Konsequente Hilfe ist nötig

geschrieben von Das Gespräch führte Regina Girod

5. September 2013

Mitarbeiterinnen des Behandlungszentrums für Folteropfer in Berlin im
Gespräch

Sept.-Okt. 2008

Das Behandlungszentrum für Folteropfer (bzfo) in Berlin wurde 1992 gegründet und bietet Opfern organisierter staatlicher und Bürgerkriegs-Gewalt Hilfe bei körperlichen Leiden, seelischen Langzeitschäden und psychosomatischen Störungen. Das Behandlungsangebot richtet sich an Erwachsene, Kinder und unbegleitete Jugendliche. Etwa 500 Menschen behandelt das Team jährlich. Die Patientinnen und Patienten kommen aus fast 60 Ländern. Rund die Hälfte der Ausgaben wird vom Bund, der EU und den Vereinten Nationen finanziert; der Rest wird von Stiftungen, Unternehmen und Privatpersonen getragen.

www.bzfo.de

antifa: Die meisten Patienten in Ihrer Einrichtung sind Flüchtlinge im Asylverfahren. Wie finden sie den Weg zu Ihnen?

Claudia Kruse: Personen und Einrichtungen, die mit Flüchtlingen arbeiten, also Ärzte, Rechtsanwälte, Flüchtlingsberatungsstellen, seit einiger Zeit auch die Erstaufnahmestelle für Asylbewerber, verweisen auf uns, wenn sie den Eindruck haben, dass ein Klient spezielle medizinische und psychologische Hilfe benötigt. Wir haben lange Wartelisten. Nur ein Teil der hier ankommenden Folter-überlebenden hat überhaupt die Möglichkeit, unsere Therapieangebote in Anspruch zu nehmen. Es gibt auch eine Art Mund zu Mund-Propaganda unter Landsleuten. Ehemalige Patienten helfen anderen, den Weg zu uns zu finden.

antifa: Mit welchen Symptomen und Krankheitsbildern sind Sie konfrontiert?

Claudia Kruse: Folter verletzt, isoliert und macht sprachlos. Folter ist darauf ausgerichtet, den Opfern ihre Würde und jede soziale Bindung zu nehmen. Einige unserer Klienten haben die Orientierung in ihrem Leben verloren.

Diagnostisch haben wir es mit verschiedenen Krankheitsbildern zu tun. Eine häufige Erkrankung ist die posttraumatische Belastungsstörung, die mit flashbacks, Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen, Schlafstörungen, Alpträumen, Wiedererinnern an das Trauma verbunden ist. Viele Patienten haben Depressionen und leiden an vielfältigen Schmerzzuständen.

Ihre Krankheit belastet nicht nur sie, sondern auch ihre Familien. Wir behandeln auch Kinder und Jugendliche. Manche sind durch die Gewalterfahrungen der Eltern und die Auswirkungen auf das Familiensystem sekundär traumatisiert, andere haben eigene Kriegs- oder Foltererfahrungen. Hinzu kommt bei einigen der Verlust der Familie. Sie kommen allein als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland, z. B. ehemalige Kindersoldaten.

antifa: Braucht Therapie nicht vor allem eine sprachliche Grundlage? Wie schaffen sie die bei Patienten aus mehr als 50 Ländern?

Andrea Ahrndt: Das ist ein Teil unseres speziellen Angebotes. Wir arbeiten mit von uns weitergebildeten Dolmetschern. In Berlin gibt es für fast alle Sprachen Dolmetscher. Ein großes Problem bereitet allerdings deren Bezahlung. Wir müssen die Arbeit der Dolmetscher größtenteils aus Spenden finanzieren. Sprachprobleme sind auch der Hauptgrund dafür, dass niedergelassene Therapeuten die Behandlung von Folteropfern oft nicht übernehmen können.

antifa: Wie beeinflusst der Flüchtlingsstatus die Situation ihrer Patienten?

Claudia Kruse: In jedem Fall wirkt sich der Status als Asylbewerber auf die psychische und physische Verfassung des Klienten aus und ist somit Gegenstand der Therapie. Der unsichere Rechtsstatus, dem sie unterliegen, belastet unsere Patienten meist noch stärker als andere Betroffene. Hinzu kommt die oft als demütigend empfundene Behandlung bei den zuständigen Behörden, der Rassismus und die Ausgrenzung, die sie in Deutschland erfahren. All diese Probleme werden immer wieder in den Therapien thematisiert. Man kann sich ja nicht isoliert mit Traumafolgen der Vergangenheit beschäftigen, wenn die Traumatisierung fortgesetzt wird.

Andrea Ahrndt: Als Sozialarbeiterin setze ich mich jeden Tag mit Ämtern und Behörden auseinander. Zum Beispiel haben wir die Möglichkeit, im Rahmen eines Therapieplanes eine Arbeitserlaubnis für Patienten zu beantragen, weil Arbeit sehr wichtig für die Stabilisierung des Selbstwertgefühls ist. Doch es dauert oft Monate, bis wir sie bekommen. Solange hält kein Betrieb einen Arbeitsplatz frei. Große Probleme bereitet uns auch die Residenzpflicht. Flüchtlinge, die im Umland von Berlin leben, brauchen für jede Therapiestunde eine extra Genehmigung, um nach Berlin zur Behandlung kommen zu dürfen. Und wenn diese erteilt wurde, ist ein weiteres Problem die Übernahme der Fahrtkosten. Da Flüchtlinge ja nur verminderte Sozialleistungen erhalten, können sie die nicht selbst aufbringen.

antifa: Ist das nicht frustrierend?

Claudia Kruse: Natürlich. Menschen die Folter oder Krieg erlebt haben, kennen das Gefühl der totalen Ohnmacht und des Ausgeliefertseins. Wir bemühen uns darum, diese Menschen zu stabilisieren und sie wieder handlungsfähig zu machen. Wir müssen aber immer wieder erleben, dass unsere Arbeit durch die rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen behindert wird.

antifa: Aber Ihre Einrichtung wird doch staatlich gefördert?

Claudia Kruse: Ja. Ein Teil unserer Mittel stammt aus dem Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wir erfüllen hier den staatlichen Auftrag der Behandlung und medizinischen Versorgung von Folteropfern, zu der sich alle Staaten der EU verpflichtet haben. Es gibt zur Rehabilitation von Folteropfern klare EU-Richtlinien, die von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssen, in Deutschland aber bisher nur teilweise umgesetzt sind.