Nazis in Nadelstreifen

geschrieben von Sebastian Friedrich

5. September 2013

Über den Strategiewechsel der NPD seit 1996

Juli-Aug. 2008

Andrea Röpke, Andreas Speit

Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft, Broschur, 208 Seiten, 21 Abbildungen, 16,90 Euro

Bis vor einigen Jahren hielt sich beharrlich das verzerrte Bild vom Neonazis als Skinhead in Bomberjacke, mit weißen Schnürsenkeln in den Springerstiefeln. Dieses Klischee war schon damals überholt, heute ist es das allemal. Auch gewaltbereite junge Neofaschisten entsprechen ihm heute kaum noch, vielmehr übernehmen speziell die sogenannten Autonomen Nationalisten Dresscodes von politisch eher linksorientierten Jugendlichen.

Was viele Nazis aber schon immer gemein haben ist, dass sie als solche nicht sofort zu erkennen sind. Ihre menschenverachtende Ideologie ist ihnen schlicht nicht anzusehen; sie tragen Arbeiterklamotten, Jeans-Hosen, Kapuzenpullis und Anzüge mit Nadelstreifen. Vor allem mit letzteren beschäftigen sich die Journalisten Andrea Röpke und Andreas Speit in ihrem neuen Band »Neonazis in Nadelstreifen Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft«, der im März 2008 beim Christoph Links Verlag erschienen ist.

Auf über 200 Seiten setzen sich verschiedene Autorinnen und Autoren mit der NPD, ihrem Umfeld und besonders mit dem Strategiewechsel der gesamten rechten Szene auseinander. Ihr Hauptaugenmerk ist auf die NPD gerichtet, weil diese als neuer Hoffnungsträger für weite Teile des rechtsextremen Spektrums fungiert. Wie konnte das einer Partei gelingen, die sich jahrzehntelang am Rande der Auflösung befand und sich in ständigen Flügelkämpfen zu zerfleischen drohte?

Eine Hauptursache des Comebacks der ehemaligen Altherren-Partei, so die These der Autoren, ist der grundlegende Strategiewechsel der Partei seit 1996. In diesem Jahr wurde der ehemalige Bundeswehr-Hauptmann Udo Voigt zum Bundesparteivorsitzenden gewählt.

Er war es, der zwei Jahre später die 3-Säulen-Strategie formulierte (»Kampf um die Straße, um die Köpfe, um die Parlamente«) und sich für eine Öffnung zur Mitte der Gesellschaft und gleichzeitig für eine Zusammenarbeit mit klar neonazistischen, gewaltbereiten Gruppierungen einsetzte. So verbürgerlichte und radikalisierte sich die Partei in den letzten Jahren zunehmend, überholte die anderen rechtsextremen Parteien rechtsaußen, fuhr sensationelle Wahlergebnisse ein und professionalisierte sich zudem.

Ebenfalls vom Parteivorsitzenden Voigt stammt die Losung »Bürgernähe zeigen, vor Ort siegen«, sprich durch kommunale Verankerung bürgerliche Akzeptanz erfahren. Mittlerweile sitzt die NPD in rund 100 Kommunalparlamenten, insbesondere von dort aus gelingt es den Parteimitgliedern, Kontakte zu mittelständischen Unternehmern zu knüpfen. Wie diese und andere Finanzquellen der Partei aufgebaut oder erhalten bleiben, beschreibt Andrea Röpke in einem der Kapitel ausführlich. Auch inhaltlich veränderte sich die Strategie der NPD.

Zwar wird noch traditionell gegen Ausländer gehetzt, die Shoah relativiert und extrem im Freund-Feind-Schema gedacht, jedoch konzentrieren sich sowohl Partei als auch Szene stärker denn je auf die soziale Frage. Die biologisch-rassistisch aufgeladene Kapitalismuskritik fasst die Partei mit dem Dreiklang »national sozial radikal« oder dem Slogan »sozial geht nur national« zusammen.

Neben den angesprochenen Themen geht es in den anderen Kapiteln um die intellektuelle Aufrüstung der Partei, die enge Zusammenarbeit der NPD und der Kameradschaften in Bayern, die Rolle der Frauen in der rechten Szene, militärische Kindererziehungslager, die Verknüpfungen der Rechtsrock-Szene mit der Partei und schließlich wird dargestellt, welch wichtige Rolle Gewalt für Partei und Szene spielt. Hier zeigt sich deutlich das wahre Gesicht der NPD. Neben bieder wirkenden Führungsleuten tummeln sich in ihr unzählige verurteilte Gewalttäter oft auch in hohen Positionen.

Der hervorragend recherchierte Band reiht sich nahtlos in die Reihe der Standardwerke der letzten Jahre ein. Nach dem ebenfalls von Röpke und Speit herausgegebenen Band »Braune Kameradschaften« und dem kurz darauf folgenden Buch »Moderne Nazis« von Toralf Staud, präsentieren insbesondere die Beiträge der Herausgeber selbst den neuesten Stand und entlarven die Vorgehensweise der Rechtsextremen anhand eindringlicher aktueller Beispiele. Aber was ist seit dem Erscheinen von »Braune Kameradschaften« im Jahr 2005 alles in der Rechten Szene passiert?

Große Medien bemühen sich um eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, viele Politiker beschränken sich auf regelmäßige Forderungen nach einem Verbot der NPD, ohne sich wirklich damit zu konfrontieren und sich auch nur im Geringsten um die nötigen Maßnahmen zu kümmern und die NPD feiert weiter Erfolge und erobert ganze Landstriche.

Auf einen erneuten Selbstzerfleischungsprozess, wie ihn die Partei nach der misslungenen Bundestagswahl 1969 jahrzehntelang durchlebt hat, darf man nicht hoffen. Solange regelmäßig Studien enorme Fremdenfeindlichkeit, antisemitische Ressentiments und Vorurteile verzeichnen, finden rechtsextreme Parteien und Organisationen einen Nährboden für ihre Ideologie. Hier muss der Kampf ansetzen.