»Mein lieber Christoph«

geschrieben von Günter Wehner

5. September 2013

Ein verdienstvolle Briefedition zur Geschichte der Weißen Rose

März-April 2012

Christiane Moll (Hg.): Alexander Schmorell, Christoph Probst – Gesammelte Briefe. Lukas Verlag für Kunst und Geistesgeschichte, 943 S., 34,80 Euro

In der Fülle an Publikationen zur Genesis der »Weißen Rose« findet man zu Alexander Schmorell und Christoph Probst nur spärliche Angaben. Diese Lücke wurde nun von Christiane Moll durch jahrelange Recherchen und die akribische Sichtung und Auswertung der 3330 erhaltenen Briefe der beiden Antifaschisten geschlossen. Die Briefe geben Einblick in ihr Denken, Fühlen und Handeln im Rahmen der Widerstandsgruppe »Weiße Rose«

Im Vorwort des Bandes geht Prof. Dr. Johannes Tuchel auf die unterschiedliche Deutung und Wertung zur Reflexion der Gruppe »Weiße Rose« ein. Er verweist auf unverständliche Lücken bei der Erforschung und Wahrnehmung der Widerstandsgruppe und den oberflächlichen Umgang mit den Quellen zur »Weißen Rose«. Tuchel hebt hervor, dass in der vorliegenden Edition »Alexander Schmorell und Christoph Probst jetzt in insgesamt mehr als 300 Dokumenten selbst zu Wort« kommen.

Die Autorin verweist in einer knappen editorischen Vorbemerkung darauf, dass im Gegensatz zu den Geschwistern Scholl kaum Fakten über Alexander Schmorell und Christoph Probst in Bezug auf die studentische Widerstandsgruppe bekannt sind. Sie erläutert, dass in der vorliegenden Publikation erstmals die erhaltenen Briefe vollständig von ihr veröffentlicht wurden.

Sie betont, dass sie mit Hilfe einer biografischen Einführung die die Herkunft, Kindheit, den Beginn und den Verlauf der engen beiderseitigen Freundschaft sowie ihr gemeinsames illegales Wirken in der »Weißen Rose« bis zum Februar 1943 hinterfragt, bei den Lesern Interesse und Verständnis für die editierten Briefe wecken will, die auf das engste mit der Geschichte der studentischen Widerstandsgruppe verflochten sind.

Ausführlich schildert die Autorin die Herkunft und Kindheit von Alexander Schmorell. Er wuchs in eine Welt unterschiedlicher Kulturen hinein. In Orenburg am Ural geboren, kam er 1921 nach München. Hier war sein Vater als Arzt tätig. Die Leser erfahren, dass Schmorell zu Beginn seiner Schulzeit eine Privatschule besuchte und anschließend das älteste humanistische Gymnasium Münchens. Über seine politische Betätigung im Jungstahlhelm, in der SA, HJ und im SA-Reitersturm wird knapp aber präzise informiert.

Christoph Probst, so berichtet Moll, wurde 1918 in eine Zeit revolutionärer und gegenrevolutionärer Extreme hineingeboren. Sein erstes Schuljahr absolvierte er zu Hause, da seine Mutter als examinierte Lehrerin ihn privat unterrichten durfte. Ab April 1927 besuchte er die staatliche Munauer Schule. Im Frühjahr 1935 wechselte Christoph Probst die Schule. Er ging nunmehr in das gleiche Gymnasium wie Alexander Schmorell. Die sich rasch entwickelnde Freundschaft der beiden Gymnasiasten skizziert die Autoren außerordentlich einprägsam für den Zeitraum von 1935 bis zum Jahr ihrer Verhaftung 1943. Im Kontext mit den überlieferten Briefen der Freunde erfährt der Leser, wie sie den Weg zum bewussten Widerstand gegen das NS-Regime fanden und sich zielstrebig auf ihre Widerstandsaktionen in Form illegaler Flugblätter konzentrierten. Auslöser der Aktionen war ihre sittliche Empörung über die barbarischen Kriegsverbrechen des NS-Regimes an der Ostfront und in den okkupierten Ländern. Überzeugend vermittelt die Autorin an Hand der ausgewerteten Briefe, dass den Widerständlern durch die unterschiedlichen Fronteinsätze als angehende Ärzte die aussichtslose Kriegslage nicht unbekannt war und sie die verbleibende Zeit zum aktiven Handeln gegen das sinnlose Völkermorden nutzen wollten, um einen Beitrag zur Beendigung des Krieges und zum Sturz des Terrorregimes zu leisten.

In den abschließenden Kapiteln der editorischen Vorbemerkung, die im Prinzip eine ausgezeichnete für sich stehende Publikation darstellen, schildert Christiane Moll die Festnahme und den Willkürprozess gegen Schmorell und Probst.

Die Briefe der beiden Freunde auf den Seiten 288 bis 891 geben einen tiefen Einblick in das Denken, Handeln und Fühlen der vorgestellten Antifaschisten. Sie zu lesen und zu nutzen für die Arbeit gegen am Nichtvergessen des geleisteten Widerstandes gegen das NS-Regime ist ein großer Gewinn für jeden, der sich mit dieser Thematik beschäftigt. Die Briefe sind chronologisch geordnet und zu jedem Brief gibt es spezielle Fußnoten. Der Anhang beinhaltet alle Quellen und eine umfangreiche Literaturauswahl sowie ein Personenregister.

Christiane Moll ist es gelungen, mit der exakt kommentierten Edition eine differenzierte und zugleich einprägsame Annäherung an die kaum beachteten Widerstandskämpfer Alexander Schmorell und Christoph Probst zu publizieren. Sie schließt mit dem Buch eine wesentliche Lücke in der Forschung über die »Weiße Rose«, zumal hier erstmals die Hauptbeteiligten selbst zu Worte kommen.