Kollegengespräche

geschrieben von Thomas Willms

5. September 2013

Was uns die Unterhaltungen belauschter Wehrmachtssoldaten zu sagen
haben

Sept.-Okt. 2011

Sönke Neitzel/Harald Welzer: Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, S. Fischer Verlag, Frankfurt M., 521 Seiten, 22,95 EUR

Es ist oft nicht zu vermeiden. In Zügen oder Restaurants sitzt man in der Nähe von Personen aus ein und demselben Unternehmen und wird Zeuge ihrer angeregten und ungenierten Gespräche. Interessant ist das zugegebenermaßen auch. Sie vermitteln ungefilterte Bilder ihrer Tätigkeit und ihres Unternehmens jenseits von Glanzbroschüren. Über Kollegen und Vorgesetzte wird hergezogen oder sie werden bewundert, technische oder Verfahrensprobleme werden beklagt, eigene Leistungen herausgestellt und irgendwann driftet es ins Halbprivate. In diesen Gesprächen geht es nicht ums große Ganze, sondern um die eigene Abteilung und was man über andere so hört. Sie sind nie konfrontativ, sondern dienen vielmehr dem Gruppenzusammenhalt und der Vergewisserung darüber, was für gut und richtig gehalten wird.

Es war diese Art von Gesprächen, die britische und amerikanische Dienststellen während des Zweiten Weltkrieges in speziellen Gefangenenlagern abhörten und aufzeichneten. Das auszuforschende »Unternehmen« war die Wehrmacht. Über 100.000 Seiten Wortprotokolle dieser Art sind seit wenigen Jahren zugänglich und werden untersucht. Das Interesse der Alliierten bestand darin, Informationen über technische Entwicklungen, Einsatztechniken, Kampfmoral und Verbrechen zu erhalten. Darin waren sie erfolgreich, da Entwicklungen bspw. der Luftwaffe lange vor Indienststellung von den Piloten erörtert wurden und über die Lauschangriffe zur Kenntnis der Alliierten gelangten. Die Geheimhaltung dieser Informationsquelle erschien so wichtig, dass sie nicht für die Strafverfolgung nach dem Krieg verwendet wurde.

Neitzel und Welzer geht es in ihrer sozialpsychologischen Untersuchung darum, die »Weltsicht« der Soldaten und zwar eben auch »einfacher Soldaten« zu erkunden. In welchem »Referenzrahmen« bewegten sich ihre Gespräche? Für den heutigen Leser ist zunächst überraschend, dass die Gefangenschaft fast nichts an deren Weltsicht änderte. Man machte sich weiter Gedanken um Auszeichnungen, das Bordgeschütz und den Führer. Der Gruppendruck blieb sogar noch länger erhalten als die Siegeszuversicht. Das Selbstbild, zu den »Guten« zu gehören, blieb ungestört. Unser heutiges Bild des völligen »Zu-Ende-Seins« einer Epoche mit Ende des Krieges entsprach nicht dem Empfinden der zeitgenössischen Wehrmachtssoldaten.

Das Deprimierende an den von den Herausgebern sorgfältig kommentierten Gesprächen ist, dass es für das Verüben fürchterlichster Taten nicht darauf ankam, ob jemand ein ausgesprochener »Vernichtungskrieger« war oder nicht. Wichtiger waren militärische Codes von Härte, Pflicht und Gehorsam. Weitaus wichtiger als das Trommelfeuer der Goebbels-Propaganda war das soziale Nahfeld, die militärische Einheit, der man angehörte. Wichtiger als Worte war das Tun, waren die durch den Krieg ermöglichten »Gelegenheitsstrukturen«. Die Gespräche belegen, dass alle Aspekte des Holocaust oder der Vernichtung der sowjetischen Kriegsgefangenen mehr oder weniger, oft aber sogar in Details, bekannt waren und weitererzählt wurden. Nur interessierte man sich nicht sehr dafür. Mit Morden endende Vergewaltigungen tauchen in den Gesprächen zwar auf, sind aber in der Regel eher unergiebige Gesprächsthemen, die bald verlassen werden. Auch wenn etwas für »scheußlich« erklärt wurde, änderte dies nichts an der Selbstverständlichkeit, Befehle auszuführen. Man beschwerte sich darüber, wie »unprofessionell« manches vor sich ging, war auch nicht begeistert über manche Aufgaben, geschossen wurde trotzdem. Der Übergang vom »Dienst« als Lufthansa-Pilot zum »Dienst« als Kinder abschießender Jagdpilot war viel einfacher, als heute zuweilen herumgeheimst wird.

Provokationen nicht abgeneigt, wenden sich die Autoren abschließend auch der Frage zu, was die Einsätze der Wehrmacht eigentlich von denen der US Army in Vietnam und denen der Bundeswehr in Afghanistan unterscheidet. Sie diagnostizieren dieselben Mechanismen der Verdinglichung von Menschen und der sich selbst rechtfertigenden Gewalt. Jeder Soldat stelle Eindeutigkeit durch Gewalt her. Wer getötet wurde, war eben ein Feind. Unterschiede beständen in den vorherrschenden Codes und bei den »Referenzrahmen«. Als wehrmachtsspezifisch gelten ihnen die Bereitschaft, auch in großem Maßstab offensichtlich wehrlose und unschuldige Nichtkombattanten zu töten.