Nazis und Soziale Netzwerke

5. September 2013

von Dirk Stegemann

März-April 2012

Dirk Stegemann ist Sprecher der Kampagne »Zusammen Handeln gegen rassistische Hetze und soziale Ausgrenzung«

Seit Bestehen des Internets versuchen Nazis und Rassisten – wie auch auf der Straße – öffentliche Räume zu besetzen und offen oder subtil mit der schon bekannten Wortergreifungsstrategie ihre menschenverachtenden Inhalte zu verbreiten. Getreu dem Motto »steter Tropfen höhlt den Stein« wollen sie Themen von rechts (be)setzen. Das Internet ist in der Gegenwart zum wichtigsten Kommunikations- und Informationsmedium weltweit geworden, Tendenz steigend. Damit verbunden ist in den letzten Jahren eine veränderte Nutzung und Wahrnehmung des Internets, welche auch als Web 2.0 oder Social Media bezeichnet wird. Konkret umfasst dies den Wandel, dass nicht mehr in erster Linie Medienunternehmen zentral Inhalte in quantitativ und qualitativ entscheidendem Maße erstellen, bearbeiten und verteilen, sondern die Benutzerinnen selbst, unterstützt von interaktiven Anwendungen. Tendenziell verlagern sich daher die Aktivitäten von Neonazigruppen und Rassisten auf die Mitmachplattformen des »World Wide Web«. So sind mittlerweile drei von vier Deutschen online. Drei Viertel aller Internetnutzer sind in sozialen Netzwerken wie Facebook, StudiVZ, Xing, Twitter oder Youtube etc. angemeldet, wie aus einer repräsentativen Erhebung von Forsa im Auftrag des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) hervorgeht. Dabei führen jüngere Internetnutzer unter 30 Jahren die Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken mit 96 Prozent und deren aktive Nutzung mit 94 Prozent an. Unter den 30- bis 49-Jährigen sind es 72 Prozent und in der Generation 50-Plus immerhin 55 Prozent. Das mit Abstand am häufigsten genutzte soziale Netzwerk ist Facebook. 42 Prozent aller Internetnutzer geben an, bei Facebook zumindest hin und wieder aktiv zu sein.

Aus einem Bericht von jugendschutz.net für das Jahr 2010 geht hervor, dass es dabei eine Verdreifachung von neonazistischen Beiträgen gegeben hat. So werben Nazis und Rassisten in Sozialen Netzwerken, auf Videoportalen und Blogs um Jugendliche. Ihre Inhalte finden sich auf allen großen Plattformen. NPD und Neonazikameradschaften, rassistische Gruppierungen und Parteien, Antisemiten, Verschwörungstheoretiker und sogenannte Querfrontler waren und sind z.B. auf Facebook und YouTube immer aktiver. Neonazibands und -versandhäuser verbreiten ihre Musik auf Myspace. Auf Twitter fand jugendschutz.net 2010 insgesamt 73 Neonazi- Accounts, 2009 waren es noch 41. Videoclips sind zentrale Träger neonazistischer und rassistischer Botschaften. Erinnert sei auch an die Diskussionen um die rechte Propaganda im studiVZ. Laut jugendschutz.net wird vielfach auf massive Hassparolen verzichtet und an jugendgemäßen Ausdrucksformen orientiert. Musik gilt als wirkungsvolle Einstiegsdroge als effektiver Ansatzpunkt für die Vermittlung rechten Gedankenguts und die Bindung an rechte Gruppierungen. Von 190 untersuchten YouTube-Videos der Nazis erreichten einige bis zu 170.000 Zugriffe. Hierbei ging es offenbar hauptsächlich um Mobilisierungen zu Events und für rechtsextreme Kampagnen und Gruppen. Aber auch reihenweise Musikbeiträge von in Deutschland indizierten Bands sind dort zu finden.

Neonazis und Rassisten werben zunehmend auf Facebook, Videoportalen und Blogs für ihre Inhalte und Veranstaltungen, da so in sehr kurzer Zeit zigtausende Menschen erreicht werden können. Veranstaltungen und Kampagnen werden deshalb oft z.B. in Kombinationen zwischen Twitter, Profilseiten bei Facebook und Videos bei YouTube beworben. Verbunden wird Action, Kommunikation und Multimedia, um gerade Jugendliche zu ködern. Der Nachteil von festen Websites gegenüber diesen Kommunikationsformen ist, dass einerseits ihre Webadresse bekannt sein muss, um sie gezielt ansteuern zu können sowie eine Impressumspflicht. Das ist für Nazis ein Problem, wenn gerade Webseiten mit verfassungswidrigen und verfassungsfeindlichen Inhalten nicht öffentlich beworben werden können und daher auch meistens nur über eine eher begrenzte Nutzerzahl verfügen sowie die Verantwortlichkeit verschleiert werden soll.

