Kunst unter Bombenschutt

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Von den Nazis als »entartet« verfemte Werke wurden in Berlin
ausgegraben

Jan.-Feb. 2011

Katalog: Der Berliner Skulpturenfund »Entartete Kunst« im Bombenschutt

Verlag Schnell und Steiner, 9 Euro

Otto Freundlich geboren 1878 in Stolp, Pommern; 1943 im KZ Lublin-Majdanek ermordet. Die Werke des Bildhauers und humanistischen Kunstphilosophen wurden 1937 in der Münchner NS-Ausstellung »Entartete Kunst« wegen der jüdischen Herkunft des Künstlers besonders verfemt. Seine Skulptur »Der neue Mensch« bildeten die Nazis – verzerrt aus der Untersicht aufgenommen – auf dem Katalogtitel der Schandausstellung ab.

Die umfassenden Ausgrabungsarbeiten zur Errichtung des neuen U-Bahnhofes zwischen Alexanderplatz und Rotem Rathaus wurden von Mitarbeitern des Museums für »Vor- und Frühgeschichte« sorgfältig beobachtet. Sie hofften, unter dem Bombenschutt noch Spuren der Siedlungsgeschichte -Berlins zu finden. Völlig unerwartet stießen sie jedoch auf Beweise deutscher Zeitgeschichte, genauer auf solche der barbarischen Aktion »Entartete Kunst«.

Im Bereich, der freigelegt wurde, stand einst das größte mittelalterliche Rathaus Europas. Später verlief hier Berlins Boulevard, die Königsstraße, die heutige Rathausstraße. Einem Grabungshelfer fiel zufällig auf, dass ein merkwürdiger Steinklumpen von der Baggerschaufel rollte. Nachdem man alle Schuttspuren beseitigt hatte, kam eine Bronzebüste zum Vorschein. Bei weiteren, nun gezielten, Grabungen in der ehemaligen Königsstraße 50, wurden noch drei Bronzen und zwei Terrakottafiguren geborgen.

Kunsthistorische Recherchen ergaben, dass die insgesamt elf wieder gefundenen Kunstwerke Teile der Nazi-Ausstellung »Entartete Kunst« gewesen sind, in der 650 Exponate (von ca 16 000 beschlagnahmten Kunstwerken) als abschreckende Beispiele für »undeutsche« Kunst präsentiert und als Propagandaausstellung mit großem Aufwand durch Deutschland geschickt worden waren. Wer hatte wohl den Mut gehabt, die Skulpturen aus der Ausstellung zu entwenden und privat in Sicherheit zu bringen?

Aufgrund von Signaturen konnte die Forschungsstelle »Entartete Kunst« der Freien Universität die Schöpfer von sieben der wieder gefundenen Werke feststellen. Da ist z. B. ein Kopf von Otto Freundlich, der 1939/40 in ein Internierungslager kam und 1943 in Lublin/Maidanek ermordet wurde. Früh bekannt waren auch Karl Knappe mit seiner biblischen Figur »Hagar«, Edwin Scharfs »Skulptur der Schauspielerin Anni Mewes« und Emmy Röders »Schwangere«. Alle Skulpturen werden nun im Neuen Museum in Berlin gezeigt. Als mahnende Zeitzeugen der Kunstbarbarei der Nazis: Auferstanden aus Ruinen!

Wie kamen sie aber nun in die Königstraße 50? Grundbuch und Adressbuch von Berlin besagen, dass das Haus 1942 noch der Jüdin Edith Steinitz gehörte, die dem Nazigegner Erhard Oewerdieck Büroräume vermietet hatte. Ob die Plastiken aus seiner Obhut kommen? Nachgewiesen ist, dass Oewerdieck und seine Frau Charlotte Juden geholfen haben, unterzutauchen oder zu emigrieren, wie dem Althistoriker Eugen Täubler und seiner Frau Selma Stern-Täubler. Den Oewrdiecks war sogar gelungen, einen Teil von Täublers Bibliothek und seiner historischen Dokumente zu retten. Hatte vielleicht Täubler helfen können, die Skulpturen zu retten? Heute weiß man auch, dass Erhard Oewerdieck den Kommunisten Wolfgang Abendroth ins seinem Büro als« Revisionsassistenten« beschäftigte und versucht hat, ihn durch ein positives Arbeitszeugnis zu schützen. In Yad Vashem wird das Ehepaar Oewerdieck heute als »Gerechte unter den Völkern« geehrt.

Es ist erfreulich, dass an die Barbarei der Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 zunehmend in öffentlichen Veranstaltungen in Schulen und bei Lesungen erinnert wird. Dieser überraschende Kunstfund sollte Anlass sein, der Erinnerung an die Vernichtungskampagnen der Nazis gegen Malerei, bildende Kunst und Musik ebenfalls ein festes Datum einzuräumen, zumal im Sprachgebrauch der rechten Szene Worte wie »entartet« oder »undeutsch« nach wie vor geläufig sind.

Manchmal vermögen sogar Bagger Erinnerungen freizulegen.