlich durch die Zuschauerreaktion.

Das erste Spiel der Brasilianer geht gegen die CSSR und das erste Tor fällt für den Osten: Ein kommunistischer Student ist in der Kneipenrunde der einzige, der sich linientreu freut: Hurra, ein Sieg für den Sozialismus! Aber als dann Pelé trifft, verwandelt er sich in den wildesten Brasilienfan von allen. Das ist herzerfrischend undogmatisch und lebensecht. Und am Ende rettet er sich vor der Polizei. Ein schöner Film, besonders wegen der sympatischen Darstellung der jüdischen Menschen und von daher in jeder Hinsicht geeignet für die politische Arbeit unter Sportlern und nationalen Fußballfans, von deren Rassismus und Antisemitismus man immer hören und lesen muss.

Dagegen kann man den »semi-offiziellen« Antifafilm des Festivals, »The good German« mit George Clooney und Cate Blanchett vergessen. Er war gedacht als ein technisch brillantes Remake von »Casablanca«, doch statt seiner sollte man sich lieber zum fünfzigsten Mal das unvergleichliche Original ansehen. Leider wird genau dieser Film mit großem Brimborium in die Kinos kommen und, genau wie jetzt die Oscar prämierte lächerliche Stasilegende »Das Leben der Anderen«, unverdiente Medienaufmerksamkeit erhalten. Wir sollten dagegen den Sachsenhausenfilm »Die Fälscher« so offensiv wie möglich propagieren. Ein großartiger Antinazifim, über den ich in der nächsten Ausgabe berichten werde.