Das Internet und insbesondere soziale Netzwerke ermöglichen einen vermeintlich anonymen und unverbindlichen Zugang zu Netzwerken. Genutzt wird dies bspw. auch beim Versandhandel über das Internet. Mit fiktiven Nicknames und erdachten oder nicht einsehbaren Profilen versuchen sich sogenannte Rechtspopulisten und auch Nazis zu tarnen, um sich u.a. eine neue Klientel zu erschließen, die nicht sofort »abgeschreckt« werden soll. So lassen sich subtil leichter Kontakte knüpfen und Inhalte verbreiten. Die Deutsche Stimme (Parteizeitung der NPD) rät deshalb bei der Einrichtung von Profilen, sich als der »nette Rechte von nebenan« zu präsentieren, die Ablehnung seitens nicht-rechter Diskussionsteilnehmer und -teilnehmerinnen zu brechen und die NPD als wählbare Partei im Netz auch jenseits einschlägiger rechtsextremer Foren sichtbar zu machen. Möglich sei dies auch über die Gründung von Gruppen und die aktive Beteiligung an bereits bestehenden Gruppen. Dadurch soll es Nazis gelingen, vor allem lokale Kontakte zu knüpfen und um Unterstützung für eigene Kampagnen zu werben.

Es gilt also für Nazis, bewusst vorsichtig zu agieren. Denn ist das Profil einsehbar, können nicht selten das Profilbild und Angaben über Freunde, Interessen, Hobbies oder bevorzugte Filme und Musik aber auch Verlinkungen auf Videos und Websites Rückschlüsse auf die Nutzer ermöglichen. Ebenso können über Kommentare oder geteilte Inhalte von Nutzern Aufschlüsse über Einstellungs- und Argumentationsmuster erlangt werden. Gleichzeitig gilt dies für Nutzer, die sich vor derartigen »Kontaktangriffen« durch Nazis schützen wollen. So sollten vor der Kontaktannahme »nach einschlägig bekannten Begriffen wie Vokabular von Nazis und Rassisten, übliche Zahlencodes, Slogans, rassistische Stereotypen, Band-Namen etc. gesucht werden.« Da jeder Auftritt und jede Vernetzung im Internet Spuren hinterlässt, können auch über Suchmaschinen Kombinationen von Benutzernamen und -daten sowie Inhalten genutzt werden, um mehr Informationen zu erlangen. Das gleiche gilt es aber auch zu beachten, wenn es um eigene Daten und Informationen geht, die ebenso für andere einsehbar sind.

Die meist emotional aufgeladenen Themenfelder, die Nazis und Rassisten in sozialen Netzwerken zu besetzen bzw. zu instrumentalisieren suchen, unterscheiden sich nicht von denen, die sie schon jahrelang auf der Straße oder in anderen öffentlichen Räumen transportiert haben. Auch hier wird an Ängste und Vorurteile anzuknüpfen versucht, um mit einfachen, meist radikalen, vermeintlichen Lösungen für komplexe Themen zu punkten. Ob bei sozialen Themen wie Erwerbslosigkeit, Globalisierung und globale Wirtschaft sowie Finanzkrise, Kriminalität, sexueller Missbrauch, »korrupte Eliten«, der Umgang mit der deutschen Geschichte, vermeintliche Überfremdung durch die Einwanderungsgesellschaft, Emanzipation und Geschlechterverhältnisse, Bürger/innenrechte, Umweltpolitik als Heimatschutz, Tierschutz etc., überall versuchen Nazis und Rassisten anderen Nutzern die Ab- und Ausgrenzung zu ihnen zu erschweren, gleichzeitig kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, um unter dem Deckmantel der »Meinungsfreiheit« eine vermeintlich gleichberechtigte Diskussion über neonazistische und rassistische bzw. völkisch-nationalistisch aufgeladene Inhalte zu ermöglichen.

