Misstraut den Grünanlagen

geschrieben von Gerald Netzl

5. September 2013

Die Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt« in Polen

Nov.-Dez. 2012

Im September 2012 fand eine einwöchige Gedenkfahrt der »Arbeitsgemeinschaft der KZ-Verbände und Widerstandskämpfer Österreichs« zu den Gedenkstätten der ehemaligen Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt« nach Polen statt. »Aktion Reinhardt« war der Deckname, unter dem die Nazi-Faschisten im Rahmen der »Endlösung« 1942 und 1943 beinahe die Gesamtheit der polnischen Jüdinnen und Juden ermordeten. Drei Vernichtungsstätten, Belzec, Sobibor und Treblinka, wurden eigens und ausschließlich zum Zweck der Ausplünderung und Ermordung von mehr als 2 Millionen Menschen eingerichtet. Über jeden einzelnen dieser Orte des Schreckens könnte ein eigener ausführlicher Artikel geschrieben werden, hier wenigstens ein Bericht über die Fahrt und die Eindrücke und Informationen, die die 32 Teilnehmer (aktive Antifaschistinnen, Pädagogen und auch ein Zeitzeuge), gesammelt haben.

Gemeinsam ist allen drei ehemaligen Vernichtungslagern ihre Lage an der Peripherie des damaligen Generalgouvernements bzw. des heutigen Polens, nahe den Grenzen zu Belarus und zur Ukraine. Alle drei Lager wurden bewusst an wichtigen Bahnlinien und einsam im Wald liegend gebaut, damit es keine unliebsamen Zeugen gäbe. Das reichsdeutsche SS-Personal sammelte im Zuge des »Euthanasieprogramms« T 4 in den Jahren davor einschlägige mörderische Erfahrungen. Unter diesen Tätern waren überdurchschnittlich viele Ostmärker, also geborene Österreicher. Die Präzision der Todesmaschinerie, die Logistik des Mordens, die Kaltblütigkeit und Brutalität mit der Millionen unschuldiger Menschen umgebracht wurden, schockierte alle TeilnehmerInnen der Reise. Alle drei Vernichtungslager wurden 1943, nach Beendigung der Aktion, dem Erdboden gleichgemacht, um die oberirdischen Spuren zu verwischen. Die Leichen der Opfer wurden ursprünglich in riesige Massengräber geworfen. Die Entdeckung der Massengräber von Katyn (!) hatte zur Folge, dass sich die Verantwortlichen entschlossen, die Leichen wieder ausgraben zu lassen und zu verbrennen. Die Totenruhe musste nach dem Krieg gegen »Goldgräber« geschützt werden. Im Zuge der Gestaltung der Gedenkstätten wurden die Totengruben mit massiven Betonfeldern überplattet.

Im Herbst 2012 präsentierten sich die drei Gedenkstätten in unterschiedlichem Zustand: In Treblinka, nordöstlich von Warschau, und in Sobibor befinden sich Denkmalanlagen aus den 1960er Jahren, die Museen sind für die Bedeutung der Orte klein und aus den 1990er bzw. frühen 2000er Jahren, die Texte in Sobibor nur auf Polnisch. Jünger und nach modernen Erkenntnissen der Gedenkstättenarchitektur und -pädagogik gestaltet ist die 2004 neu eröffnete Gedenkstätte in Belzec, nahe der Grenze Richtung Lviv gelegen. Sie hinterließ einen noch stärkeren und bleibenden Eindruck.

Das ehemalige Konzentrationslager Lublin-Maj-danek wurde ebenfalls besichtigt. Diese Gedenkstätte entstand bereits im November 1944 und ist damit die älteste Europas auf dem Gelände eines ehemaligen deutschen Konzentrationslagers. Auf einem Gebiet von 90 Hektar befinden sich ca. 70 erhaltene Bauobjekte (Wachtürme, doppelter Stacheldrahtzaun, Häftlingsbaracken, Waschräume, Gaskammern und Krematorien).

Die Gedenkfahrt wurde von Mitarbeitern des staatlichen Museums Lublin-Majdanek begleitet. Deren inhaltliche Kompetenz und ausgezeichneten Deutschkenntnisse trugen wesentlich zum Gelingen der Fahrt bei. In Majdanek lernten wir die junge Berlinerin Pia kennen, die im Rahmen der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste einen einjährigen Freiwilligendienst leistet. Ein lobenswertes Engagement!

Das Zitat im Titel dieses Artikels stammt von Heinz Knobloch. Während der Führung durch Lublin erläuterte es der Museumsmitarbeiter. Er wies auf die großen Grünanlagen rund um die Burg-anlage hin. Bis 1942 befand sich dort das dicht verbaute Ghetto, das von den Nazis geräumt und dem Erdboden gleich gemacht wurde und dessen Bewohner allesamt ermordet wurden. Nach 1945 wurden dort Grünanlagen angelegt, einzig eine immer leuchtende Straßenlaterne erinnert heute an die jüdische Gemeinde Lublins, des »Jerusalem des Ostens«, wie es einst genannt wurde.