»Mein Führer«

geschrieben von Irene Runge

5. September 2013

und andere Merkwürdigkeiten

März-April 2007

Für Olga Feidianina, Kulturredakteurin von »Jüdische Zeitung«, ist die öffentliche Debatte über Dani Levys Film »Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit« seltsamer als das Kunstwerk selbst. Sie zitiert auch mich mit Sätzen wie: »Nun, auch ehrenwerte Leute machen zuweilen schlechte Filme«. Und mein Urteil: »Die Grundidee trägt nicht über anderthalb Stunden, die psychoanalytische Deutung ist laienhaft, in den Vordergrund rücken die eigentlich uninteressanten Sachen. Manches ist peinlich ungenau. Zum Beispiel die Geschichte mit der Familie. Die Kinder von Grünbaum kommen aus dem KZ – wohlgenährt und gepflegt. Ulrich Mühe als ehemaliger Professor ist elegant und kultiviert – aber dann erscheint seine Gattin und benimmt sich wie eine Frau aus dem Dorf… Man ahnt, dass Levy etwas Gutes meint, aber die Umsetzung nicht schafft. Doch wir müssen dankbar dafür sein, dass er so viel in Bewegung gesetzt hat. Was für eine Diskussion der Film entfacht! Über den Umgang mit Juden heute, den Umgang mit Geschichte – da merkt man, wie schwierig all diese Dinge nach wie vor sind.«

Ich weiß nicht, wer von Ihnen den Film gesehen hat. Wegen Levys wunderbar ernsthafter Komödie »Alles auf Zucker« hatte ich gehofft, ihm werde der unwahrscheinliche Coup einer Hitlerparodie gelingen. Das Ergebnis hat mich genervt, teilweise gelangweilt, und ich kenne nur einen ernsthaften Menschen, den Levys antidokumentarische Idee über den selbstvernarrt depressiven Diktator und dessen Vertrauen in die Heilkünste des jüdischen Schauspiellehrers Grünbaum amüsiert hat. Für mich sind Hitlers Kindheitstraumata und Erwachsenenneurosen also weiterhin nicht komisch, sondern pathologisch. Sein Name steht für ein mörderisches System, sein Wille war Zweiter Weltkrieg, die Unterjochung Europas, das Euthanasieprogramm und die beschlossene Vernichtung von Juden und Zigeunern. Das ist die Tragödie des 20. Jahrhunderts. Aber Levy hatte sich vorgenommen, die Funktionäre des Systems komödiantisch zu zersetzen. Originalton Levy: »Es gibt keine Möglichkeit, Witze über den Holocaust zu machen. Aber über die Machthaber kann man eine böse Komödie machen und sie ein Stück weit ihrer Größe entheben.« Für mich misslungen auch deshalb, weil es zynisch ist, im Dezember 1944 (!) einzusetzen, als die »Endlösung der Judenfrage« fast vollendet ist. Das zerstörte Berlin wird hier dem Führer rücksichtsvoll verschwiegen, sein Kriegsluxus ist etwas lächerlich, doch Levy wollte den Film anders vollenden, hieß es, zu sehen ist aber dies. Das Komischste ist ein Schäferhund, der sekundenlang die Pfote zum Hitlergruß hebt. Dass Levy jüdisch ist, macht den Film nicht besser, aber erklärt, warum Kritik so genierlich geübt wurde.

Als Brecht das System Hitler im aufhaltsamen Aufstieg eines Arturo Ui verfremdete, ordnete der Schauspielunterricht die theatralisch-politische Bewegung in der mörderischen Intrige bis über Stalingrad hinaus ein. Levys Schauspiellehrer Grünbaum dient therapeutischen Zwecken. Was folgte, würde er Hitler vom persönlichen Leid heilen? Brecht warnt am Ende: »Der Schoß ist fruchtbar noch«, Levy endet mit »Heilt euch selbst«, seine Massen glückstaumelnd inmitten von Kulissen. Olga Feidina schreibt, 56 Prozent der Bundesbürger wären laut Umfragen gegen besagten Film, doch es bleibe offen, »wie viele von den besagten 56 Prozent es nicht gut finden, dass man Hitler respektlos verarscht und ihn lieber als einen (bösen) Übermenschen sehen wollen.« Dass, wie beim »Untergang«, lauthals befürchtet wurde, hier könne es zur Identifikation mit Hitler und seinesgleichen kommen, hat nichts mit den Filmen, aber viel mit der Angst beim Aufbrechen erstarrter Geschichtsmythen zu tun. Wer diese Sorge teilt, sollte unbedingt zur Abschreckung ins Kino gehen!