Auch bei der Relativierung nazistischer und rassistischer Gewalt sowie Versuchen der Opfer-Täter-Umkehr, der Verdrehung von Ursachen und Wirkung bei gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, der eigenen Stilisierung zu Opfern z.B. von Zensur, beim Inszenesetzen als vermeintliche Tabubrecher oder der Benutzung pseudowissenschaftlicher Belege für ihre Propaganda unterscheiden sich ihre Auftritte in der virtuellen Welt von der realen Welt nur marginal. Insofern ist die virtuelle Welt auch nur ein Abbild der Gesellschaft bzw. gesellschaftlicher Verhältnisse, wobei gesamtgesellschaftliche Phänomene wie Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Hetze gegen Muslime, Homophobie etc. durch eine vermeintliche Anonymität durchaus wesentlich offener aufzutreten scheinen, geteilt werden oder zumindest unwidersprochen bleiben. Dabei hat man es nicht immer mit Nutzern zu tun, die ein geschlossenes neonazistisches Weltbild besitzen oder zeigen und als geschulte Propagandisten auftreten. Dumpfe rassistische Kommentare, antisemitische Verschwörungstheorien, antiziganistische Hetze, so genannte Querfrontfantasien oder wohlstandschauvinistische bis sozialdarwinistische Denkmuster ob in Gänze oder als Versatzstücke neonazistischen Gedankenguts finden sich in sozialen Netzwerken ähnlich wie am Stammtisch. Für eine genauere Einschätzung hilft hier nicht selten Insistieren und Nachfragen, um Nazis und Rassisten zum Enttarnen zu zwingen, ohne sich auf eine direkte Diskussion über deren Inhalte einlassen zu müssen.

Grundsätzlich ist es wichtig, gerade Jugendliche über die Gefahren im Zusammenhang mit der verstärkten Präsenz von Neonazis, Rechtspopulisten und Rassisten in sozialen Netzwerken aufzuklären und Kenntnisse über deren Strategien, Personen und Gruppierungen sowie Inhalte im Internet als Grundlage für das Erkennen und eigene Handeln zu vermitteln. Dabei helfen Studien wie die von jugendschutz.net oder der Amadeu Antonio Stiftung »Neonazis im Web 2.0 – Erscheinungsformen und Gegenstrategien« aber auch Recherchearbeiten von Antifa-Gruppierungen oder Kampagnen wie die der Partei Die Linke »Nazis raus aus dem Internet«. Da die Fülle menschenverachtender Propaganda sowie die Informationsflut kaum überschaubar sind, ist Zivilcourage und eigenes Handeln weiterhin der entscheidende Teil der Bekämpfung von Neonazismus und Rassismus in sozialen Netzwerken. »Anbieter und Provider sind zur Entfernung solcher Inhalte und Personen verpflichtet, haben aber nur einen begrenzten Überblick über Anmeldungen bzw. veröffentlichte Beiträge und Kommentare.« Diese zu melden und andere Nutzer darauf aufmerksam zu machen, ist in sozialen Netzwerken möglich und notwendig. Sollten diese dann gesperrt bzw. gelöscht werden, diese Möglichkeit gibt es mittlerweile bei den meisten sozialen Netzwerken, darf die Wachsamkeit nicht nachlassen, da jederzeit eine neue Anmeldung unter anderem Namen möglich ist. Dazu kommt, dass je nach dem in welchem Land der Provider liegt, unterschiedliche Maßstäbe für die Einschätzung der von der Meinungsfreiheit abgedeckten Inhalte und Äußerungen existieren und nicht jede Meldung auch zu einer Sperrung führt. Große ausländische Neonaziplattformen werden meist über sichere Server betrieben, ausländische Hostprovider reagieren zwar bei strafbaren Inhalten wie Volksverhetzung, entfernen jedoch nur selten Angebote mit »lediglich« jugendgefährdenden Inhalten oder Verlinkungen auf indizierte Angebote. Unwidersprochen sollten dann solche Inhalte und Äußerungen jedenfalls nicht bleiben. Auch Betroffene von Diskriminierungen, Kriminalisierungen oder neonazistisch bzw. rassistisch motivierter psychischer oder physisch angedrohter Gewalt bedürfen einer eindeutigen Solidarisierung und Unterstützung und dürfen nicht alleine gelassen werden. Mittlerweile gibt es aber auch in sozialen Netzwerken Hilfe und Unterstützung. Überall formieren sich Gruppen, Foren oder Portale, die es sich zur Aufgabe gemacht haben Nazis und Rassisten kenntlich zu machen, über ihre Strategien und Inhalte aufzuklären und zu einer Löschung beizutragen. Als nur ein Beispiel neben vielen wichtigen privaten Initiativen und Gruppen sei hier die Kampagne »Soziale Netzwerke gegen Nazis« genannt, initiiert von »Netz gegen Nazis«, dem Internetportal der Amadeu Antonio Stiftung und der »Zeit«, an der sich nach eigenen Angaben 57 Netzwerken beteiligt sowie über 345.300 Menschen gegen rechtsextremes, rassistisches und antisemitisches Gedankengut ausgesprochen haben.