Opfer des Austrofaschismus

geschrieben von Gerald Netzl

5. September 2013

Ein später Akt der Gerechtigkeit für Heldinnen und Helden des
Widerstands

März-April 2012

Mit einstimmigem Beschluss machten Mitte Januar die Abgeordneten des österreichischen Nationalrats, der ersten Kammer des Parlaments, den Weg zur Rehabilitierung österreichischer Justizopfer der Jahre 1933 bis 1938 frei. Damit sollen alle Urteile von ordentlichen Strafgerichten sowie von Sonder- und Standgerichten aus der Zeit des Austrofaschismus (euphemistisch auch »autoritärer Ständestaat« genannt) rückwirkend aufgehoben werden, wenn die verurteilte Tat im Kampf um ein unabhängiges und demokratisches Österreich erfolgt ist. Nationalsozialisten sind von der Rehabilitierung ausgeschlossen. Von der Rehabilitierung sind jene Personen umfasst, die zwischen 6. März 1933 und 12. März 1938 strafgerichtlich verurteilt oder verwaltungsbehördlich angehalten oder ausgebürgert wurden. Die entsprechenden Urteile und Entscheidungen werden nicht nur rückwirkend aufgehoben, auch ihr Unrecht wird in einer eigenen Klausel dezidiert festgehalten.

Die Geschichte der Ersten Republik sowie die Ereignisse des Februar 1934 und die Jahre danach waren in der Zweiten Republik lange ausgeblendet geblieben. Gab es doch zumindest zwei verschiedene Sichtweisen und Bewertungen: eine »rote«, sozialdemokratische, und eine »schwarze«, konservative. Das dritte Narrativ (»braun« bzw. »blau«) war nach 1945 marginalisiert. Zu unterschiedlich war die Einschätzung der Dollfuß- und Schuschnigg-Diktatur. Nach mehreren Anläufen gelang es, eine gemeinsame gesetzliche Lösung zu finden, nicht zuletzt weil die Österreichische Volkspartei über ihren Schatten sprang, wofür ihr Respekt zu zollen ist.

Was war der Unterschied zwischen Deutschland und Österreich in den 1930er-Jahren? Ab 1920 regierten in der Alpenrepublik bürgerliche Parteienkoalitionen, meist unter Führung der Christlich-sozialen (Vorläufer der ÖVP). Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei war in Daueropposition, Kommunisten und NSDAP schafften es nie in den Nationalrat. 1933 begann eine schrittweise Aushöhlung des Parlamentarismus durch Bundeskanzler Dollfuß, Mitte 1933 wurden KPÖ und NSDAP verboten, die Sozialdemokratie immer mehr in die Defensive gedrängt. Nach den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen im Februar 1934 etablierte sich das austrofaschistische Regime, dessen Basis die alte Christlich-soziale Partei, die faschistische Heimwehr und vor allem die staatliche Bürokratie und Exekutive bildeten. Dieses Regime wurde von links und von rechts bedrängt und bekämpft. In seinen Gefängnissen und Anhaltelagern, das größte und bekannteste befand sich in Wöllersdorf bei Wiener Neustadt, saßen »Nazis, Sozis und Kummerln«. Aus diesem Grund waren es nach dem »Anschluss« verstärkt Repräsentanten des alten Regimes und weniger Mitglieder der illegalen ArbeiterInnenbewegung, die verfolgt wurden. Mit Kriegsbeginn und Kriegsverlauf stiegen die Repressionen gegen linke Regimegegner.

Bereits 1945 wurde das »Aufhebungs- und Einstellungsgesetz«, welches alle NS-Urteile gegen ÖsterreicherInnen aufhob, beschlossen. Nach der Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure 2009 wurde nun, wie der Grünen-Abgeordnete Albert Steinhauser formulierte, »das letzte Justizkapitel, das noch der Aufarbeitung bedurfte, aufgearbeitet«. Wenn das so lange gedauert habe, so zweifellos deshalb, weil es lange ein »politisches Minenfeld« war. Vor einigen Jahren sei die Zeit jedoch gekommen, in Gespräche darüber einzutreten. Eine wichtige Rolle habe dabei das Engagement vieler Historikerinnen gespielt. Jetzt habe man einen wichtigen Zwischenschritt in der Aufarbeitung dieses Abschnittes der österreichischen Geschichte gesetzt. Es werde damit klar ausgesprochen, dass die Anwendung von Hoheitsgewalt und militärischer Zwangsgewalt gegen jene, welche die Demokratie verteidigten, Unrecht gewesen sei. Das Gesetz ist auch für viele noch lebende Angehörige der Opfer wichtig. »Diese Zeit der Diktatur und der Unmenschlichkeit darf nicht vergessen werden«, betonte der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Freiheitskämpfer Ernst Nedwed.

»Eine Jahrzehnte lange Forderung des Bundesverbands österreichischer Antifaschisten, Widerstandskämpferinnen und Opfer des Faschismus (KZ-Verband VdA) wurde endlich Wirklichkeit und den Heldinnen und Helden des Widerstands wurde spät aber doch Gerechtigkeit und Ehrung zuteil«, so der Bundesvorsitzende des KZ-Verbands Albert Dlabaja.