Leitbilder des Gedenkens

5. September 2013

Erklärung der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme e.V.

Juli-Aug. 2008

Die Bundesgeschäftsstelle hat einen Brief der Gedenkstättenleiterin von Ravensbrück, Dr. Insa Eschenbach, erhalten. Sie bedankt sich darin für die Presseerklärung des Bundesausschusses der VVN-BdA zur Fortschreibung des Gedenkstättenkonzeptes, insbesondere für die dort erhobene Forderung, die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück mit in die ständige Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte zu integrieren.

Mit Bestürzung verfolgt die Arbeitsgemeinschaft Neuengamme die Entwicklung des Verhältnisses von Bundeswehr und KZ-Gedenkstätte Neuengamme in den letzten Jahren. Wir haben bei verschiedenen Gelegenheiten darauf hingewiesen, dass es sich bei der Bundeswehr vor allem um ein Instrument der Regierung handelt, mit dem Interessen- und Machtpolitik auch mit kriegerischen Mitteln umgesetzt wurden und zukünftig verstärkt um gesetzt werden. Angehörige der Bundeswehr erklären sich mit ihrem Eintritt in dieselbe genau damit einverstanden. Diese Tatsache ist unserer Ansicht nach mit den Zielsetzungen der Gedenkstättenarbeit nicht in Übereinstimmung zu bringen, denn eine Gedenkstätte sollte mit Hilfe der Vermittlung historischen Wissens Menschen behilflich sein, ein Bewusstsein für Respekt und Menschenwürde zu entwickeln und sie dazu ermutigen, kritisch und selbstständig Fragen zu Systemen staatlicher Unterdrückung und Diskriminierung zu stellen und sich mit der Geschichte und auch der unsäglichen Nachgeschichte von Neuengamme zu beschäftigen.

Aktueller Anlass dieser Erklärung ist die Einstellung eines Bundeswehrsoldaten als freier museumspädagogischer Mitarbeiter in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Im Rahmen dieser Arbeit wird er als Repräsentant der Gedenkstätte auftreten und die Geschichte des Konzentrationslagers und der Häftlinge an Schulklassen aber auch an Bundeswehrgruppen vermitteln. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat sich in diesem Zusammenhang kürzlich entschieden, künftig auf die Mitarbeit eines langjährigen freien Mitarbeiters der Museumspädagogik zu verzichten. Grund für diesen drastischen Schritt war die Ankündigung des Pädagogen, nicht mehr als Guide für Bundeswehrgruppen zur Verfügung zu stehen, solange die Gedenkstätte nicht endlich bereit sei bzw. die Notwendigkeit erkenne, gemeinsam mit dem Team der freien Gedenkstättenpädagog/innen und den Überlebendenverbänden Fragen hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und der Einstellung eines aktiven Bundeswehrsoldaten als freien Museumspädagogen zu diskutieren, wie diese es seit längerem fordern.

Ist diese Entlassung ein Versuch seitens der KZ- Gedenkstätte, einer notwendigen inhaltlichen Diskussion um Leitbilder und politische Fragen zu entgehen? Wenn ja, aus welchem Grunde sollen mit engagierten, dort seit langem tätigen freien Mitarbeiter/innen keine inhaltlichen Diskussionen geführt werden?

Die Arbeitsgemeinschaft Neuengamme (AGN) als Interessensvertretung der Überlebenden und ihrer Angehörigen des Konzentrationslagers Neuengamme, sieht sich aus verschiedenen Gründen veranlasst, in dieser Angelegenheit zu intervenieren, auch, um das bislang positive Verhältnis von AGN und Gedenkstätte weiterhin zu gewährleisten.

Der Ort der Vernichtung von mehr als 50.000 Menschen und des Leidens so vieler anderer ist ein Ort der Erinnerung, des würdevollen Gedenkens und der Information. Er darf kein Ort werden, an dem ein deutscher Armeeangehöriger exponiert auftritt, für den die Richtlinien des Gehorsams und der Einsatz kriegerischer Mittel, die politisch gewollt von der Bundesrepublik Deutschland ausgehen, nicht in Frage stehen. Ebenso muss die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass Überlebenden oder ihren Angehörigen als Besucher der Gedenkstätte ein deutscher Soldat als Guide gegenübersteht, auch wenn er dort nicht in Uniform erscheint.

Es geht der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme nicht darum, Angehörigen der Bundeswehr die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen zu verweigern. Diese ist unbedingt notwendig, unterstützenswert und sollte Aufgabe der politischen Bildung seitens der Bundeswehr als Organ eines sich als demokratisch gebenden Staates sein. Noch aber werden Gedenkstättenbesuche leider häufig dazu genutzt, Bundeswehrsoldat/innen auf Auslandseinsätze mit Kriegsverlauf vorzubereiten. Solange sich zudem Angehörige der Bundeswehr offiziell an Ehren- und Gedenkzeremonien für NS-Kriegsverbrecher in Mittenwald, am Ulrichsberg, auf Kreta, in Italien, Spanien, Frankreich und vor unzähligen Kriegsdenkmälern in der BRD beteiligen, sind die Traditionslinien von nationalsozialistischer Wehrmacht und Bundeswehr keinesfalls durchbrochen.

Die AGN sieht angesichts der Geschehnisse in Neuengamme die Umsetzung der Losung »Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!« eklatant in Frage gestellt.

Wir verurteilen zudem die Kündigung des freien Gedenkstättenpädagogen als einen Akt der Repression gegenüber einer Person mit einem unbequemen antifaschistischen Selbstverständnis, das allerdings unabdingbar ist für die pädagogische Arbeit in Gedenkstätten für die Verbrechen des Nationalsozialismus. Auch und gerade an einem solchen Ort ist die politische Diskussion und die Auseinandersetzung über Richtungen und Inhalte von Gedenkstättenarbeit unumgänglich.

Hamburg, den 6. 6. 2008,
Bert Wahls,
Für den Vorstand der Arbeitsgemeinschaft
Neuengamme