Max Beckmann im Exil

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Ein Überblick über das in Amsterdam entstandene Werk des
Künstlers

Jan.-Feb. 2008

Das Bild nennt sich »Die Reise«, aber er es sieht nicht so aus, als wollten die Figuren auf dem Bahnsteig einsteigen in den seltsamen Zug, der da am Wegfahren ist. Uniformierte recken aus Abteilfenstern und Lokomotive die Hände nach oben. Zum Hitlergruß? Hinter einem schmalen Fenster am Ende des Zuges eine dunkle Gestalt. Ein Gefangener? Wohin geht diese Reise?

Im Vordergrund eine verhüllte, verzweifelte Person, zusammengekrümmt auf einem Reisekoffer. Ein Aufkleber verweist auf Berlin. Auf einem Koffer mit »Paris«-Etikett hat sich eine leicht bekleidete Dame breit gemacht. Sie kehrt uns den Rücken zu und lässt sich von einer Krankenschwester/Nonne hochprozentige Medizin servieren. Die Metropolennamen auf den Reiseutensilien stehen auf dem Kopf. Eine nahezu Nackte schreitet selbstbewusst aus dem Bild, in ihrem Gefolge ein zögernder Hotelpage mit Eden-Käppi; Paradiesboten sehen anders aus. Nach rechts fährt der Zug davon, nach links kippt ein Kontrabass aus dem Bild.

Der Maler Max Beckmann schuf das Gemälde im Amsterdamer Exil im ersten Viertel des Jahres 1944 – in den Monaten um seinen 60. Geburtstag. Das Musikinstrument, manche Figuren, die Nachtclub-Anklänge des Szenarios auf dem Bahnsteig: Vieles verweist auf früher entstandene Werke des Künstlers, auf das mondäne Hotel- und Club-Ambiente, in dem sich der auch finanziell erfolgreiche Künstler europaweit gerne bewegte und das er in seine Bilderfindungen einbrachte. Nicht als Orte des Glücks und der Glückseligkeit – die gibt es bei Beckmann ohnehin kaum. Aber auch nicht als Vehikel für eindeutige Sozial- oder Gesellschaftskritik wie etwa bei Dix oder Grosz.

Im »Reise«-Gemälde steht das Personal solch früherer Bild-Erzählungen verloren auf einem Bahnsteig. Die Dargestellten haben fast alle Bezüge zueinander verloren, ihr Umfeld scheint nach zwei Seiten auseinander zu fallen. Dem Künstler und seinen Figuren ist durch Faschismus und Krieg eine Welt abhanden gekommen. Und obwohl das Werk mit seinen Blau-, Grün- und Rottönen von einer beeindruckenden Farbigkeit ist, bleibt ein Gefühl schwarzer Hoffnungslosigkeit.

Mit schwarzen Tönen arbeitet der Maler oft in seiner Amsterdamer Emigrationszeit. Bekannt ist sein »Selbstbildnis in Schwarz«, ebenfalls 1944 entstanden. Das allerdings hat er in einem seiner Tagebücher auch als »Selbstporträt mit ›englischrotem‹ Vorhang« bezeichnet. Die Invasion der Alliierten, von der britischen Küste ausgehend, stand bevor. Also doch Hoffnung?

Ungefähr ein Drittel des Beckmann-Gesamtwerks entstand in den rund zehn Jahren in Amsterdam. Deutlich wird, wie Max Beckmanns reale Exil-Erfahrungen, wie der Faschismus und die Verheerungen, die er anrichtete, in sein Werk Eingang fanden. In Bildern wie der »Reise« etwa, den Selbstporträts »Der Befreite« (1937) oder jenem »in Schwarz«, in den Tableaus »Hölle der Vögel« (1938) und »Prometheus« (1942).